Sportmedizin im Wandel
ORIGINALIA
Gesundheitsförderung für Menschen mit geistiger Behinderung

Betriebliche Gesundheitsförderung für Menschen mit geistiger Behinderung

Workplace Health Promotion for People with Mental Disabilities

ZUSAMMENFASSUNG

Problemstellung: Geistig behinderte Menschen weisen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Ziel der vorliegenden Studie war es, durch spezifische Arbeitsplatzprogramme kardiometabolische Risikofaktoren zu reduzieren.
Methoden: Im Rahmen des initialen sechsmonatigen Studienabschnittes wurden die Daten von zwei sportlich aktiven Gruppen (Krafttraining (KT): n=35; Herz-Kreislauf-Training (HK): n=37), einer semiaktiven Kontrollgruppe (Ganzkörpervibration (SKG): n=39) und einer sportlich inaktiven Kontrollgruppe (KG: n=38) verglichen. Die randomisierte Untersuchung wurde in acht Werkstätten für geistig behinderte Menschen in Bayern durchgeführt. Primärer Studienendpunkt war der Metabolisches Syndrom (MetS)-Z-Score, sekundäre Endpunkte Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Trainingsprogramme.
Ergebnisse: Nach 6-monatigem Interventionszeitraum betrug die Aussteigerrate 4%, allerdings konnten weitere 10% krankheits-, urlaubs- oder schwangerschaftsbedingt nicht an der Kontrollmessung teilnehmen. Das Herz-Kreislauf-Training zeigte einen signifikanten Effekt (p=.009) für den Risikocluster Metabolisches Syndrom (Z-Score), während KT- und SKG-Gruppe keinen Unterschied zur KG aufwiesen (p≥.153). Zwischen den aktiven/semiaktiven Trainingsgruppen zeigten sich keine Unterschiede (p≥.439). Die Interventionen der aktiven Gruppen wurden mit hoher Anwesenheitsrate (91±4%) und Akzeptanz begleitet. Allerdings konnten nur 26% (KT) bzw. 54% (HK) der Teilnehmer eine selbstständige Durchführung des Trainings realisieren.
Diskussion: Die initiale Projektphase zeigt, dass ein ausdauerorientiertes, mit geringem räumlichen und Geräte-Aufwand betriebenes gesundheitssportliches Programm im Setting der Werkstatt für geistig behinderte Menschen das erhöhte kardiometabolische Risiko dieser Gruppe signifikant senken kann. Bei hoher Akzeptanz des Programms ist die selbstständige Durchführung für die Mehrzahl der Teilnehmer nicht möglich, sodass eine Realisierung der Maßnahme im betreuten Gruppenrahmen empfohlen wird.

SCHLÜSSELWÖRTER: Geistige Behinderung, Gesundheitsförderung, Metabolisches Syndrom, Behindertenwerkstatt

SUMMARY

Background: People with mental disabilities have an increased risk of cardio-metabolic diseases. Accordingly, the aim of the study was to reduce the Metabolic Syndrome through specific workplace programs.
Methods: The effects of two exercise interventions (resistance training (KT): n=35; cardio-metabolic training (HK): n=37), compared toan inactive (KG: n=38) and a semi-active control-group (whole-body-vibration (SKG): n=39) on cardio-metabolic risk were analyzed in people with mental disabilities. Primary study-endpoint was the Metabolic Syndrome (MetS)-Z-Score, secondary endpoints were attendance, acceptance and subjects’ capability to carry out the training independently.
Results: After 6 months,drop-out rate averaged only 4% , but a further 10% were unavailable for follow-up tests due to diseases, vacation or pregnancy. Only the HK-group achieved significant effects (p=.009), while the KT and SKG did not differ significantly from KG (p≥.153). Further, no significant differences were determined between the exercise/SKG-groups (p≥.439). Both exercise interventions recorded high attendance and acceptance; on the other hand, independent realization of the training failed in the majority of cases (60% of the participants).
Conclusion: The initial project phase determined the effectiveness on cardio-metabolic risk-factors of an endurance-type workplace exercise training conducted with people with mental disabilities. In order to underpin feasibility, the demand for rooms or materials was kept low. However, since most of the participants had problems exercising autonomously, consistently supervised exercise program is strongly recommended in order to generate sustainable effects in this vulnerable cohort.

KEY WORDS: Mental Disability, Health Promotion, Metabolic Syndrome, Sheltered Workshop

