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Fortsetzung Dehnen und Faszientraining: Was bringt es für die sportliche Leistung?

Der Muskel wird durch Dehnen nicht länger

Lange Zeit glaubte man, dass durch Dehnungen ein Muskel verlängert werden könne. Inzwischen weiß man aber, dass in der Muskel-Sehnen-Einheit keine Längenänderung stattfindet. Titin, das neben Aktin und Myosin dritte wichtige Protein im Muskelfilament, verhält sich wie eine molekulare Feder und sorgt dafür, dass das Sarkomer nach einer Dehnung zu seiner optimalen Länge zurückkehrt. Vermutlich wird der Bewegungsradius durch ein Dehnprogramm erhöht, weil sich die Schmerzrezeptoren des tendo-muskulären Systems durch neuronale Steuermechanismen anpassen. Nicht der Muskel wird also länger, sondern der Dehnungsschmerz wird schwächer wahrgenommen.

Faszien – die heimlichen Leistungsträger

Bisher war überwiegend von Muskulatur die Rede. Doch es geht vielmehr um die Einheit und das Zusammenspiel aus Muskeln, Faszien und Sehnen. Richten wir unseren Blick daher weiter ins Körperinnere und auf das Bindegewebe, das für Bewegung maßgeblich benötigt wird.

Eine Faszie wird als flächiges, kollagenöses, spezialisiertes Bindegewebe definiert. Manche Faszien umschließen einen gesamten Muskel, andere umhüllen einzelne Kompartimente oder verbinden Elemente miteinander. Einige Faszien haben überwiegend eine Stütz- und Haltefunktion, andere sorgen für Flexibilität – manche »können« alles und passen sich entsprechend der Belastung an. Prof. Daniel Hahn und seine Mitarbeiter vom Lehr- und Forschungsbereich für Bewegungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum beschäftigen sich speziell mit Aponeurosen.

Das sind flächige fasziale Strukturen, die Muskeln im Inneren unterteilen, als Ansatz für die Muskelfasern dienen und in Sehnen übergehen. Durch Muskelaktivität können sie in der Längs- und Querrichtung gedehnt werden. »Man kann sich die Struktur am ehesten wie ein breites Gummiband vorstellen«, erklärt Prof. Hahn. »Wird ein Muskel passiv gedehnt, wird die Aponeurose länger und schmaler. Bei einer aktiven Dehnung, die beispielsweise während einer Bewegung entstehen kann, werden Aponeurosen aber gleichzeitig länger und breiter und dadurch steifer.«

Die Kräfte, die durch die Veränderung der elastischen Eigenschaften der Aponeurose entstehen, lassen sich noch nicht experimentell messen. Logisch erscheint jedoch, dass bei zunehmender Kraft mehr Energie in der Aponeurose gespeichert wird, welche bei Entlastung des Muskels schnell an ihn zurückgegeben werden kann. Man kann sich das vorstellen wie einen Ballon, in den Wasser gefüllt wird: Je mehr Wasser in den Ballon fließt, desto stärker wird die Hülle gespannt. Beendet man das Einfüllen, wird das Wasser entsprechend der Energie, die in der Ballonhülle gespeichert ist, wieder hinausgepresst. Bezüglich Bewegung und Sport bedeutet das, dass die unterschiedlich starke Kraft, die ein Muskel erzeugen kann, nicht ausschließlich von seiner Fähigkeit zur konzentrischen Kontraktion abhängt, sondern von der aktiven Dehnung, die bereits vor der konzentrischen Kontraktion auftritt.

»Gehe ich in die Hocke, wird die Oberschenkelmuskulatur aktiv gedehnt. Springe ich anschließend in die Höhe, folgt die konzentrische Kontraktion. Man spricht von einem Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus oder stretch shortening cycle«, erklärt der Bewegungswissenschaftler. Diese Form der Dehnung hat kaum etwas mit dem statischen Dehnen gemein. Die neue Vermutung, an der die Bochumer Wissenschaftler arbeiten, lautet: Größere Kraftentwicklung bei der Verkürzung (= konzentrische Kontraktion) mit aktiver Vordehnung ist im Vergleich zu einer konzentrischen Kontraktion ohne Vordehnung auch durch elastische Strukturen im Muskel wie z. B. Aponeurosen und Titin bedingt (4, 6). Versuchspersonen, bei denen der vordere Schienbeinmuskel, der Kniestrecker oder die Wade vor einer konzentrischen Kontraktion aktiv gedehnt wurden, konnten etwas mehr (1,2- bis 1,4-mal so viel) Kraft aufbringen als bei einer Kontraktion ohne vorausgegangene Dehnung. »Es entsteht also ein Kraftüberschuss und gleichzeitig wird auch noch weniger Energie verbraucht«, betont Prof. Hahn.

Professor Daniel Hahn, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für Bewegungswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Daniel Hahn, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für Bewegungswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum © Hahn
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