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Fortsetzung Der kolumbianische Tour de France-Sieger Egan Bernal: Sportphysiologische Hintergründe

Demzufolge ist heutzutage ist die Bevölkerung stark mit überwiegend männlichen Einwanderern aus Spanien durchmischt (7), aber die bereits vorhandenen, in der Höhe vorteilhaften Allele verbreiten sich auch bei Neuankömmlingen. Die Nachkommen von Weißen und Indianern (Mestizen) leben vor allem im Hochland von Kolumbien. Da offensichtlich wenig Frauen den Konquistadoren folgten, stammen die mitochondrialen Gene überwiegend von Indianerinnen (10). Dies dürfte von zusätzlicher Bedeutung für die Hypoxieanpassung sein, da in den Mitochondrien die aerobe Adenosintriphosphatsynthese erfolgt. Egan Bernal sieht sehr indianisch aus, eine Genanalyse könnte abklären, welche leistungsrelevanten Allele aus dieser Gruppe er besitzt.

Unsere Arbeitsgruppe hat seit vielen Jahren enge Kontakte zu kolumbianischen Sportphysiologen und -medizinern vor allem in Bogotá, aus denen eine Reihe von Veröffentlichungen entstanden. U. a. wurden die Leistungsfähigkeit, die Atmung, der O2 und CO2-Transport im Blut, die Hämoglobinmasse und die Pufferung gegen Milchsäure bei Untrainierten und Trainierten in Deutschland und Kolumbien verglichen (2, 3, 5, 11). In Tabelle 1 ist eine Auswahl von Ergebnissen betr. Hämoglobin und maximale Sauerstoffaufnahme dargestellt. Die arterielle Sauerstoffsättigung in Ruhe liegt etwa 5-6% niedriger als in Deutschland. Die Hämoglobinmasse und damit das Erythrocytenvolumen sind sowohl bei Untrainierten wie bei Sportlern in Bogotá deutlich erhöht.

Vergleich Bluteigenschaften Sauerstoffaufnahme, deutsche und kolumbianische Männer
Bluteigenschaften und maximale Sauerstoffaufnahme von deutschen (Höhe 30-340m) und (Höhe 2600m) kolumbianischen Männern. SaO2=Sauerstoffsättigung in Ohrläppchenblut, ut=untrainiert. Mittelwerte + Standardabweichung. © DZSM 2019

Im Vergleich zu untrainierten Männern in Deutschland (11-12g/kg Körpergewicht) betrug die Hb-Masse in Bogotá über 13g/kg Körpergewicht, bei trainierten Läufern fast 15g/kg, bei sehr gut trainierten Radsportlern sogar 17,0g/kg. Das führt aber nicht zu einer sehr hohen Hb-Konzentration wegen einer gleichzeitigen Zunahme des Plasmavolumens – ein typischer Trainingseffekts in allen Höhenlagen! Die maximale Sauerstoffaufnahme erreichte bei den Sportlern 55,2 bzw. 69,9ml/(kg*min). Nach einer akuten Zunahme des inspiratorischen O2-Drucks auf den Wert in Meereshöhe dürften die Werte von Gebirgsbewohnern um weniger als 8% steigen (6), d. h. auf etwa 60 bzw. 76ml/(kg*min). Egan Bernal liegt noch wesentlich höher: Bei ihm wurden nach einem Zeitungsbericht in Mailand 88,8 ml/(kg*min) gemessen (9).

Das ist im Bereich der höchsten jemals beim Menschen gemessenen Werte. Im Gegensatz zu Hochlandbewohnern ist die Abnahme der maximalen Sauerstoffaufnahme bei Sportlern aus dem Tiefland viel stärker, nach Messungen von Clark et al. (4) schätzungsweise -18% bei einem Aufstieg auf 2600m Höhe. Das ist ein zusätzlicher Vorteil für Hochlandbewohner auf den Gebirgsetappen.

Eine Rolle dürfte auch das verstärkte Training der Atemmuskeln in Hypoxie spielen. Es vergrößert deren Ausdauer (8), so dass man später „außer Atem“ kommt. Es gibt also einige physiologische Gründe dafür, dass ein Kolumbianer so erfolgreich werden konnte. Der Rest ist Vorbereitung, Organisation und Psychologie. In Zukunft dürfen wir noch einiges von Egan Bernal erwarten. „Mucha suerte, Egan!“ (Viel Glück, Egan).

■ Böning D

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Quellen:

  1. Böning D. Physical exercise at altitude – acclimation and adaptation effects in highlanders on different continents. Dtsch Z Sportmed. 2019; 70: 135-140. doi:10.5960/dzsm.2019.379

  2. Böning D, Rojas J, Serrato M, Reyes O, Coy L, Mora M. Extracellular pH defense against lactic acid in untrained and trained altitude residents. Eur J Appl Physiol. 2008; 103: 127-137. doi:10.1007/s00421-008-0675-0

  3. Böning D, Rojas J, Serrato M, Ulloa C, Coy L, Mora M, Gomez J, Hütler M. Hemoglobin mass and peak oxygen uptake in untrained and trained residents of moderate altitude. Int J Sports Med. 2001; 22: 572-578. doi:10.1055/s-2001-18530

  4. Clark SA, Bourdon PC, Schmidt W, Singh B, Cable G, Onus KJ, Woolford SM, Stanef T, Gore GJ, Aughey GJ. The effect of acute simulated moderate altitude on power, performance and pacing strategies in well-trained cyclists. Eur J Appl Physiol. 2007; 102: 45-55. doi:10.1007/s00421-007-0554-0

  5. Cristancho E, Riveros A, Sanchez A, Penuela O, Böning D. Diurnal changes of arterial oxygen saturation and erythropoietin concentration in male and female highlanders. Physiol Rep. 2016; 4: e12901. doi:10.14814/phy2.12901

  6. Favier R, Spielvogel H, Desplanches D, Ferretti G, Kayser B, Hoppeler H. Maximal exercise performance in chronic hypoxia and acute normoxia in high-altitude natives. J Appl Physiol. 1995; 78: 1868-1874. doi:10.1152/jappl.1995.78.5.1868

  7. Jaramillo-Correa JP, Keyeux G, Ruiz-Garcia M, Rodas C, Bernal J. Population genetic analysis of the genes APOE, APOB(3‘VNTR) and ACE in some black and Amerindian communities from Colombia. Hum Hered. 2001; 52: 14-33. doi:10.1159/000053351

  8. Katayama K. Effects of respiratory muscle endurance training in hypoxia on running performance. Med Sci Sports Exerc. 2019; 51: 1477-1486. doi:10.1249/MSS.0000000000001929

  9. Llamas F. La ‚bestia‘ que viene. In: `Marca.com 2016. https://www.marca.com/ciclismo/2016/01/24/56a4fa71ca474159048b45c4.html [3rd September 2019].

  10. Rodas MC, Keyeux G, Gelvez N. Amerindian admixture in Afrocolombian and Mestizo populations as inferred from mitochondrial DNA haplogroup studies. Hum Biol. 2003; 75: 13-30. doi:10.1353/hub.2003.0026

  11. Schmidt W, Heinicke K, Rojas J, Gomez JM, Serrato M, Mora M, Wolfarth B, Schmid A, Keul J. Blood volume and hemoglobin mass in endurance athletes from moderate altitude. Med Sci Sports Exerc. 2002; 34: 1934-1940. doi:10.1097/00005768-200212000-00012