EINLEITUNG

Im Jahr 2015 zählte die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) insgesamt 306 500 Menschen mit Behinderung, die deutschlandweit in 2705 Werkstätten beschäftigt sind. Davon haben ca. 97% eine geistige oder psychische Behinderung (2). Menschen mit geistiger Behinderung haben einen schlechteren Zugang zu Sportangeboten, wie sie bspw. in Fitnessstudios oder Sportvereinen durchgeführt werden (Übersicht in (4)). Diese negative Situation eines weitgehend fehlenden Körpertrainings ist sicherlich ein Grund, dass geistig behinderte Menschen eine geringere kardiovaskuläre und muskuläre Leistungsfähigkeit, Rückenbeschwerden und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen (9, 23). Körperliches Training gilt als Schutzfaktor zur Vermeidung kardiometabolischer Risiken in der Gesamtbevölkerung (7, 24). Neben dem in diesem Zusammenhang favorisiert durchgeführten Ausdauertraining tritt ein (Kraft-)Training durch seine positiven Effekte auf die Muskelmasse, -funktion und korrespondierenden kardiometabolischen Konsequenzen zunehmend in den Vordergrund (27, 28). Da sich die grundsätzlichen Anpassungserscheinungen der Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Flexibilität bei geistig behinderten Menschen nicht von denen ohne Behinderung unterscheiden, sind ähnliche sportinduzierte Effekte auf kardiometabolische Größen zu erwarten (26).
Aufgrund des erhöhten Risikos für kardiometabolische Erkrankungen, dem generell schlechteren Zugang zu sportlichen Angeboten und der spezifischen Beschäftigungssituation vieler geistig behinderter Menschen in der „Werkstatt“ besteht für dieses Kollektiv ein besonderer Bedarf für gezielte Sportangebote und einer dadurch resultierenden Gesundheitsförderung. Neben der Effektivität der Intervention ist in diesem sensiblen Kollektiv verstärkt auf die interventionsrelevanten Größen Attraktivität und Umsetzbarkeit („Feasibility“) der Maßnahme durch die TeilnehmerInnen zu achten.

PROBLEM UND ZIELSTELLUNG

Ziel des vorliegenden ersten 6-monatigen Projektabschnittes war die Effektivitätsprüfung zweier Interventionsmaßnahmen mit unterschiedlichen Schwerpunkten bzw. Adressaten (Muskel-Skelett- versus kardiometabolisches System) auf das Metabolische Syndrom, die Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Maßnahme als Bewegungsangebot vor Ort. Als valider und reagibler Risikocluster kardiometabolischer Ereignisse wurde der Metabolisches Syndrom Z-Score ausgewählt (1, 21, 22). Folgende Hypothesen werden überprüft:
Primäre Hypothesen: (1) Beide aktiven Interventionsformen, Muskel- und Herz-Kreislauftraining, zeigen einen signifikant positiven Effekt auf den Metabolisches Syndrom-Z-Score (MetSZ-Score) bei Menschen mit geistiger Behinderung im Vergleich zu einer inaktiven Kontrollgruppe (10).
Sekundäre Hypothesen: (2a) Beide aktiven Interventionsformen (s. o.) zeigen einen signifikant positiven Effekt auf den MetS-Z-Score (10) im Vergleich zu einer semiaktiven Kontrollgruppe (Vibrationsgruppe). (2b) Alle aktiven und semiaktiven Interventionsformen werden mit hoher Akzeptanz begleitet. (2c) Eine eigenständige Umsetzung der Arbeitsplatzprogramme im Setting Behindertenwerkstatt kann vom Großteil (80%) der TeilnehmerInnen realisiert werden.

MATERIAL UND METHODE

Studiendesign
Die vorliegende Untersuchung ist eine blockrandomisierte kontrollierte Studie im Parallelgruppendesign mit vier Studienarmen und 18 Monaten Interventionsdauer (Abb. 1). Studienbeginn war im Juli 2014. Ziel der Untersuchung ist die Evaluierung eines Gesundheitssportangebotes für geistig behinderte Menschen im Setting „Werkstatt“, mit dem Ziel der Reduktion gesundheitlicher Risikofaktoren und Steigerung der Leistungsfähigkeit. Betriebs- bzw. volkswirtschaftliche Ziele der Untersuchung sind neben einer Senkung des Krankenstandes ein physisches „Empowerment“ zur beruflichen Inklusion geistig behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Das Projekt wurde vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern e.V. (BVS-Bayern) und dem Institut für Medizinische Physik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) initiiert und von der Ethikkommission der FAU (Ethik-Antrag 105_13B) genehmigt. Alle gesetzlichen Vertreter der Teilnehmer gaben ihre schriftliche Einwilligung ab. Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf die erste Projektphase und einen Interventionszeitraum von insgesamt sechs Monaten und fokussiert das kardiometabolische Erkrankungsrisiko.

Studien-Endpunkte
- Primärer Endpunkt: Metabolisches Syndrom-Z-Score (6, 10)
- Sekundäre Endpunkte: Akzeptanz, eigenständige Umsetzung des Programms

Stichprobe
Insgesamt wurden bayernweit 91 Werkstätten schriftlich, mit Angabe der für die Projektteilnahme notwendigen personellen und räumlichen Voraussetzungen, eingeladen; 14 Werkstätten meldeten sich auf das Anschreiben. Nach Anwendung des Einschlusskriteriums „Anzahl eligibler TeilnehmerInnen>n=20“ erfüllten acht Werkstätten die Voraussetzungen und konnten am Projekt teilnehmen (Abb. 1).
Aus organisatorischen und infrastrukturellen Gründen erfolgte die randomisierte Zuordnung in die Gruppen nicht auf TeilnehmerInnen-Ebene, sondern als „Blockrandomisierung“ auf Basis der Werkstatt. Nach Anwendung eines Losverfahrens wurden jeweils zwei Werkstätten den aktiven Gruppen (Studienarm KT (Rücken-/Muskeltraining) und Studienarm HK (Herz-Kreislauf-Training)), zwei Werkstätten der semiaktiven Kontrollgruppe (SKG (Vibrationsplattentraining)) sowie zwei Werkstätten der Kontrollgruppe (Kontrollgruppe, KG) zugewiesen.
Die Teilnahme am Projekt erfolgte freiwillig. Als Einschlusskriterien für die Teilnehmer (TN) der Einrichtung galten: (a) Lebensalter 20-50 Jahre; (b) Menschen mit geistiger Behinderung (Grad der Behinderung zwischen 55 und 100; d.h. mittelschwere bis schwere Beeinträchtigung). Ausschlusskriterien für die TN waren: (a) Mitarbeiter aus Fördergruppen (Betreuungsverhältnis 1:6); (b) Relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen; (c) Fehltage in den vergangenen 6 Monaten >5 Tage/Monat; (d) Kontraindikatoren für ein Vibrationstraining (bspw. Netzhautablösung, künstliche Gelenke, Thrombosen) und (e) Sportumfang ≥2h/Woche während des letzten Jahres. Von den final eligiblen 153 Frauen und Männern erklärten sich 149 Personen bereit, an der Untersuchung teilzunehmen (Abb. 1). Die geistig und z. T. psychisch behinderten TN arbeiteten überwiegend in den Bereichen Metall- und Holzverarbeitung, Montage, Konfektion und Gartenbau. Tabelle 2 zeigt die basalen Charakteristika der TN.

