Sportmedizin
FALLBERICHT
IMPLOSION EINER AUGENPROTHESE BEIM TAUCHEN

Implosion einer Augenprothese beim Tauchgang in 18 Meter Tiefe

Implosion of an Artificial Eye During a Scuba Dive at 18 Metres Depth

ZUSAMMENFASSUNG

Während  eines  Übungstauchganges  im  Freiwasser  kam  es  bei  einem  Sporttaucher  und  Träger  einer  Augenprothese  auf  18  Metern  Tiefe  zur  Implosion  des künstlichen  Auges.  Durch  den  steigenden  Umgebungsdruck  beim  Abtauchen besteht die Gefahr, dass doppelwandige Augenprothesen aus Glas während des Tauchgangs implodieren. Eine unkritische Tauchtiefe, in der Tauchen mit einem doppelwandigen Kunstauge möglich ist, lässt sich nicht herleiten. Auch Druckveränderungen von wenigen zehntel Bar sind dazu geeignet, luftgefüllte Augenprothesen  implodieren  zu  lassen.  Neben  Verletzungen,  Blutungen  oder  Infektionen der  Orbita,  besteht  hierbei  die  Gefahr  einer  Panikreaktion  unter  Wasser.  Diese kann wiederum zur Aspiration von Wasser aber auch zu einem unkontrollierten Aufstieg  an  die  Wasseroberfläche  mit  der  Folge  eines  schwerwiegenden  Tauchunfalls mit Dekompressionskrankheit oder Barotrauma führen. Aber selbst beim Tauchen mit einwandigen Augenprothesen aus Glas oder Kunststoff besteht prinzipiell die Gefahr  eines Barotraumas  der  Orbita, falls die Augenhöhle  durch  die Prothese vollständig verschlossen wird und somit kein Druckausgleich zwischen Orbita und Tauchermaske stattfinden kann. Ein Zerbrechen der Prothesen durch Druckschwankungen beim Tauchgang ist ebenso nicht auszuschließen. Bei Folgezustand nach Enukleation des Bulbus ist Tauchen ebenso wie bei funktioneller Monokularität  nicht  grundsätzlich  ausgeschlossen.  Restvisus,  Einschränkungen des Gesichtsfeldes und fehlende Stereopsis sollten jedoch bei der Beurteilung der Tauchtauglichkeit bedacht werden. Trägern von Augenprothese wird empfohlen diese vor dem Tauchgang zu entfernen.

Schlüsselwörter: Kunstauge, Tauchen, Barotrauma, Einäugigkeit, Tauchtauglichkeit.

SUMMARY

During a training scuba dive in the open water, a recreational diver wearing an ocular  prosthesis  suffered  an  implosion  of  the  artificial  eye  at  18  metres  depth. The rising ambient pressure while descending can cause the implosion of doublewalled glass prosthesis. An uncritical submerged depth for diving with a doublewalled  ocular  prosthesis  cannot  be  deduced  due  to  lack  of  data.  Also,  pressure variations of few tenth of a bar are sufficient for an implosion of air-filled ocular prostheses. Beside injuries, bleeding or infections of the orbit, the danger of a panic reaction under water exists. This can cause aspiration of water into the lungs as well as an uncontrolled ascent to the surface with the consequence of a severe diving accident with decompression sickness or barotrauma. But also scuba diving with single-walled prostheses of glass or plastic bear the danger of a barotrauma, if the prosthesis closes the orbit completely and thus no pressure equalisation between orbit and diving mask can take place. Furthermore, the possible disruption  of  the  prosthesis  by  pressure  fluctuations  during  the  dive   can  also  not  be fully excluded. After enucleation as well as functional monophthalmia, it may be possible forthe patient to dive again under certain circumstances. Nevertheless, visual acuity, restrictions of the visual field and missing stereoscopic vision should be considered in the physical examination of divers. It is recommended to remove ocular prostheses before scuba diving.

Key  Words: Ocular  prosthesis,  scuba  diving,  barotrauma,  monophthalmia, fitness to dive.

EINLEITUNG

In  der  Literatur  sind  vereinzelt  Fälle  von  implodierten  Augenprothesen bei Sporttauchern berichtet (1, 3, 4, 5). Hierbei besteht nicht nur die Gefahr von Verletzungen, Blutungen oder Infektionen der Orbita, auch eine Panikreaktion unter Wasser kann den Taucher ernsthaft gefährden. Es wird von einem Vorfall berichtet, bei dem es zu einer solchen Implosion eines künstlichen Auges während  eines  Freiwassertauchgangs  kam.  Anschließend  wird auf  die  aktuellen  deutschsprachigen  Empfehlungen  zur  Tauchtauglichkeit  bei  Einäugigkeit  und  bei  Trägern  von  Kunstaugen eingegangen.

