Sportorthopädie
EDITORIAL

Ein Plädoyer für überzeugende Empfehlungen zur Sport- und Bewegungstherapie bei Arthrose

Appeal towards Convincing Exercise Recommendations for Patients with Osteoarthritis

Die Sport- und Bewegungstherapie (SBT) gehört zu den zentralen Elementen der konservativen Therapie der Gon- und Coxarthrose. In einem vorausgehenden Beitrag der DZSM wurde bereits auf Wirksamkeit und Anwendungsmodalitäten dieser Therapieform eingegangen (11). Dabei hat der behandelnde Arzt bei der Indikation zur Therapie eine tragende Rolle, da er die Initiierung, Aufrechterhaltung und auch den Effekt der SBT maßgeblich beeinflussen kann.

In diesem Editorial sollen zwei Punkte ganz besonders hervorgehoben werden: (a) die Bestärkung des Patienten zur Aufnahme der Therapie und (b) die dem Arzt-Patienten-Gespräch zuzuschreibenden psychosozialen Kontextfaktoren, die im Sinne eines Placebo-Effekts die physiologische Wirkung der aktiven Substanz SBT zusätzlich verstärken können.Zu (a): Die Empfehlung des Arztes zur SBT ist für viele Patienten die ausschlaggebende Motivation, ein regelmäßiges Training aufzunehmen (14). Auch wenn das Training langfristig gesehen in der Eigenverantwortung des Patienten liegen sollte, spielen Ärzte und weitere Vertreter der Heilberufe demnach gerade zu Beginn der Therapie eine entscheidende Rolle. Nicht nur, um die Übungen richtig auszuwählen und zu dosieren, sondern auch, um die Patienten in ihrem Tun zu bestärken und ihnen die Angst vor der Bewegung und Aktivität zu nehmen. Während die konkrete Betreuung des Trainings vor allem Aufgabe der Sport-, Bewegungs- oder Physiotherapeuten ist, stellt die Überzeugungsarbeit eine wichtige Aufgabe des Arztes dar.
Welche Voraussetzungen können nun im Arzt-Patienten-Gespräch geschaffen werden, um die Intention des Patienten zur SBT auszubilden bzw. zu stärken? Verschiedene Faktoren haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung zur körperlichen Aktivität. Eine wichtige Determinante ist hierbei die Konsequenzerwartung (15). Sie spiegelt die persönliche Einschätzung des Patienten wider, welche Konsequenzen die Änderung des Verhaltens hat. Der Patient muss also davon überzeugt sein bzw. werden, dass die SBT zu einer Beschwerdelinderung führt. Die Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen einhergehend mit der Information über den Umgang mit anfänglichen Beschwerden können dem gegenüber die Angst vor negativen Konsequenzen nehmen (11).
Sport- und bewegungserfahrenen Patienten mit Arthrose fällt es häufig leichter, eine gesundheitsförderliche Aktivität in Angriff zu nehmen. Gerade aber sportlich unerfahrene Patienten sind zur Änderung des Lebensstils auf die Unterstützung anderer angewiesen. Dies gilt in besonderem Maße für inaktive, ältere Personen, deren Arthrose weiter fortgeschritten ist oder die unter weiteren Erkrankungen leiden (4). Es ist wichtig, dass gerade auch diese Personen über den Nutzen der SBT informiert werden und dass ihnen die Angst vor der Bewegung genommen wird. Unter Anleitung können Patienten zunächst an das Training herangeführt werden, beispielsweise in einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme oder unter Supervision eines Physiotherapeuten im Rahmen der Einzeltherapie oder Krankengymnastik am Gerät. Die Sport- und Bewegungstherapie wird unabhängig vom Alter, Schweregrad der Erkrankung oder bestehenden Begleiterkrankungen für alle Patienten mit Hüft- oder Kniearthrose empfohlen (1, 7, 13). Dabei sind natürlich Kontraindikationen bestehender Begleiterkrankungen und die aktuelle Beschwerdesymptomatik der Arthrose bei der Auswahl und Dosierung der Übungsinhalte zu berücksichtigen. Auch Wünsche und Präferenzen des Patienten sollten bei der Gestaltung des Trainings Eingang finden (1, 3, 4, 7, 11).
Punkt (b) betrifft den Einfluss psychosozialer Kontextfaktoren auf die Effektivität einer Intervention. SBT wirkt bei Arthrose, auch gegenüber einer Placebo-Intervention mit Scheinultraschall (10). Die Therapieform hält demnach einen aktiven Wirkstoff vor. Auch Placebointerventionen zeigen bei Arthrose relevante Wirkungen mit Effektstärken zwischen 0,5 und 0,7. Hierbei gilt: je invasiver das Verfahren und je teurer, desto effektiver (5). Invasiv und teuer – zwei Attribute, die auf die Sporttherapie im Normalfall nicht zutreffen sollten. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Behandlungserfolg unter anderem vom psycho-sozialen Kontext der Arzt-Patienten-Beziehung abhängt. Vielfach wird der Begriff der Kontext-Effekte synonym für den Begriff Placebo verwendet und als möglicher Verstärker der Wirkmechanismen einer Therapie genannt (2, 5). Dieser Kontext, die Bestärkung des Patienten in die Effektivität des Trainings und die Befreiung des Patienten von Ängsten, werden in der Placeboforschung als äußerst relevant beschrieben und lassen sich 1:1 auf die Sport- und Bewegungstherapie bei Arthrose beziehen. Konkret bedeutet dies, dass die Behandlung wirksamer ist, wenn ein freundliches Klima zwischen Arzt und Patient besteht, wenn eine klare Diagnose benannt ist und ein positiver Verlauf versichert wird. Die Überzeugung des Arztes in die Wirksamkeit der Therapie hinsichtlich Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung ist hierbei zentral. Ängste des Patienten vor Schmerzen durch körperliche Aktivität können wie zuvor beschrieben durch den Arzt genommen oder reduziert werden. Die grundsätzliche Aussage, dass es sich bei der Sport- und Bewegungstherapie um eine nebenwirkungsarme Anwendung handelt, kann Patienten zusätzlich Sicherheit geben (5, 10, 11, 12).
Für viele Ärzte stellen mangelnde Kenntnisse über bestehende Angebote vor Ort eine Hemmschwelle dar, Selbstmanagementangebote und Lebensstilinterventionen wie die SBT zu befürworten und explizit zu empfehlen (6). Die Kenntnis über mögliche Formen der Sporttherapie bzw. über Anbieter, die patientenorientierte Angebote vorhalten, ist demnach ein wichtiger Faktor für eine erfolgversprechende Empfehlung zur Therapie. An dieser Stelle soll deshalb auf Literaturangaben verwiesen werden, die detaillierte Informationen zu beispielhaften Trainingsprogrammen (1, 3, 8,9) und möglichen Anbietern Arthrose-spezifischer Übungsgruppen beinhalten (9, 12). Ich würde mir im Sinne der interdisziplinären Zusammenarbeit von Ärzten, Therapeuten und Patienten wünschen, dass der vorliegende Beitrag das Bewusstsein für die wichtige Funktion der Ärzte bei der Verordnung und Supervision der SBT stärken kann.