Intervention
Beide Studienarme wurden in Form eines Zirkeltrainings mit unterschiedlichen Schwerpunkten (kraft- vs. ausdauerorientiert) realisiert. Es wurden zwei Trainingseinheiten (TE)/Woche über einen Zeitraum von 6 Monaten durchgeführt. Nach 4-wöchigem Test- und Konditionierungszeitraum, in dem die Trainingsinhalte u. a. an die geistige und physische Leistungsfähigkeit der TN angepasst wurden, betrug die Dauer einer TE 30min. Nach 20 Wochen wurde die Dauer der TE durch Implementierung einer „Spielsequenz“ mit Fokus auf koordinative Fähigkeiten auf 45 min/TE (Woche 21-27) erhöht. Aufgrund der unterschiedlichen körperlichen Leistungsfähigkeit der TN wurden die Übungen des Kraft- und Ausdauerzirkels in den Ausführungen leicht, mittel und schwer vorgegeben, sodass jeder Teilnehmer eine angemessene Belastung generieren konnte.
Tabelle 1 zeigt das Trainingsprotokoll der beiden aktiven Studiengruppen in der Übersicht. Studienarm KT absolvierte ein Krafttraining für große Muskelgruppen, Studienarm HK führte ein ausdauerorientiertes Zirkeltraining zur Verbesserung der aeroben Ausdauer durch. Die Reizhöhe wurde mittels subjektivem Belastungsempfinden (SBE) auf einer siebenstufigen Skala (angelehnt an die Wong-BakerSkala (31)) gesteuert. Zur visuellen Unterstützung der TN wurden Stationskarten angebracht, die zur Intensitätsvorgabe mit einem farblich hervorgehobenen Skalenwert versehen waren. Differenziert wurde hierbei wie folgt: sehr leicht (1), leicht (2), eher leicht (3) etwas anstrengend (4), eher anstrengend (5), anstrengend (6), sehr anstrengend (7).
Die TE wurden durch einen beruflich qualifizierten Übungsleiter (ÜL; Diplomsportlehrer oder Fitnessökonom mit einschlägigen Zusatzqualifikationen) in einem geeigneten Raum der Werkstatt angeleitet. Die Gruppengröße belief sich auf maximal 8 TN. Anwesenheit und Compliance mit dem Trainingsprotokoll wurden vom ÜL beobachtet und aufgezeichnet.
Durch den modellhaften Charakter dieses Multicenter-Projektes bedingt, wurde besonderes Augenmerk auf das Qualitätsmanagement-Konzept gelegt. Im Bereich Strukturqualität wurden die ÜL in mehrstündigen Kompaktseminaren mit den genauen Inhalten des Trainingsprotokolls vertraut gemacht. Die ÜL erhielten das notwendige Arbeitsmaterial, bestehend aus Trainingshilfsmitteln (Kleingeräte, Instruktionsmaterial), einem Kursmanual sowie Dokumentationshilfen für den Übungsbetrieb. Zur Sicherstellung der Vermittlungsqualität der Trainingsinhalte wurde den ÜL zusätzlich eine Informationsplattform im Internet bereitgestellt. Hier wurden aktuelle Belastungsprotokolle veröffentlicht und alle Übungsbeschreibungen videobasiert veranschaulicht. Zur Sicherstellung der prozessbezogenen Qualität der Programme wurden nach 3 Monaten „Audits“ des Übungsbetriebs eingeführt. Die Auditierung erfolgte durch die Studienleitung nach Terminabsprache mit den Gruppen. Die Bewertung erfolgte protokollgestützt und umfasste u. a. Aspekte zur Trainingsorganisation, zum didaktisch-methodischen Vorgehen, zur Umsetzung der Belastungsvorgaben sowie Trainingsbeteiligung und Notfallvorsorge. Die Ergebnisse wurden mit den ÜL vor Ort besprochen und die optimierten Inhalte im weiteren Verlauf umgesetzt.

