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Kritische Dateninterpretation von biomechanischen Studien am Beispiel des Anterolateralen Komplexes

Editorial der Ausgabe #3/2018 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Die Autoren Prof. Volker Musahl und Dr. Elmar Herbst beziehen kritisch Stellung zur aktuelle Datenlage der Verletzungen des Bandapparates im Knie.

Kritische Dateninterpretation von biomechanischen Studien am Beispiel des Anterolateralen Komplexes
Anatomie des anterolateralen Komplexes. Oberflächlich verläuft der Traktus iliotibialis (sITB), welcher über die Kaplanfasern (KF) mit dem distalen Femur verbunden ist. Die tiefen Anteile des Traktus iliotibialis werden von seinen posterioren und medialen Fasern (schwarzer Pfeil) sowie der kapsulo-ossären Schicht (schwarzes Dreieck) gebildet. © DZSM 2018

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (VKB) sind häufig und resultieren in einer anterolateralen Rotationsinstabilität (1). Trotz anatomischer Rekonstruktion des VKB kann jedoch in manchen Patienten ein geringes Maß an anterolateraler Rotationsinstabilität persistieren und symptomatisch werden (1). Daher wurde insbesondere in den vergangenen fünf Jahren sehr ausführlich über den anterolateralen Komplex des Kniegelenkes und seiner Bedeutung für die Rotationsstabilität diskutiert. Trotz der Renaissance lateraler extra-artikulärer Rekonstruktionen muss in diesem Zusammenhang deren historischer Ursprung diskutiert werden. Zwischen 1960 und den späten 1980er-Jahren wurde die Ruptur des VKB über solche laterale Tenodeseverfahren nicht anatomisch therapiert, da man sich dadurch erhofft hatte, das Pivot Shift-Phänomen zu reduzieren (6). Eine intra-artikuläre Rekonstruktion wurde aus primär technischen Gründen nicht angestrebt.

Erst im späten Verlauf wurde zusätzlich zu einer lateralen extra-artikulären Tenodese ein intraartikulärer VKB-Ersatz vollzogen. Allerdings wurde auf diese lateralen extra-artikulären Verfahren aufgrund schlechter klinischer Ergebnisse und teils ausgeprägter Arthroseprogression mit der Zeit verzichtet (4). Einzig Zentren in den Beneluxstaaten, Frankreich und Italien haben weiterhin in ausgewählten Fällen eine laterale extra-artikuläre Tenodese durchgeführt. Dies war jedoch primär historisch als wissenschaftlich geprägt.

Das anterolaterale Ligament

Wie so häufig wiederholt sich die Geschichte. Seit der medienwirksamen Beschreibung des sogenannten anterolateralen Ligaments 2013 (2), folgten bis Heute über 350 wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema. Trotz der offensichtlichen Evidenz, besteht unter Experten nach wie vor kein Konsens über das Vorhandensein dieses Bandes, der Anatomie, Morphologie, Funktion und Indikationen für eine laterale extra-artikuläre Augmentationsplastik bei Patienten mit VKB-Ruptur (9). Ein häufiger Irrtum ist, dass biomechanische Testungen insbesondere an Robotern maximale Objektivität und Datenkonsistenz gewährleisten. Die kontroversen Ergebnisse bezüglich der anterolateralen Strukturen zeigen jedoch eindrücklich, dass solche Daten kritisch gesehen werden müssen (10, 11, 13).

Bild Volker Muhsal
Prof. Dr. Volker Musahl Medical Director UPMC Center for Sports Medicine University of Pittsburgh © Musahl
Bild Elmar Herbst
Dr. Elmar Herbst, Abteilung für Sportorthopädie, Technische Universität München © Herbst
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