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Leistenschmerzen im Leistungssport: Ursachen, Prävention, Therapie

Leistenschmerzen im Leistungssport: Ursachen, Prävention, Therapie
© SciePro / AdobeStock

Chronische Leistenschmerzen sind im Leistungssport ein häufiges Problem. Bis zu 5 Prozent aller sportbedingten Schmerzzustände entfallen auf Beschwerden rund um die Leistengegend. Am höchsten ist die Inzidenz bei Sportarten mit schnellen Dreh- und Beugebewegungen wie z. B. Fußball, Handball, (Eis-)Hockey, Rugby oder Tennis. So liegt etwa im Fußball die Häufigkeit bei jährlich 10 bis 18 Prozent (3). Unter Profiathleten ist Leistenschmerz sogar die dritthäufigste Ursache für Ausfälle vom Spielbetrieb und daher auch ein bedeutender Kostenfaktor.

Athleten sind häufiger betroffen als Athletinnen derselben Disziplin: Im Fußball beträgt die Verletzungsrate bei Männern 0,2 bis 2,1 pro 1000 Stunden Spielzeit, bei Frauen nur 0,1 bis 0,6.
Die Anatomie der Leistenregion ist komplex – und so ist es nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl von Ursachen zum Symptom Leistenschmerz beitragen können. Im DOHA-Agreement wurden diese in mehrere Gruppen klassifiziert (6) (siehe Tabelle).

Tabelle: Ursachen von Leistenschmerzen
© DZSM 2020

Welche Strukturen werden überlastet?

Wie oft sich allerdings welche Ursache hinter den Beschwerden verbirgt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Prof. Dr. Sven Reuter ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physiotherapeut und Professor für Therapiewissenschaften an der SRH Hochschule für Gesundheit am Campus Stuttgart. Er weiß aus seiner Arbeit mit Sportlern, dass sich die Entitäten oft überschneiden: »Deswegen richten wir den Blick vor allem auf die Frage, bei welchen Aktivitäten Beschwerden auftreten und welche Bewegungen welche Strukturen über­lasten.« Bekannt ist, dass besonders Athleten aus Sportarten mit häufigen, schnellen Richtungswechseln und Beschleunigungen betroffen sind. Der Ansatz von Prof. Reuter und seinen Kollegen besteht deshalb darin, alle problematischen sportartspezifischen Bewegungen in einzelnen Abschnitten zu analysieren, um eventuelle kinetische oder kinematische Limitationen im Bewegungsverhalten zu identifizieren. Betrachtet man beispielsweise einen Richtungswechsel, so ist der vorletzte Schritt sehr wichtig, weil bei diesem Schritt die Geschwindigkeit reduziert wird. »Je besser ein Spieler die Situation antizipiert und in diesem Moment abbremsen kann, desto effizienter wird der darauf folgende Bewegungsablauf sein.

Doch hier wirken große Kräfte und der Spieler muss über die neuromuskulären Kapazitäten verfügen, um diese kontrollieren zu können«, erklärt Prof. Reuter. Beim letzten Schritt wird der Richtungswechsel dann vollzogen. Im Optimalfall wird der Rumpf in die vom Athleten gewünschte Richtung gedreht und geneigt, der Fuß wird relativ weit nach außen gesetzt und das Knie bleibt möglichst steif, um schnell Energie gewinnen zu können. »Dabei kollidiert der Wunsch nach einem schnellen Richtungswechsel, der für das Spiel wichtig ist, mit dem Wunsch nach einem möglichst gesunden Bewegungsablauf. Der schnelle Richtungswechsel ist schädlicher, die gesunde Variante aber langsamer. Wir können von einem Top-Spieler nicht verlangen, gemütlich um die Kurve zu laufen, damit er sich nicht verletzt. Wir möchten vielmehr den Athleten widerstandsfähig und robust machen und sein individuelles Bewegungsverhalten biomechanisch optimieren, damit die Beschwerden nicht mehr auftreten«, erläutert Prof. Reuter sein Vorgehen.

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