Studienarm KT
Studienarm KT führte ein Zirkeltraining mit acht dynamischen Körperübungen für alle großen Muskelgruppen unter Einsatz verschiedener Kleingeräte durch. Abb. 2 zeigt einen Kraftzirkel in der Ausführung.
Zielsetzung von Trainingsabschnitt I (4 Wochen) war die Gerätegewöhnung, Körperwahrnehmung und allgemeine Konditionierung. Die Reizintensität wurde stationsübergreifend mit eher leicht bis etwas anstrengend (3-4) vorgegeben (Tab. 1). Neben der Ganzkörperkräftigung war die Entwicklung der Rumpfstabilität Schwerpunkt von Trainingsabschnitt II (20 Wochen). Die Intensitätsvorgabe variierte zwischen den Stationen im Bereich etwas anstrengend bis anstrengend (SBE 4-6; Tab. 1). Eine Validierung der SBE-Vorgabe (n=5) zeigte bei SBE 5 (eher anstrengend) und einer Anzahl von 10 Wdh in 50s (siehe Tab. 1) eine Reizintensität von 60-65% des Einwiederholungsmaximums (1RM). Durch Manipulation der Intensität im Sinne unterschiedlich hoher Belastungsvorgaben je Station und Änderung der Reihenfolge der Übungen, u. a. zur Generierung von „Supersätzen“, wurde eine variierende Gesamtbelastung der TE im Sinne einer nicht-linearen Trainingsperiodisierung generiert. Eine Ausbelastung des TN war jedoch zu keinem Zeitpunkt vorgesehen und wurde vom ÜL konsistent überwacht und verhindert.

Studienarm HK
Studienarm HK absolvierte ein intensitätsorientiertes AusdauerZirkeltraining, bestehend aus 8 Laufübungen und dynamischen Ganzkörperübungen mit verschiedenen Kleingeräten wie Balance-Pads, Vibrationshanteln oder Stepper. Typische Übungen waren bspw. schnelles Auf-/Absteigen (Stepper), schnelles Traben auf dem Balancepad, Fußgelenksarbeit auf der Gymnastikmatte, Tapping-Variationen und/oder „V“-Kniebeugen mit der Vibrationshantel. Schwerpunkte von Trainingsabschnitt I waren Übungsausführung und Körperwahrnehmung. Die Intensität wurde auf SBE 3-4 (Tab. 1) festgelegt.
In Trainingsabschnitt II wurde die Intensitätsvorgabe variierend auf SBE 4-6 und der Umfang von 1 auf 2 Sätze erhöht (Tab. 1). Vergleichbar dem KT-Protokoll erfolgte eine Erhöhung der Gesamtbelastung der TE durch Manipulation der Intensität aufeinanderfolgender Stationen. Eine Ausbelastung des TN war wie im KT nicht vorgesehen. Eine Validierung der SBE-Vorgabe (n=5) zeigte bei SBE 6 (anstrengend) eine Reizintensität im Bereich 70-80% der maximalen Herzfrequenz (Radergometrie bis zur subjektiven Erschöpfung).

Semiaktive Kontrollgruppe und Kontrollgruppe
Die semiaktive Kontrollgruppe absolvierte ein GanzkörperVibrations- (WBV) Training mit Vibrationsplattformen der Firma Qionic/Wellengang (Ötisheim, Deutschland). Die Applikation wurde mit einer Frequenz zwischen 10-12Hz und einer Amplitude zwischen 1,5-2,5mm durchgeführt. Nach mehrfacher Einweisung in die vereinfachte WBV-Gerätebedienung durch den Gruppenleiter realisierten die TN weitgehend selbstständig 2 TE/Woche à 10min in Zweiergruppen (auf zwei Vibrationsplatten). Alle durchzuführenden Übungen wurden mittels vor Ort installierten Bildkarten dargestellt und grafisch erläutert.
Typische Übungen während der ersten 6 Monate waren bspw. Stabilitätsübungen wie lockeres Stehen und leichte Kniebeugen (Beugung <35°), die konsistent ohne Zusatzlast auf der Platte durchgeführt wurden sowie Lockerungsübungen. Jede Übung dauerte 1min. Die Schwerpunkte lagen auf der Gerätegewöhnung, Lockerung und Mobilisation der Wirbelsäule.
Die Kontrollgruppe führte während der sechsmonatigen Interventionsphase weiterhin unverändert ihre körperlichen Aktivitäten durch. Eine Studienintervention erfolgte in dieser Gruppe nicht.

Mess-Instrumentarium
Pro Standort wurden die Messungen an zwei Tagen in identischer Reihenfolge, in denselben Räumlichkeiten und von denselben Untersuchern durchgeführt. Die Messphasen wurden zum Zeitpunkt T0 (basal) und T1 (nach 6 Monaten) durchgeführt.

Anthropometrische Daten
Mittels geeichter Geräte wurden Größe und Körpergewicht bestimmt und daraus der BMI (kg/m²) berechnet. Mit einem Maßband wurde der Taillenumfang an der schmalsten Stelle gemessen. Fettfreie Masse, Körperfett und Knochenmasse wurde mittels segmentaler Mehrfrequenz-BioImpedanz-Analyse (BIA) Waage (Inbody 230, Inbody, Seoul, Korea) erfasst. Der Variationskoeffizient (Interrater Reliabilität, ICC; unjustiertes Modell vgl. (30)) für die LBM (Lean Body Mass) liegt in der Einrichtung bei 0.91 und somit in einem sehr hohen Bereich. Ein Vergleich des BIA-Gerätes mit dem Gold Standard DXA (Hologic 4500 a, Bedford, USA) zeigt eine hohe Übereinstimmung beider Messverfahren (29).

