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Fortsetzung Multimodale Ansätze in der Adipositastherapie

Hauptsache in Bewegung kommen

»Die Art der Bewegung ist nicht allzu entscheidend«, so Prof. Deibert. »Sie muss nur zum Patienten passen und Spaß machen, sonst lässt er es bald wieder. Aber natürlich empfehle ich bei hohem BMI eher gelenkschonende Sportarten wie Aquagymnastik oder Fahrradfahren statt Joggen oder Gewichtheben. Das Training sollte mindestens in der Anfangsphase professionell angeleitet sein, auch um Verletzungen zu vermeiden. Das ‚Rezept für Bewegung‘ ist dafür ein gutes Werkzeug.« Weil nachweislich auch Krankheitsbilder wie Insulinresistenz und nichtalkoholische Fettleber (NAFL) auf eine Lebensstil-Intervention gut ansprechen (4), sollte mit entsprechenden Verordnungen nicht gespart werden.

In jedem Fall befürwortet Prof. Deibert eine umfangreiche sportmedizinische Voruntersuchung zum Ausschluss von Risiken sowie zur Festlegung der individuell notwendigen Trainingsintensität; hier können etwa die von Krankenkassen geförderten Sportler-Check-ups in Anspruch genommen werden. Um eventuelle schädliche Verhaltensmuster zu erkennen und die Motivation zu stärken, kann man schließlich noch – besonders bei sehr hohem BMI – eine psychologische Begleitung hinzuziehen.

Entscheidender Faktor Compliance

Bezüglich der Ernährungsumstellung gilt Ähnliches. »Allzu strenge Vorschriften sind meist kontrapoduktiv!«, weiß Dr. Christina Holzapfel vom Institut für Ernährungsmedizin an der TU München. »Wenn Sie jemandem, der sehr gerne Brot oder Kartoffeln isst, ausgerechnet eine Low-Carb-Diät verordnen, wird er bald frustriert aufgeben.« Dr. Holzapfel begrüßt deshalb aktuelle Studien, die zeigen, dass jede konsequente Kalorienreduktion irgendwann zum Ziel führt (3). Sie hat gute Erfahrungen mit kleinteiliger Individualberatung anhand von Ernährungsprotokollen gemacht. Damit spürt man die oben genannten Stolperfallen auf und kann machbare und dennoch wirksame Lebensmittelalternativen vorschlagen. Nur das sichert die langfristige Kooperation mit den Patienten.

Adipositas als eigenständige Krankheit etablieren

Beharrlichkeit und engmaschiger Patientenkontakt sind also gefragt. Aber wer bezahlt die Experten, die hier wachsam sein, untersuchen, beraten und begleiten sollen? »Ein Riesenproblem«, sagt Dr. Holzapfel. »Adipositas ist in Deutschland noch immer nicht als eigenständige Krankheit anerkannt. Deshalb fallen Patienten erst einmal durch alle Raster, zum Beispiel werden sie vom Hausarzt oft viel zu spät auf ihr zu hohes Gewicht oder schlechte metabolische Werte angesprochen. Ambulante Abnehmprogramme müssen Betroffene dann zumindest anteilig aus eigener Tasche bezahlen, und die Vergütung für medizinische Experten bleibt sowieso weitgehend auf der Strecke. Hier muss sich dringend etwas tun!«

Vorstöße in diese Richtung wie etwa die Aufnahme eines Adipositas-Moduls in den Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg oder einige Ansätze der DAK-Gesundheit für ein gänzlich neues Versorgungskonzept (1) sind ein Anfang. Es beginnt jedoch schon mit der fatalen Meinung vieler Patienten, ihr Übergewicht sei quasi Privatsache – was automatisch eine ungenügende medizinische Behandlung nach sich zieht. Der Weg zur dringend notwendigen Status­änderung des Krankheitsbildes »Adipositas« birgt also viele Herausforderungen.

Dr. rer. nat. Christina Holzapfel, Ernährungswissenschaftlerin am Institut für Ernährungsmedizin der TU München, Klinikum rechts der Isar © Holzapfel
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