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Fortsetzung Multimodale Ansätze in der Adipositastherapie

Sonderfall kindliche Adipositas

Adipositas-Prävention muss so früh wie möglich im Leben einsetzen. Prof. Reinhard Holl vom Institut für Epidemiologie und medizinische Biometrie an der Universität Ulm sieht hier die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung: »Viel hängt an dem Lebensstil, den man einem Kind vorlebt. Fehlt ein gutes Vorbild in Sachen Sport und Ernährung, kann zum Beispiel der Werbedruck der Medien viel größeren Schaden anrichten. Das ist vor allem in Familien mit niedrigem Bildungsstand und Einkommen problematisch. Kontrollmechanismen wie Zuckerverbote, mehr Schulsport und Ähnliches wären höchst angebracht, lassen aber leider auf sich warten.

« Eine Chance, Betroffene in Sachen Bewegung zu erreichen, sieht er am ehesten in Gruppenangeboten. »Wem Vereins- und Mannschaftssport zu leistungsorientiert sind, der ist vielleicht in der DLRG oder der Freiwilligen Feuerwehr gut aufgehoben. Das hat Fitness quasi im Gepäck, aber mit Spaß. Und bei manchen Sportarten wie etwa American Football oder Ringen ist hohes Körpergewicht alles andere als ein Ausschlusskriterium!« Ist die Adipositas manifest und eine Behandlung unumgänglich, gibt es als Alternative für längerfristige ambulante Interventionen auch stationäre Reha-Maßnahmen, im Idealfall mit entsprechend intensiver Nachbetreuung. Diese werden derzeit von 15 Einrichtungen in Deutschland angeboten und von der Rentenversicherung vermittelt. Dr. Holl: »Der kurzfristige Erfolg von Abnehm-Kuren ist oft sehr gut – die Herausforderung besteht dann darin, die Verhaltensänderung dauerhaft im Alltag fortzusetzen.«

Bild Reinhard Holl
Prof. Dr. med. Reinhard Holl, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Institut für Epidemiologie und medizinische Bio­metrie, Universität Ulm © Holl

»Wunderwaffe« Braunes Fettgewebe?

Dr. Tobias Fromme vom Else-Kröner-Fresenius-Zentrum der TU München forscht aktuell an Möglichkeiten, durch pharmakologische Intervention sogenanntes Weißes Fettgewebe zu aktivem Braunem Fettgewebe umzuwandeln. Dieses ist nämlich durch seine Wärmebildungskapazität (Thermogenese) ein Energiefresser und könnte damit die Adipositas-Therapie entscheidend beeinflussen. Da es außerdem Zucker aufnimmt, spielt es eine doppelt interessante Rolle in der Diabetesbehandlung. »Für eine quantitativ bedeutende Aktivierung der Wärmebildung im vorhandenen Braunen Fettgewebe durch Sport oder Diät sehe ich eher eingeschränktes Potenzial«, so der Wissenschaftler. Neueste Studien (9) würden aber zuversichtlich stimmen, dass sie künftig durch bestimmte Nahrungsmittel oder Pharmaka beeinflusst werden könnten. Doch auch dann, so viel steht fest, wird sportliche Aktivität weiterhin eine wichtige Säule der Behandlung darstellen.

Alles nur geerbt?

Dr. Fromme bestätigt, dass man sich auf ungünstigen Genen allein nicht ausruhen kann: »Natürlich ist die sogenannte monogene Adipositas, die von einem einzigen vererbbaren Allel verursacht wird und dann familiär gehäuft auftritt, nicht wegzudiskutieren. Aber selbst so ein Genotyp ist eine Prädisposition, keine Determinante. Kurz gesagt: Man kann nicht dick werden, wenn man dafür nicht genug isst und sich nicht wenig genug bewegt.« Darin gibt ihm unter anderen eine kürzlich veröffentlichte Studie Recht, die den Einfluss von »schlechten Genen« versus konsequent gesunder Ernährungsweise untersucht hat (8).

Fazit: Adipositas ist nicht nur eine Komorbidität, sondern sollte als eigenständiges Krankheitsbild gesehen und behandelt werden. Die Sportmedizin hat hier eine außerordentlich wichtige Funktion in Prävention und Therapie.

Bild Tobias Fromme
Dr. Tobias Fromme, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Molekulare Ernährungsmedizin der TUM, Else-Kröner-Fresenius-Zentrum/ZIEL © Fromme

 

Interdisziplinäre Fachgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften sowie weiterführende Angebote und laufende Programme

Deutsche Adipositas Gesellschaft e.V. (DAG)
www.adipositas-gesellschaft.de

Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA)
www.aga.adipositas-gesellschaft.de

Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)
www.dank-allianz.de

Adipositas-Patienten-Verlaufsdokumentation (APV) – Das Dokumentationsprogramm an der Universität Ulm vergleicht aktuelle Therapieangebote zur Adipositasbehandlung im Kindes- und Jugendalter
http://buster.zibmt.uni-ulm.de/apv

Ausbildung »Adipologe GGG« – Als Partner der DAG hat die neu gegründete Gesellschaft Gesundes Gewicht (GGG) eine spezialisierte Fortbildung für Mediziner zum Adipologen entwickelt. Die Ausbildung beinhaltet neben Modulen zu Ernährungswissenschaft und Psychologie auch den Bereich Sportmedizin
www.adipologe-ggg.de

■ Kura L

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Quellen:

  1. DAK-Gesundheit. Versorgungsreport Adipositas – Chancen für mehr Gesundheit. https://www.dak.de/dak/download/versorgungsreport-adipositas-1883220.pdf. Veröffentlicht November 2016. [aufgerufen am 14.9.2018]

  2. Deutsche Adipositas Gesellschaft. Interdiszipli­näre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“. 2. Auflage, 2014. http://www.adipositas-gesellschaft.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/050-001l_S3_Adipositas_Praevention_Therapie_2014-11.pdf [aufgerufen am 14.9.2018]

  3. Gardner CD, Trepanowski JF, Del Gobbo LC et al. Effect of Low-Fat vs Low-Carbohydrate Diet on 12-Month Weight Loss in Overweight Adults and the Association With Genotype Pattern or Insulin Secretion: The DIETFITS Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018; 319: 667-679. doi:10.1001/jama.2018.0245

  4. Hashida R, Kawaguchi T, BekkiM et al. Aerobic vs. resistance exercise in non-alcoholic fatty liver disease: A systematic review. J Hepatol. 2017; 66: 142-152. doi:10.1016/j.jhep.2016.08.023

  5. Krüger K. Inflammation during Obesity – Pathophysiological Concepts and Effects of Physical Activity. Dtsch Z Sportmed. 2017; 68: 163-169. doi:10.5960/dzsm.2017.285

  6. Maier HE, Lopez R, Sanches N et al. Obesity Increases the Duration of Influenza A Virus Shedding in Adults. J Infect Dis. Aug. 2018; doi:10.1093/infdis/jiy370

  7. Robert-Koch-Institut. Gesundheit in Deutschland. 2016. doi:10.17886/rkipubl-2015-003

  8. Wang T, Heianza Y, Sun D et al. Improving adherence to healthy dietary patterns, genetic risk, and long term weight gain: gene-diet interaction analysis in two prospective cohort studies. BMJ. 2018; 360. doi:10.1136/bmj.j5644

  9. Yoneshiro T, Matsushita M, Saito M. Translational Aspects of Brown Fat Activation by Food-Derived Stimulants. Handb Exp Pharmacol. 2018. doi:10.1007/164_2018_159