Metabolisches Syndrom (MetS) und MetS-Z-Score
Der MetS-Z-Score gemäß Johnson et al. basiert auf dem NCEP ATP III-Kriterium des MetS und dessen „cut-off“-Werten für Männer und Frauen (siehe Tab. 2) (6, 10). Die z. T. geschlechterspezifischen „cut-off“-Werte und die basalen gruppenspezifischen Standardabweichungen (SD) für Männer und Frauen wurden mit den individuellen Werten für die jeweiligen Parameter in Verbindung gesetzt.
Der MetS-Z-Score berechnet sich aus den Variablen HDL-Cholesterin, Triglyzeride (TriGly), Glucose, Taillenumfang (TU) und mittlerem arteriellen Blutdruck (MAP) wie folgt (10): [(40 (m) oder 50 (w) – HDL-C)/SD HDL] + [(TriGly-150)/SD TriGly] + [(Glucose-100)/SD Glucose] + [(TU - 102 (m) oder 88 (w))/SD TU] + [(MAP-107,5)/SD MAP].

Laborparameter, Blutdruck
Die Blutentnahme fand immer nüchtern nach 12-stündigem Fasten, vormittags zwischen 8-10 Uhr jeweils vor Ort in der Einrichtung statt. Die Blutproben wurden im Anschluss bei 3000U/min zentrifugiert und dem Zentrallabor der Medizinischen Klinik I der Friedrich-Alexander-Universität übergeben, welches die Konzentration von Nüchternglucose, Triglyceride und HDL-Cholesterin im Serum (Beckman Coulter, Krefeld, Deutschland) bestimmte.
Nach einer fünfminütigen Ruhepause wurde mit einem automatischen Blutdruckmessgerät (Bosco, Bosch, Jungingen, Deutschland) im Sitzen zweimal aufeinanderfolgend systolischer und diastolischer Blutdruck gemessen und der Mittelwert wie folgt berechnet: MAP=(Diastole + Diastole + Systole)/3.

Fragebogen/Interview
Zur Ermittlung der Gesundheitsparameter diente ein Fragebogen, der für die TN in leichte Sprache abgewandelt wurde. Soziodemographische Daten wie Alter, Geschlecht, Raucher- und Diabetesstatus (j/n), Medikamente und Operationen sowie Daten zur Lebensqualität, Gesamtarbeitszeit/Woche und Bewegungsumfang/Woche wurden erfasst. Da viele TN eine Lese- und Rechtschreibschwäche hatten, erfolgte die Bearbeitung des Fragebogens bzw. des Interviews generell zeitgleich zur Messung vor Ort immer unter Mithilfe oder bei schwerwiegender geistiger Limitation durch die direkten Betreuer der TN. Bei Abgabe der Fragebögen wurden diese nochmals gemeinsam auf Vollständigkeit und Korrektheit überprüft. Der ICC für den Bereich körperliche Aktivität/Sporttreiben lag bei Beschäftigten mit einem Behinderungsgrad von 80 bei 76% und somit in einem (noch) akzeptablen Bereich.

Bewertungsbogen
Die Trainingsakzeptanz der TN wurde durch die jeweils zuständigen ÜL auf der Basis eines Bewertungsleitfadens beobachtet und erfragt. Die Kriterien waren jeweils dichotom („ja“ oder „nein“) vorgegeben. Weiterhin beurteilten die ÜL auf diese Weise, ob die TN am Ende des Interventionszeitraums den Zirkel bzw. die Vibrationsplatte selbstständig aufbauen (selbständiger Aufbau: ja/nein) sowie das Training in der Werkstatt selbstständig durchführen (selbständige Durchführung: ja/nein) können. Bewertungsgrundlage für den ÜL war hierbei insbesondere die Kontrolle von gemeinsamem vs. selbstständigem Auf- und Abbau sowie die Trainingsdurchführung mit vs. ohne Anweisungen.

STATISTISCHE ANALYSE

Die formale Fallzahlberechnung erfolgte basierend auf dem metabolischen Syndrom Z-Score. Um eine erwartete Differenz von 20±27,5% zwischen den Trainingsgruppen (für die ähnliche Effekte erwartet wurden) und semiaktiver Kontrollgruppe mit einem Typ I Fehler (α) von 5% und einem Typ II Fehler von 20% (1-β: 80%) zu belegen, sind 30 Personen je Gruppe nötig. Ausgehend von einem erwarteten „Loss to follow-up“ von 20% war es das Ziel, jede Gruppe mit ≥36 Personen zu besetzen.
Es wurde eine Completer-Analyse durchgeführt, bei der alle Personen mit 6-Monats-Follow-up-Daten unabhängig von deren Compliance in die Analyse eingeschlossen wurden.
Die vorliegenden Werte sind als Mittelwerte±Standardabweichungen (MW±SD) angegeben. Die Verteilung der Daten wurde statistisch und graphisch überprüft. Zur Erfassung von signifikanten Veränderungen innerhalb der Gruppen wurden gepaarte T-Tests oder Wilcoxon-Rang Tests herangezogen. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mittels einfaktorieller Varianzanalyse (Oneway), basierend auf den gruppenspezifischen Veränderungen, berechnet. Bei relevanten Unterschieden wurden die Daten spezifisch mittels paarweisen Tests (parameterfreier Welch T-Test) untersucht. Aufgrund teilweise deutlich variierender basaler Werte wurde eine entsprechende Adjustierung der Berechnung auf die jeweiligen Eingangswerte (als Covariate) vorgenommen. Es wurden grundsätzlich zweiseitige Tests durchgeführt; statistische Signifikanz wurde unter einem 5%-Niveau akzeptiert. Die Analysen wurden mit SPSS Version 21 durchgeführt.