LITERATUR

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  3. BROSSEAU L, TAKI J, DESJARDINS B, THEVENOT O, FRANSEN M, WELLS GA,MIZUSAKI IA, TOUPIN-APRIL K, WESTBY M, VAREZ GALLARDO IC,GIFFORD, W, LAFERRIERE L, RAHMAN P, LOEW L, DE AG, CAVALLO S,SHALLWANI SM, ABURUB A, BENNELL KL, VAN DER EM, SIMIC M,MCCONNELL S, HARMER A, KENNY GP, PATERSON G, REGNAUX JP,LEFEVRE-COLAU MM, MCLEAN, L. Part two: strengtheningexercise programs. Clin Rehabil. 2017; 31: 596-611.
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  4. DOBSON F, BENNELL KL, FRENCH SD, NICOLSON PJ, KLAASMAN RN,HOLDEN MA, ATKINS L, HINMAN RS. Barriers and Facilitatorsto Exercise Participation in People with Hip and/or KneeOsteoarthritis: Synthesis of the Literature Using BehaviorChange Theory. Am J Phys Med Rehabil. 2016; 95: 372-389.
  5. DOHERTY M, DIEPPE P. The „placebo“ response in osteoarthritis andits implications for clinical practice. Osteoarthritis Cartilage.2009; 17: 1255-1262.
    doi:10.1016/j.joca.2009.03.023
  6. EGERTON T, DIAMOND LE, BUCHBINDER R, BENNELL KL, SLADE SC. Asystematic review and evidence synthesis of qualitative studiesto identify primary care clinicians‘ barriers and enablers to themanagement of osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. 2017; 25:625-638.
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  8. HAUPT G, JANSSEN P, KRAUSS I, STEINHILBER B. Das TübingerHüftkonzept. 1. Auflage (2014) 1 - 176.
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  12. KRAUSS I, JANSSEN P. (Sport)therapie und Arthrose. Orthopädischeund Unfallchirurgische Praxis. 2015; 4: 230-235.
  13. MCALINDON TE, BANNURU RR, SULLIVAN MC, ARDEN NK, BERENBAUM F,BIERMA-ZEINSTRA SM, HAWKER GA, HENROTIN Y, HUNTER DJ,KAWAGUCHI H, KWOH K, LOHMANDER S, RANNOU F, ROOS EM,UNDERWOOD M. OARSI guidelines for the non-surgicalmanagement of knee osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage.2014; 22: 363-388.
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    doi:10.1002/acr.23104
Prof. Dr. rer. soc. Inga Krauß
Arbeitsgruppe Biomechanik/Trainingswissenschaft,
Medizinische Universitätsklinik
Tübingen, Abteilung Sportmedizin
Hoppe-Seyler-Str. 6, 72076 Tübingen
Inga.Krauss@med.uni-tuebingen.de