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Erholung ist mehr als Nichtstun!

Editorial von Prof. Dr. Michael Kellmann aus der Ausgabe #2/2018 der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin (DZSM). Der Wissenschaftler beschreibt darin vier Erholungs-Beanspruchungsmuster und deren Auswirkungen auf den (sportlichen) Alltag.

Erholung ist mehr als Nichtstun!
© Antonioguillem / Adobe Stock

Die Urlaubszeit stellt für die meisten Schüler, Studierenden, Lehrer, Professoren und Arbeitnehmer eine Zeit dar, in der sie Erholung suchen und oftmals auch finden. Ob diese Zeit eher  konfliktreich oder idealerweise erholsam verläuft, hängt von persönlichen Konstellationen und Bewertungen ab. Wenn die Tage erholsam waren, dann ist die Frage, wie lange dieser Erholungseffekt anhält. Leider meist nicht sehr lange, was Studien aus dem Berufsleben von Lehrern oder Trainern belegen (1). Selbst der Erholungseffekt von sieben Tagen Skifahren wird durch längere An- und Abreisen teilweise wieder aufgebraucht. Daher ist es wichtig, auch nach den Ferien im normalen Alltag auf die Erholung zu achten.

Was ist Erholung überhaupt?

Wolfgang Kallus hat vor ca. 20 Jahren allgemeine Kennzeichen von Erholung formuliert, die helfen, Erholung zu strukturieren (2):

– Erholung ist ein Prozess in der Zeit und abhängig von der Art und Dauer der Beanspruchung
– Erholung ist an eine Verringerung von Belastung, einen Belastungswechsel oder eine Pause gebunden
– Erholung ist personenspezifisch und von individuellen Bewertungen abhängig
– Erholung kann passiv, aktiv und proaktiv sein
– Erholung ist eng an Randbedingungen gebunden (z. B. Ruhe, Schlaf, Partnerkontakt).

Erholung ist mehr als Nichtstun. Es ist ein aktiver und zielgerichteter Prozess, um Beanspruchung und deren Folgen auszugleichen. Die von Kallus (2) beschriebenen Kennzeichen sind allgemein und somit auch im sportlichen Kontext anwendbar. Zum Training erwartet ein Trainer (meist) einen erholten Sportler, der den geplanten Trainingsbelastungen standhalten kann. Da aber nach dem Training auch wiederum vor dem nächsten Training (ob am selben oder am nächsten Tag) bedeutet, sind die Erholungsvorgänge nach der Trainingsbelastung zu betrachten.

Interessant ist daher die Frage, ob Erholung erst nach einer Belastung stattfindet oder ob eine Person erholt sein muss, um überhaupt belastet und damit z. B. trainiert werden kann. Diese auf den ersten Blick philosophisch anmutende Frage „Was kam zuerst: Henne oder Ei?“ betrifft Definitionen, Messmethoden und Interventionsformen. Dies wird in dem Consensus-Statement Recovery and Performance in Sport aufgegriffen, das Definitionen von Erholung und naheliegende Begriffe, Messmethoden, Modelle sowie Aspekte des Monitorings und daraus resultierende Konsequenzen für Trainer/Athleten benennt (4).

Zudem bringt das Consensus-Statement Klarheit in die Nutzung von Termini und grenzt diese voneinander ab. Beispielsweise sind Untererholung und Non-Functional Overreaching (NFOR) zwei eng miteinander verwandte Konzepte, die sich nur minimal, aber dennoch in der Folge gravierend voneinander unterscheiden.

Untererholung stellt einen weiter gefassten Zustand von unzureichender Erholung als Reaktion auf allgemeinen Stress (z. B. durch Beruf, Familie, Konflikte) dar. NFOR hingegen wird in einem grundlegenden Consensus-Statement zum Übertrainings-Syndrom als trainingsspezifische, negative, psychologische oder hormonelle Veränderungen beschrieben (5). Eine Aufsummierung von Untererholung von alltäglichen Anforderungen in Verbindung mit NFOR im Training und Wettkampf äußert sich schließlich in einem Übertrainings-Syndrom.

Erholung im Sport sollte aus multidisziplinärer Sicht betrachtet werden. Wertvolle Beiträge leisten dazu die Bereiche Medizin, Neurowissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft zu Themen wie beispielsweise Befinden, Schlaf und Reisen, Trainingsmethodik und -steuerung. Dies alles hat Implikationen für angewandte und strategische Interventionen, um die Leistungserbringung zu stabilisieren und zur alten Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Ein weiteres Ziel ist die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden – im Sport und darüber hinaus.

Bild Michael Kellmann
Prof. Dr. Michael Kellmann, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs Sportpsychologie, Fakultät für Sportwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum © Kellmann
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