ERGEBNISSE

Der durchschnittliche Grad der Behinderung (GdB, laut Behindertenausweis) der TN lag bei 84 und somit im Bereich „schwere Behinderung“ und unterschied sich zwischen den Studiengruppen nicht (Tab. 2). Bei einem Großteil (ca. 80%) zeigten sich Lernbehinderungen mit psychischen Auffälligkeiten, ca. 20% hatten ein Down-Syndrom. Ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Behinderungsgrad und Trainingsdurchführung (r=.12) oder der Veränderung des MetS-Z-Scores (r=-.09) bestand nicht. Viele Beschäftigte wiesen jedoch Entwicklungsstörungen auf, die in retardierten Bewegungsabfolgen und eingeschränkter Ausdauer erkennbar waren. Unter den TN waren 15% Raucher. Der Anteil von TN mit Adipositas (43%) lag (altersadjustiert) deutlich höher als in der deutschen Gesamtbevölkerung (20). Auffällig ist zudem, dass der basale Taillenumfang der weiblichen TN in allen Studiengruppen im Durchschnitt deutlich (Tab. 2) über dem entsprechenden “Cut off“- Wert des MetS gemäß NCEP ATP III liegt (88cm) (6).
An der 6-Monats-Kontrollmessung nahmen 128 TN teil. 15 TN waren urlaubs- (n=5), krankheits-(n=9) oder schwangerschaftsbedingt (n=1) abwesend; 6 TN (KT:2 vs. HK:1 vs. SKG:3) quittierten während des Interventionszeitraums die Untersuchung. Als Gründe für den Abbruch wurden Unverträglichkeit des Vibrationstrainings (n=1), fehlendes Interesse (n=3), Arbeitsplatzwechsel (n=1) oder Schwangerschaft (n=1) angegeben (Abb. 1). Aufgrund fehlender Einverständniserklärungen zur Blutentnahme konnte nur bei 119 Personen Blut entnommen werden.
Für die Parameter Ernährung, Lifestyle, Medikamenteneinnahme oder körperliche Aktivität zeigten sich keine Veränderungen im Interventionszeitraum. Während der Übungsstunden traten neben einer Sprunggelenksfraktur durch Fehltritt auf ein am Boden liegendes Springseil keine weiteren unerwünschten Ereignisse auf.

Studienendpunkte
Tabelle 3 zeigt Basalwerte und Veränderungen des MetS-ZScores in den vier Studienarmen nach 6-monatigem Interventionszeitraum. Die einfaktorielle Varianzanalyse zeigt zunächst einen signifikanten Zwischengruppenunterschied (p=.026). Ein paarweiser Vergleich ergibt allerdings lediglich eine signifikante Differenz (p=.009) zwischen der HK-Gruppe, die sich signifikant verbesserte (p=.002) und der Kontrollgruppe, die sich nicht signifikant verschlechterte (p=.213). Keine Unterschiede zur inaktiven Kontrollgruppe zeigten die KT-Gruppe (p=.153) oder die SKG (p=.170), die sich jeweils nicht signifikant verbesserten (p≥.490).
Somit wird die primäre Hypothese, dass Muskel- und Herz-Kreislauftraining einen signifikant positiven Effekt auf den MetS-Z-Score im Vergleich zu einer inaktiven Kontrollgruppe ausüben, verworfen. Parallel dazu wird Hypothese 2a, dass Muskel- und Herz-Kreislauftraining einen signifikant positiven Effekt auf den MetS-Z-Score im Vergleich zu einer semiaktiven Kontrollgruppe (Vibrationstraining) ausüben, verworfen.
Betrachtet man die Veränderung der konstituierenden Größen des MetS, so zeigen beide Programme vergleichbar günstige, signifikante Effekte auf den Taillenumfang (KT: -1,4±3,0 vs. HK: -1,0±3,0 vs. KG: +1,1±4,0) als validen Prädiktor des viszeralen Körperfettgehaltes (11, 25). Der MAP sinkt (nur) in der KT-Gruppe signifikant ab (3,9±8,1 mmHG, p=.015; vgl. (19)), während sich die Nüchternglucose der HK (-3,9±8,1 mg/dl) jeweils signifikant (p=.002 und p=.023) von der Entwicklung der KG (4,7±9,3 mg/dl) und KT-Gruppe (2,9±8,1 mg/dl) unterscheidet. Keine wesentlichen Veränderungen oder signifikanten Zwischengruppenunterschiede zeigen die Laborparameter HDL-C und Triglyzeride.
Das 6-monatige kraft- (KT) bzw. herz-kreislauforientierte Zirkeltraining (HK) wurde mit einer vergleichbar (p=.942) hohen Teilnahmerate durchgeführt (Tab. 3). Obwohl die Teilnahme grundsätzlich auf freiwilliger Basis erfolgte, wurden die TN zur entsprechenden Uhrzeit von ihren Betreuern auf die Trainingsstunde hingewiesen, sodass dieser Bindungswert nur bedingt aussagekräftig erscheint. Auch die Akzeptanz beider aktiver Trainingsprotokolle unterschied sich nicht wesentlich (Tab. 4). Als Gründe für die hohe Akzeptanz wurden überwiegend emotionale Aspekte wie „Spaß“, „Abwechslung“ und der „nette“ Übungsleiter genannt; gesundheitsorientierte Aspekte für Teilnahme und Bindung wurden nicht angeführt.
Die Überprüfung der Applikabilität ergab, dass nur etwa die Hälfte der TN in der Lage war, die Stationen des Zirkeltrainings protokollgemäß aufzubauen (Tab. 4). Die selbstständige Inbetriebnahme der Vibrationsplatte schafften 64% der TN der SKG-Gruppe. Die selbstständige Durchführung des jeweiligen Zirkeltrainings konnten ein Viertel (KT) bzw. die Hälfte (HK) der Gruppen realisieren; ein protokollgemäßes WBV-Training schafften 43% der SKG. Für alle beobachteten Aspekte bestand naturgemäß ein moderat-enger Zusammenhang (r≥.61) mit dem GdB, wobei kein eindeutiger Cut-off Wert des GdB zur erfolgreichen Realisierung der jeweiligen Aufgabe genannt werden kann.
Somit wird Hypothese 2b („Akzeptanz“) klar bestätigt, während Hypothese 2c, wonach die eigenständige Durchführung der Arbeitsplatzprogramme vom Großteil der TN realisiert werden kann, zurückgewiesen.

