Sportkardiologie
EDITORIAL

Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“

Sports Cardiology Qualification

Die Kardiologie interessiert sich zunehmend für den Sport – sowohl wissenschaftlich als auch im praktischen Alltag.

Mittlerweile wird viel und hochrangig publiziert über Themen wie beispielsweise den plötzlichen Herztod beim Sport, physiologische Adaptationen und mögliche schädigende Effekte auf das Herz durch (Hoch-)Leistungs- bzw. Wettkampfsport oder – “ganz simpel“ – über das Sportler-EKG (4). Des Weiteren wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien zur körperlichen Aktivität in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie zum Training bei Patienten mit Herzinsuffizienz, KHK, ICD, Vorhofflimmern oder zuletzt auch nach Transaortaler Klappenimplantation (TAVI) publiziert (3). Für die Praxis können hieraus wichtige Rückschlüsse zur körperlichen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit kardialer Patienten gezogen sowie Trainingsempfehlungen für die kardiovaskuläre Prävention und Rehabilitation abgeleitet werden.
Doch Vieles, was zunächst einfach und banal erscheinen mag, kann in der Praxis bei der Beurteilung der Sporttauglichkeit Fragen aufwerfen und Probleme bereiten. Dies können zum Beispiel EKG-Veränderungen oder echokardiographisch grenzwertige Ventrikel- und Vorhofdimensionen und -funktionen von Sportlern sein: Ist die erhöhte ST-Strecke des in der Sprechstunde vorstelligen Sportlers physiologisch oder pathologisch? Passen die EKG-Veränderungen und echokardiographischen Befunde zur Sportart, zur Trainingsanamnese und zur Ethnie? Soll bei einem echokardiographischen Grauzonenbefund sicherheitshalber – oder eventuell gar aus rechtlichen Gründen – noch eine ergänzende Kardio-MRT erfolgen? Kann der Radiologe oder Kardiologe ohne entsprechende sportkardiologische Kenntnisse die kernspintomographischen Aufnahmen eines jungen Leistungssportlers richtig interpretieren? Soll im Zweifelsfall ein (Wettkampf-)Sportverbot ausgesprochen werden?
Aber nicht nur bei Leistungs- und Wettkampfsportlern können Fragen und Probleme auftauchen. Auch die Ermittlung von Trainingsempfehlungen und deren Umsetzung in der Prävention oder bei kardialen Patienten ist nicht einfach und banal: Welches Ergometrieprotokoll soll verwendet werden? Fahrrad- oder Laufbandergometrie? Sollen die Trainingsintensitäten über die maximale Herzfrequenz, die maximale Sauerstoffaufnahme oder besser über submaximale spiroergometrische Schwellen oder Laktatschwellen bestimmt werden? Soll nach der Dauermethode, der Intervallmethode oder gar der hochintensiven Intervallmethode (HIIT) trainiert werden? Ist Krafttraining sinnvoll und möglich? Braucht man für das Training ausgebildete Sporttherapeuten und wie soll der kardiale Patient zu Hause trainieren? Kann man den Patienten in ein Fitnessstudio schicken, da Herzsportgruppen-Training einmal pro Woche zu wenig ist?
Sportkardiologische Fragen gibt es viele. Deshalb wurde 2005 von Sportmedizinern die Arbeitsgruppe (AG) „Sportkardiologie“ in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK) gegründet.
Gut erinnere ich mich noch an das vorangegangene nette Telefonat mit dem damaligen Geschäftsführer der DGK, Professor Gunther Arnold, in dem ich die aus sportmedizinischer Sicht bestehende Notwendigkeit einer AG „Sportkardiologie“ schilderte. Da auch der Vorstand der DGK der Meinung war, dass hierfür Bedarf bestünde, erfolgte nach den ehemaligen AGs „Sportmedizin“ (1985) und „Körperliche Belastbarkeit bei nichtkoronaren Herzerkrankungen“ (1995) die „anstandslose Genehmigung“ der Neueinrichtung der AG „Sportkardiologie“.
Die erste Hauptsitzung der AG „Sportkardiologie“ wurde 2006 bei der Jahrestagung der DGK zum Thema „Kardiovaskuläre Sporttauglichkeitsuntersuchungen“ abgehalten und war so gut besucht, dass viele Zuhörer auf dem Boden des für ca. 250 Personen ausgelegten Saales saßen und der Projektor an der Decke aufgrund der Hitzeentwicklung im zu kleinen Saal zweimal kurz ausfiel.
Seither hat sich viel getan und die AG „Sportkardiologie“ hat durch zahlreiche, sehr gut besuchte Kongresssitzungen den Austausch zwischen Sportmedizinern und Kardiologen befruchtet. Ein im Jahr 2013 auf europäischer Ebene von der Sparte „European Association for Cardiovascular Prevention und Rehabilitation“ (EACPR) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) publiziertes Positionspapier für ein Curriculum zur Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ (1) wurde 2016 von der AG „Sportkardiologie“ kommentiert (2). Darüber hinaus wurde von der AG kürzlich ein Curriculum für eine Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ in Deutschland erstellt. Das Besondere daran ist im Vergleich zu bereits existierenden Zusatzqualifikationen der DGK, dass die Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ eine Kooperation der DGK und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP) darstellt und zum Erreichen der höchsten Qualifikationsstufe neben dem Facharzt für Kardiologie die Zusatzbezeichnung „Sportmedizin“ Voraussetzung ist.
Nach Prüfung des Curriculums durch den Wissenschaftsrat und das Präsidium der DGSP liegt dieses derzeit zur abschließenden Prüfung und Vereinheitlichung aller Zusatzqualifikationen der DGK vor, es handelt sich jedoch nur noch um eine Formalie.
Natürlich gab es ebenso Stimmen, die Sportmedizin gäbe durch die Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ einen Teil ihrer Kompetenz ab. Doch stehen die synergistischen Effekte im Vordergrund, denn beide Disziplinen lernen voneinander. Und dies ist aufgrund der zunehmenden Komplexität beider Disziplinen auch notwendig, geht es doch letztlich um das Wohl des Sportlers und des Patienten bei verschiedensten Fragestellungen.
Um Befunde von Leistungssportlern richtig einzuordnen und insbesondere falsch positive Befunde im diagnostischen Grauzonenbereich zu minimieren, muss der Kardiologe eine Mindestzahl von Untersuchungen an Leistungssportlern vorgenommen haben. Andererseits müssen kardiologisch tätige Sportmediziner pathologische kardiale Befunde rechtzeitig erkennen können, um keine falsch negativen Befunde bei Leistungssportlern mit beginnenden kardialen Pathologien zu generieren. Bei herzerkrankten Patienten sind zur korrekten Verordnung des Medikaments „Sport“ methodische und leistungsphysiologische Kenntnisse der Sportmedizin als auch der kardialen Krankheitsbilder unabdingbar, will man den Patienten richtig bewegungstherapieren und gleichzeitig keiner unnötigen Gefahr aussetzen.
Ein gutes Beispiel für die gelungene Kooperation zwischen Sportmedizin und Kardiologie sind die ambulanten kardiologischen Trainings- bzw. Rehabilitationszentren an den Universitätskliniken in Tübingen und Ulm, die beide durch die Abteilungen für Sportmedizin geleitet werden. Gute Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Sportmedizinern und Kardiologen im Leistungssport sind die Register zum Plötzlichen Herztod im Sport (SCD-Deutschland; www.scd-deutschland.de) und das Myokarditis-Register für Sporttreibende unter Leitung der sportmedizinischen Institute in Saarbrücken bzw. Tübingen.
Auch in Zukunft wird die Sportkardiologie eine wesentliche Säule der deutschen Sportmedizin bleiben. Die gemeinsame Zusatzqualifikation „Sportkardiologie“ von DGK und DGSP ist sicherlich wegweisend, denn von den synergistischen Effekten werden Sportler und Patienten gleichermaßen profitieren. Aber auch auf wissenschaftlichem Gebiet dürfte ein intensivierter Austausch zwischen Sportmedizinern und Kardiologen zu vermehrten gemeinsamen Studien und Publikationen und somit zur Klärung vieler noch offener Fragen führen.

