DZSM-MITTEILUNG

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20.04.2018

Schluss mit der „Tonnenideologie“ in der medizinischen Forschung! Qualität, nicht Quantität ist wichtig

Jeder Forscher möchte gern bedeutend sein. Wenn das nicht offensichtlich ist, möchte man wenigstens oft von den Fachgenossen zitiert werden. Dies ist eine wichtige Grundlage für die akademische Karriere.

Schluss mit der „Tonnenideologie“ in der medizinischen Forschung! Qualität, nicht Quantität ist wichtig
© DZSM 2018

Aber woran erkennt man die Bedeutung eines Wissenschaftlers wirklich? Bei Albert Einstein mit der Relativitätstheorie oder bei Alexander Fleming mit dem Penicillin ist das einfach. Aber wie ist das bei den vielen anderen, die immer nur kleine Schrittchen vorangekommen sind? Wenn sie oft von Kollegen zitiert wurden, könnte das ein Hinweis sein. Wie schafft man das? Man muss möglichst viele Artikel in Zeitschriften, die viel gelesen und zitiert werden, unterbringen. Um das zu quantifizieren, hat man verschiedene Faktoren erfunden. Als Maße für die Zitierhäufigkeit sind der Impact-Faktor und neuerdings oft der Hirsch-Index (h-Index) in Gebrauch. Dies wird allerdings mehr und mehr und mit guten Gründen kritisiert.

Zum Impact-Faktor habe ich bereits 2013 ein kritisches Editorial für diese Zeitschrift verfasst (2). Im vergangenen Jahr haben drei wissenschaftliche Akademien in Europa (Académie des Sciences, Leopoldina und Royal Society) eine gemeinsame Stellungnahme über die Bewertung von Wissenschaftlern und deren Leistung abgegeben (1). Ähnliche Vorstellungen findet man schon seit längerer Zeit in den Förderungsrichtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die ihr Präsident Peter Strohschneider 2017 in einer Rede (7) erläuterte. Auch in „Forschung und Lehre“, der Zeitschrift des Hochschulverbandes, sozusagen der Professorengewerkschaft, erscheinen viele kritische Kommentare (z. B. (8)).

Wesentliche Aussagen der Akademien

„Die Bewertung erfordert Überprüfung durch anerkannte Fachleute („peer review“), die mit höchsten ethischen Standards arbeiten und auf intellektuelle Verdienste und wissenschaftliche Fortschritte fokussieren. Bibliometrische Daten können nicht als Ersatz für Überprüfung durch Experten benutzt werden. Eine begründete Beurteilung ist wesentlich. Überbewertung von bibliometrischen Messgrößen kann wissenschaftliche Kreativität und Originalität schwer schädigen“ (1).

Was sind bibliometrische Messgrößen?

Es sind u. a. die oben erwähnten Größen: Sie messen, wie oft Artikel einer Zeitschrift oder eines bestimmten Forschers zitiert werden. Jahrelang, sehr oft noch heute, hat man sie recht bedenkenlos benutzt, um die Bedeutung von Wissenschaftlern zu „berechnen“.

Bild Dieter Böning
Prof. Dr. Dieter Böning, Vorsitzender Verein zur Förderung der Sportmedizin (VFSM) e.V. © Böning

Der Impact-Faktor

Die bekannteste Messgröße ist der Impact-Faktor. Er beschreibt, wie oft ein Aufsatz aus den vorangegangenen beiden Jahren in einem Journal im Durchschnitt im Berichtsjahr zitiert wurde; seltener werden die Zitationen für Artikel aus den letzten fünf Jahren gewertet. Er ist also eigentlich ein Maß für die Bedeutung einer Zeitschrift. Gelingt es mir, eine Veröffentlichung in Nature, Science, Lancet oder New England Journal of Medicine unterzubringen, bekomme ich dafür einen sehr hohen Impact-Faktor (40,1; 37,2; 47,8 und 72,4 im Jahr 2017) angerechnet, auch wenn ich selbst überhaupt nicht zitiert wurde. Die angebliche Bedeutung eines Forschers wird aus der Summe der Impact-Faktoren für seine Artikel abgeleitet.Warum ist der Impactfaktor der obengenannten Zeitschriften so hoch?

Sie nehmen nur Aufsätze oder auch Kurzmittteilungen an, die besonders wichtig zu sein scheinen; entsprechend werden sie häufig zitiert. In Nature und Science sind dies überwiegend Arbeiten aus den Naturwissenschaften. Die klinische Medizin kommt viel seltener vor. Seit 1869 gab es in Nature bei insgesamt 389 000 Beiträgen nur 1 878 aus der Inneren Medizin, 377 aus der Sportmedizin. Und was halten die Herausgeber bei der Sportmedizin für wichtig? Vor allem Doping und Genetik. In der fachübergreifenden medizinischen Zeitschrift Lancet (bestehend seit 1820) findet man ebenfalls sehr wenig Sportmedizin: 27 Mal erscheint in einem Artikeltitel Doping, 26 Mal Physical Training, sieben Mal Sports Injury.

Außerdem hängt der Impactfaktor in erheblichem Ausmaß von der Fachgröße ab. Die meisten Zeitschriften in kleinen Fächern wie der Sportmedizin, wo insgesamt weniger publiziert wird als z. B. in der Inneren Medizin, haben Mühe, den Wert 2 zu erreichen. Ebenfalls spielt die Sprache eine große Rolle; heutzutage muss man in Englisch schreiben, um international Beachtung zu finden.