DISKUSSION

Menschen mit geistiger Behinderung haben in unserer Gesellschaft einen schlechten Zugang zu ambulanten Sport- und Gesundheitssportangeboten; ein Umstand, der sich in einer geringeren körperlichen Leistungsfähigkeit sowie orthopädischen und kardiometabolischen Beschwerden manifestiert (4, 9, 23). Die Gründe für diesen defizitären Zugang sind vielfältig und reichen vom erschwerten Transfer zum Sportangebot über generelle Ablehnung der Teilnahme dieses Kollektivs bis hin zu finanziellen Beweggründen (4). Eine Lösung könnte die Durchführung dezidiert präventiver und rehabilitativer Bewegungsangebote zur Adressierung der o. g. Beschwerden und Erkrankungen vor Ort in der Beschäftigungsstelle, also der Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung, sein. Dieses Setting erscheint vielversprechend, da insbesondere strukturelle Hemmnisse wie bspw. erschwerter Transfer zum Sporttreiben, Raumnutzung, Finanzierungsproblematik und/oder Mangel an sonderpädagogisch geschulten Übungsleitern hier kaum oder weniger intensiv zutreffen.
Die vorliegende Untersuchung belegt den (signifikant) positiven Effekt eines HK-, nicht jedoch eines Kraft-Trainings auf den kardiometabolischen Risikocluster „Metabolisches Syndrom“ im Setting von Werkstätten für Menschen mit geistiger Behinderung. Dieses Ergebnis wurde so nicht erwartet; zum einen, da sich beide Trainingsprotokolle zwar für die Trainingsinhalte und Körperübungen, nicht aber bezüglich Trainingsmethoden und -prinzipien wesentlich unterschieden; zum anderen, da vorangegangene Untersuchungen generell positive Effekte beider Trainingsformen auf den MetS-Z-Scores belegen (15, 16, 17, 18). Grundsätzliche Unterschiede zwischen nichtbehinderten Kollektiven und Kollektiven mit geistiger Behinderung hinsichtlich physiologischer Effekte von Krafttraining auf kardiometabolische Größen sind nicht bekannt (26). Möglich wäre, dass aufgrund der hohen Reizdichte (50s-25s) nicht die nötige Reizintensität zur Auslösung kardiometabolischer Effekte realisiert wurde. Tatsächlich lag die Reizintensität der o. g. „erfolgreichen“ Krafttrainingsprotokolle bei muskulärer Ausbelastung konsistent im Bereich zwischen 70% und 90% des 1RM (15, 18), während das vorliegende kraftausdauerorientierte Zirkeltraining eine Reizschwelle von 70% 1RM nicht überschritt und zudem ein muskuläre Ausbelastung der TN nicht vorgesehen war (8). Trainingsmethodische Konsequenz der Ergebnisse dieser 6-monatigen Phase war im Bereich KT eine schnellkräftigere Übungsausführung u. a. mit Sprungformen, sowie eine weitergehende Fokussierung der Übungen auf den Rumpfbereich („core training“) zur Adressierung der relativ häufig vorkommenden Rückenbeschwerden dieses Kollektivs.
In Einklang mit anderen Untersuchungen führen wir den geringen Sportpartizipationsgrad von Menschen mit geistiger Behinderung weniger auf die geringe Akzeptanz eines Körpertrainings per se als vielmehr auf die fehlenden geeigneten Sportangebote zurück (Übersicht in (4, 12)). Nicht erwartet wurde, dass eine komplett selbstständige Durchführung beider Zirkeltrainingsprotokolle, aber auch der WBV für die Mehrheit der TN dieser Zielgruppe nicht möglich ist. Aus Sicht der Autorenschaft war dieses Ergebnis weniger auf das vorliegende pädagogische Konzept mit Informationsplattform, regelmäßigen Gruppentreffen und Erfahrungsaustausch gemäß „best practice concept“ zurückzuführen, als vielmehr auf den hohen Behinderungsgrad, der moderat-hoch mit den hier einschlägigen Daten korrelierte. Unabhängig von den erhobenen Daten scheint eine selbstständige Übungsdurchführung ohne qualifizierte Anleitung und langfristig angelegte Trainingsregelung als „suboptimal“ und meist ineffektiv an. Obwohl die Implementierung von Sportangeboten in ein betriebliches Setting durch diesen Aspekt generell erschwert wird, ist zur Sicherung einer hohen Prozessqualität eine überdauernde personelle Betreuung zwingend nötig.
Obwohl belastbare Daten nicht gefunden werden konnten, verfügen einige Werkstätten bereits über arbeitsplatzbegleitende sportliche Maßnahmen, die unterschiedliche, allerdings meist nicht gesundheitsorientierte Trainingsziele verfolgen. Eine sportmedizinische Evaluierung dieser ebenfalls konsistent angeleitete Maßnahmen findet jedoch nicht statt, sodass die Generierung eines (auch langfristig) „effektiven“ Sportangebotes und dessen überdauernde Implementierung unter besonderer Berücksichtigung der speziellen Rahmenbedingungen einer Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung eine besondere Herausforderung darstellt.
