Gendoping und Tissue Engineering - zwischen Missbrauch und Innovation
EDITORIAL

Die Sporttauglichkeitsuntersuchung – kein Gefälligkeitsattest

Pre Participation Screening in Athletes

In den letzten Jahren werden die Inhalte einer sportmedizinischen Gesundheitsuntersuchung zur Beurteilung der Sporttauglichkeit und sportlichen Belastbarkeit vermehrt diskutiert. International werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. In den USA gelten derzeit eine Anamnese und internistisch-kardiologische sowie orthopädische körperliche Untersuchung als ausreichend. Jedoch mehren sich dort die Stimmen, dass die sportmedizinische Untersuchung durch ein Ruhe-EKG ergänzt werden sollte. In Europa wird dies für Wettkampfsportler bereits seit 2005 von der European Society of Cardiology empfohlen (1), ebenso vom Internationalen Olympischen Komitee. Allerdings gibt es hinsichtlich des Umfanges der sportmedizinischen Sporttauglichkeits-untersuchung in Europa unterschiedliche Meinungen.
In Deutschland existiert bereits seit 1970 ein Untersuchungssystem für den Leistungssport auf Kaderebene, das sich bewährt hat und neben dem Ruhe-EKG weitere Untersuchungen beinhaltet (Belastungs-EKG, Echokardiographie, orthopädische Untersuchungen, Blut- und Urinuntersuchungen). Für den Breiten- und Gesundheitssport wird ebenfalls das Ruhe-EKG als obligate Untersuchung empfohlen. Belastungs-EKG und Echokardiographie werden als fakultativ angesehen und sollten zumindest bei Risikokollektiven wie z.B. älteren Sportlern, Sportlern mit einem oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren oder Sportlern, die sich intensiven Belastungen aussetzen, angewandt werden (3, 4). In Italien sind seit 1982 Sporttauglichkeitsuntersuchungen zumindest mit Ruhe-EKG für Wettkampfsportler aller Leistungsklassen und Wettbewerbe gesetzlich vorgeschrieben. Nach Einführung dieses Screeningsystems reduzierte sich die jährliche Rate des plötzlichen Herztodes beim Sport von 3,6 auf 0,4 pro 100.000 Personenjahre (2). Die Daten sind eindeutig.
Dennoch stehen einzelne europäische Länder den Screeninguntersuchungen mit EKG-Registrierung kritisch gegenüber. Argumentiert wird meist, dass falsch positive Befunde aufgrund von Folgeuntersuchungen zu einer Kostenexplosion führen und im Falle einer nicht endgültigen Klärung oder einer fortbestehenden Verdachtsdiagnose verunsicherte Sportler bzw. Patienten zurückgelassen werden und möglicherweise eine erfolgreiche Sportlerkarriere verhindert wird. Hinsichtlich der falsch negativen Befunde wird von manchem US-amerikanischen Sportmediziner gerne argumentiert, dass die dortige Rate an einem plötzlichen Herztod beim Sport zu versterben auch ohne Ruhe-EKG-Registrierung der Rate der oben erwähnten italienischen Untersuchung entspräche. Allerdings werden hier Äpfel mit Birnen verglichen, denn die US-amerikanischen Daten werden retrospektiv meist aus den Medien oder Umfragen und in Italien aus prospektiv angelegten Untersuchungen erhoben (2).
In letzter Konsequenz kann (oder muss) man sich die Frage stellen: „Wieviel ist uns ein gerettetes (Sportler-)Leben wert?“ Diese Frage kann jedoch nicht durch die Sportmedizin, sondern nur durch die Gesellschaft, Politik, Sportorganisationen, -verbände und -vereine, Solidargemeinschaften der Versicherungsgesellschaften oder andere gesellschaftliche Institutionen sowie den Sporttreibenden selbst beantwortet werden. Die Sportmedizin kann lediglich durch wissenschaftliche Untersuchungen eine Hilfestellung zur Beantwortung dieser Frage leisten. So wiesen beispielsweise Wheeler et al. die Kosteneffektivität einer zusätzlichen Ruhe-EKG-Untersuchung für Sportler zwischen 14 und 22 Jahren im Vergleich zu anderen klinischen Maßnahmen in den USA nach (5). Des Weiteren sollte im Falle pathologischer Befunde die Sportmedizin nicht Richter, sondern in erster Linie Berater des Sportlers und seines Umfeldes sein. Natürlich muss zwischen Profisportler und Hobby- oder Gesundheitssportler differenziert werden. Pauschale Regelungen helfen – insbesondere bei Befunden in der Grauzone zwischen Physiologie und Pathologie – nicht oder nur bedingt weiter. Vielmehr ist hier der gut ausgebildete und verantwortungsbewusste Sportmediziner gefragt.

LITERATUR

  1. Corrado D, Pelliccia A, Bjørnstad HH, Vanhees L, Biffi A, Borjesson M, Panhuyzen-Goedkoop N, Deligiannis A, Solberg E, Dugmore D, Mellwig KP, Assanelli D, Delise P, van Buuren F, Anastasakis A, Heidbuchel H, Hoffmann E, Fagard R, Priori SG, Basso B, Arbustini E, Blomstrom-Lundqvist C, McKenna WJ, Thiene G Cardiovascular pre-participation screening of young compe- titive athletes for prevention of sudden death: proposal for a common European protocol. Eur Heart J 26 (2005) 26, 516 - 524.
  2. Corrado D, Basso C, Pavei A, Michieli P, Schiavon M, Thiene G Trends in sudden cardiovascular death in young competitive athletes after implementation of a preparticipation screening program. JAMA 296 (2006) 1593 - 1601.
  3. Löllgen H, Hansel J S 1-Leitlinie Vorsorgeuntersuchung im Sport. Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin (2007): www.dgsp.de/_downloads/allgemein/S1_Leitlinie.pdf.
  4. Urhausen A, Scharhag J, Kindermann W Plötzlicher Herztod beim Sport und kardiovaskuläres Screening, in: Kindermann W, Dickhuth HH, Niess A, Röcker K, Urhausen A (Hrsg): Sportkardiologie. Steinkopff Verlag, Darmstadt, 2007, 21 - 38.
  5. Wheeler MT, Heidenreich PA, Froelicher VF, Hlatky MA, Ashley EA Cost-effectiveness of preparticipation screening for prevention of sudden cardiac death in young athletes. Ann Intern Med 152 (2010) 276 - 286.