LITERATUR

  1. HEIDBÜCHEL H, PAPADAKIS M, PANHUYZEN-GOEDKOOP N, CARRÉ F, DUGMORE D, MELLWIG KP, RASMUSEN HK, SOLBERG EE, BORJESSON M, CORRADO D, PELLICCIA A, SHARMA S; SPORTS CARDIOLOGY SECTION OF EUROPEAN ASSOCIATION FOR CARDIOVASCULAR PREVENTION AND REHABILITATION (EACPR) OF EUROPEAN SOCIETY OF CARDIOLOGY (ESC). Sports Cardiology Section of European Association for Cardiovascular Prevention and Rehabilitation (EACPR) of European Society of Cardiology (ESC). Position paper: proposal for a core curriculum for a European SportsCardiology qualification. Eur J Prev Cardiol. 2013; 20: 889-903.
    doi:10.1177/2047487312446673
  2. NIEBAUER J, PRESSLER P, BURGSTAHLER C, SCHARHAG J, BERRISCHRAHMELS, MÖHLENKAMP S, SCHMERMUND A, MELLWIG KP, LÖLLGEN H, HALLE M. Kommentar zum Positionspapier der EACPR zur Etablierung eines europaweiten Curriculums für eine Zusatzqualifikation Sportkardiologie. Kardiologe. 2016; 10: 9-23.
    doi:10.1007/s12181-015-0034-4
  3. PRESSLER A, CHRISTLE JW, LECHNER B, GRABS V, HALLER B, HETTICH I,JOCHHEIM D, MEHILLI J, LANGE R, BLEIZIFFER S, HALLE M. Exercise training improves exercise capacity and quality of life after transcatheter aortic valve implantation: A randomized pilot trial. Am Heart J. 2016; 182: 44-53.
    doi:10.1016/j.ahj.2016.08.007
  4. SHARMA S, DREZNER JA, BAGGISH A, PAPADAKIS M, WILSON MG, PRUTKIN JM, LA GERCHE A, ACKERMAN MJ, BORJESSON M, SALERNO JC, ASIF IM, OWENS DS, CHUNG EH, EMERY MS, FROELICHER VF, HEIDBUCHEL H, ADAMUZ C, ASPLUND CA, COHEN G, HARMON KG, MAREK JC, MOLOSSI S, NIEBAUER J, PELTO HF, PEREZ MV, RIDING NR, SAAREL T, SCHMIED CM, SHIPON DM, STEIN R, VETTER VL, PELLICCIA A, CORRADO D. International recommendations for electrocardiographic interpretation in athletes. Eur Heart J. 2017 [Epub ahead of print].
    doi:10.1093/eurheartj/ehw631
Prof. Dr. med. Jürgen Scharhag
Zentrum für Prävention und Sportmedizin
Klinikum rechts der Isar, Technische Universität
München, Georg-Brauchle-Ring 56
(Campus C), 80992 München
scharhag@gmx.de