Neben der trainingsmethodischen Vorgehensweise stehen hier auch Aspekte wie Finanzierung, Personal und gesetzliche Rahmenbedingungen im Fokus. Als Organisationsform des vorliegenden Sportangebotes sehen wir den Rehabilitationssport gemäß §44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IX in Verbindung mit den Vorgaben der Rahmenvereinbarung der BAR, an dem sich die vorliegenden Trainingsprotokolle nach der ersten Projektphase nun orientieren (3).
Einige wichtige Besonderheiten und Limitationen der Untersuchung sollen nicht unerwähnt bleiben:
(a) Die Ausrichtung des vorliegenden Beitrags ist primär trainingswissenschaftlich/sportmedizinisch orientiert. Soziologische, pädagogische und insbesondere gesundheitsökonomische Aspekte werden im weiteren Projektverlauf noch adressiert.
(b) Der MetS-Z-Score wurde als primärer Endpunkt ausgewählt, da er anthropometrische, metabolische und kardiale Größen beinhaltet sowie sensitiv und ausgeglichen auf Veränderungen dieser Größen reagiert.
(c) Die Vorgehensweise einer randomisierten Zuordnung der teilnehmenden Werkstätten und nicht der TN per se war suboptimal, aber aufgrund der logistischen und infrastrukturellen Gegebenheiten unumgänglich.
(d) Krankheits- und urlaubsbedingt lag die vorliegende Anzahl von TN mit vollständigen Datensätzen je Gruppe z. T. (KT: n=25; KG: n=28) niedriger als für unsere Annahmen nötig. Diese „Underpower“ beeinflusste zum einen Hypothese 2a – und könnte zum anderen den ausbleibenden signifikanten Effekt des KT-Protokolls mitverursacht haben.
(e) Die Fragebögen konnten aufgrund der besonderen Zielgruppe nicht in evaluierter Standardform übernommen, sondern mussten angepasst werden.
(f) Lese- und Rechtschreibschwächen der TN führten dazu, dass die Fragebögen mithilfe oder ausschließlich durch die Betreuer beantwortet wurden, was zu verzerrten Antwort führen kann.
(g) Die relativ geringen Fallzahlen je Standort ließen spezifischere Ausschlusskriterien mit Blick auf hohes kardiometabolisches Gefährdungspotential nicht zu. Ein entsprechender Einschluss von Personen mit höheren basalen Werten oder einem vorliegenden MetS hätte sicherlich zu günstigeren Ergebnisse geführt (u. a. 5, 13, 14).
(h) Die Compliance innerhalb der sportmotorischen Tests war zum Teil fragwürdig, sodass auf die Präsentation dieser Ergebnisse verzichtet wurde. Im Gegensatz dazu ist von einer weitgehend protokollgemäßen Durchführung der Übungsprogramme auszugehen. (i) Der grundsätzlich inklusive Ansatz des Projekts scheint zunächst schwer erkennbar. Nach erfolgter trainingswissenschaftlicher, biomedizinischer und gesundheitsökonomischer Evaluierung ist im nächsten Projektschritt eine Öffnung der rehabilitationssportlichen Programme für Menschen ohne geistige Behinderung geplant, um den inklusiven Ansatz des Projekts zu explizieren. Dieser ungewöhnliche Schritt, dass sich eine Gruppe von geistig Behinderten für Menschen ohne geistige Behinderung öffnet, was einen gewissen „Heimvorteil“ des erstgenannten Kollektivs beinhaltet, erscheint uns erfolgversprechend.
Zusammenfassend betrachten wir die 6-monatige Phase I unseres Projekts als zufriedenstellend aber optimierbar. Trainingsmethodische Optimierungen, verbesserte Einbindung der Programme in die betrieblichen und strukturellen Abläufe der Werkstätten, die Schaffung einer nachhaltigen Eigenfinanzierung sowie der Nachweis weiterer biomedizinischer und betriebs-/volkswirtschaftlicher Effekte sind Aspekte der weiteren Programmevaluation, die allesamt essentiell für eine breite Implementierung und inklusive Öffnung dieser Sportangebote in Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind.

Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen:
Die Studie wurde gefördert von: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration; Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern e.V.

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Carolin Kramer, M.Sc.
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Institut für Medizinische Physik
Henkestraße 91, 91052 Erlangen
carolin.kramer@fau.de