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Fortsetzung Schreckgespenst Schambeinentzündung: Neue Wege in Diagnostik und Therapie

Detektivische Diagnostik

All diese Fakten plus die bis dato aktuellen Behandlungsschemata hatten Dr. Hopp und seine Mitautoren 2008 in dem DZSM- Artikel »Osteitis pubis« zusammengefasst. Die Resonanz von Kollegen aus vielen Sparten der Sportmedizin, Orthopädie und Physiotherapie war enorm, die Unzufriedenheit mit den aktuellen Therapieoptionen jedoch unüberhörbar. Das war der Zeitpunkt, an dem Dr. Hopp, tatkräftig unterstützt insbesondere von Prof. Pohlemann sowie dem Orthopäden PD Dr. Jens Kelm, eigene Forschungen in Angriff nahm. »Uns war aufgefallen, dass die US-amerikanische Literatur weit differenzierter berichtete, vor allem in Hinblick auf die Bildgebung«, so der Sporttraumatologe. »In unserer Schwerpunktsprechstunde richteten wir deshalb den Fokus auf alle nur irgendwie möglichen Ursachen und verfeinerten die Diagnostik bis aufs Äußerste.«

Differentialdiagnostisch müssen zunächst einige Befunde ausgeschlossen werden (2):

• Leistenhernien
• Sportlerhernien oder »weiche Leiste«
• Ermüdungs- oder Sehnenabrissfrakturen der Apophysen (z.B. Gracilis-Syndrom)
• Nervenengpasssyndrome
• Insertionstendinosen
• Osteomyelitis
• Neoplasmen
• Adduktoren- oder Leistenzerrungen
• ISG-Blockaden
• Muskuläre Dysbalancen
• Einseitiger Beckentiefstand
• Rheumatologische Erkrankungen
• Urogenitale Erkrankungen
• Knochentumore

dann beginnt die radiologische Detektivarbeit. Denn ebenso oft, wie ein laut MRT vorhandenes Knochenmarksödem keine Schmerzen bereitet, kann eine Schambeinentzündung auch ohne sichtbares Ödem bestehen! Dr. Hopp: »Das pathomorphologische Diagnostikkonzept muss alle Eventualitäten mit einbeziehen. Dazu gehören Kapsel- und Sehnenverletzungen rund um die Symphyse, mit oder ohne knöcherne Abrisse – etwa an den Adduktoren – oder Mikrorisse an der Bauchwandmuskulatur. Manchmal sehen wir schwere Degenerationserscheinungen am Symphysen-Diskus, entweder bedingt durch frühere Verletzungen oder dauerhafte Fehlbelastung. Fakt ist: Erst wenn ganz genau feststeht, was Schmerz und Entzündung ursprünglich ausgelöst hat, kann zielführend therapiert werden! Wir haben deshalb begonnen, noch viel genauer hinzuschauen und die Möglichkeiten der Bildgebung noch weiter auszuschöpfen.«

Die Symphyse im Bilde

Der Klassiker in der Radiologie bei Verdacht auf Schambeinentzündung sind das Röntgen mit a.-p.-Projektion oder eine 3-Phasen-Skelettszintigrafie mit Technetium-99m. Oft zeigen sich dabei Hinweise auf Erosionen, sklerotisches oder zystisches Geschehen oder Anomalien über der häufig verbreiterten Schambeinfuge (»Flamingoaufnahme« im alternierenden Einbeinstand zeigt vertikale Verschiebungen von >2 mm). Im MRT konzentrierte man sich bisher zumeist auf Ödeme im Knochen des Os pubis sowie Flüssigkeitsansammlungen im Symphysenspalt (2), während man Mikroabrissverletzungen eher vage vermutete. Auch eventuelle Kapsel-Läsionen geben sich unter Anwendung der hier genannten Methoden nur selten zu erkennen, obwohl sie als Auslöser unbedingt in Betracht kommen. »Deshalb infiltrieren wir die Symphyse unter röntgenologischer Betrachtung mit einem Kontrastmittel.

Zeigt sich ein Auslaufmuster, ist das ein sicheres Korrelat für eine Kapselverletzung«, erläutert Dr. Hopp. »Danach injizieren wir bildwandlergesteuert eine Kombination aus Lokal­anästhetikum und Kortikosteoid direkt an den Verletzungsort. Liegen wir mit unserer Diagnose richtig, sind manche Patienten nach wenigen Minuten zum ersten Mal seit Langem schmerzfrei. Damit haben wir nicht nur unseren Beweis, sondern in 80 Prozent der Fälle sogar eine zumindest kurz- bis mittelfristige Beschwerdefreiheit. Wenn nicht, suchen wir eben weiter – und finden eigentlich immer eine Lösung.«

Bild MRT: beidseitiges Überlastungsödem mit rechtsseitiger Verletzung der Rectus-Adductor-Aponeurose
MRT: beidseitiges Überlastungsödem mit rechtsseitiger Verletzung der Rectus-Adductor-Aponeurose © Hopp
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