FALLBERICHT

Ein 34-jähriger Mann und Träger einer Augenprothese bei Zustand nach  Enukleation  absolvierte  auf  den  Malediven  einen  Grundkurs im Gerätesporttauchen. Im Rahmen dieser Ausbildung führte er am 18.02.2011 seine ersten beiden Übungstauchgänge im Meer mit einem beim Sporttauchen üblichen halboffnen Tauchgerät (Scuba-System = Self-Contained Underwater Breathing Apparatus) durch. Die Augenprothese  beließ  er  für  den  Tauchgang  in  situ.  Eine  Tauchtauglichkeitsuntersuchung hat zuvor nicht stattgefunden. Für den Tauchgang verwendete er Druckluft und erreichte in Begleitung seiner Tauchlehrerin eine Tiefe von bis zu 12 Metern. Die beiden Tauchgänge verliefen komplikationslos. Tags darauf führte er seinen dritten Tauchgang, ebenfalls mit Augenprothese in situ, durch. Das Tauchprofil (Abb. 1) zeigt einen Abstieg auf zunächst 11 Meter. Im weiteren Verlauf stiegen die beiden Taucher weiter hinab und erreichten nach 19 Minuten bei bis dahin komplikationslosem Tauchgang eine Tiefe von schließlich 18,3 Metern. In dieser Tiefe kam es zu einer plötzlichen Implosion der Augenprothese. Die Tauchlehrerin erkannte das Vorliegen eines Notfalls und brach den Tauchgang sofort ab. Sie begann einen kontrollierten Aufstieg an die Wasseroberfläche mit einer Aufstiegsgeschwindigkeit von maximal 10 Meter pro Minute, verzichtete jedoch auf den empfohlenen  3-minütigen  Sicherheitsstopp  in  5  Metern  Tiefe.  Vom Tauchboot aus erfolgte ein Notruf an das Kuramathi Medical Centre. Beim Eintreffen wurde dort eine implodierte Augenprothese links mit Blutung aus der Orbita vorgefunden. Es erfolgte die manuelle Entfernung der Glassplitter und eine anschließende ausgiebige Spülung der Augenhöhle (Abb. 2). Die Blutung sistierte im weiteren Verlauf spontan. Tiefe Schnittwunden ließen sich nicht nachweisen. Anschließend wurde  die  Orbita  desinfiziert  und  prophylaktisch  eine  systemische Antibiose verabreicht. Nach ambulanter Therapie konnte der Patient das Medical Centre verlassen.

DISKUSSION

Die  Enukleation  des  Bulbus  kann  nach  einem  Trauma,  bei  malignen  Tumoren  aber  auch  bei  schmerzhaften  Augen  mit  irreversibler schwerer  Sehschädigung  bis  zur  Blindheit  indiziert  sein  (8).  Zum Ausfüllen  der  Augenhöhle  werden  Augenprothesen  (Kunstaugen, „Glasaugen“) verwendet. Neben ästhetischen Gründen wird durch die Augenprothese auch eine Entzündung oder Atrophie der Augenhöhle (Phthisis bulbi) vermieden (8). Heute werden die schalenförmigen Prothesen aus speziellem Kryolithglas oder aus Kunststoff gefertigt. Insbesondere  Prothesen  aus  Kryolithglas  besitzen  oft  einen  luftgefüllten  Hohlraum,  in  welchem  herstellungsbedingt  (isochore  Zustandsänderung  beim  Abkühlen  des  Glases,  Gesetz  von  Amontons) ein  Unterdruck  herrscht.  Trotz  moderner  Kunststoffe  werden  Glasprothesen  auf  Grund  chemischer  und  physikalischer  Eigenschaften nach  wie  vor  häufig  verwendet.  Dies  kann  beim  Tauchen  und  der damit  verbundenen  Erhöhung  des  Umgebungsdruckes  problematisch  sein.  Der  Umgebungsdruck  beim  Tauchen  nimmt  linear  mit der Wassertiefe zu. An der Wasseroberfläche herrscht ein Druck von näherungsweise 1 bar. Pro 10 Meter Wassertiefe nimmt der Druck um 1 bar zu, so dass in einer Tauchtiefe von 18 Metern ein Druck von 2,8 bar vorliegen. Relativ gesehen sind die Druckveränderungen somit nahe der Wasseroberfläche größer als in tieferen Abschnitten. Tatsächlich  findet  beim  Abtauchen  von  der  Wasseroberfläche  auf eine Tauchtiefe von 10 Metern eine Druckverdoppelung und somit die relativ größte Druckzunahme statt.
Nach dem Boyle-Mariotteschen-Gesetz verhält sich der Druck eines Gases bei gleich bleibender Temperatur und gleich bleibender Stoffmenge  nach  der  Formel  pxV=konstant  umgekehrt  proportional  zum  Volumen.  Somit  verkleinert  sich  das  Gasvolumen  bei steigendem  Umgebungsdruck  und  dehnt  sich  bei  verringertem Druck umgekehrt aus (Abb. 3). Starrwandige Körper ohne Be- oder Entlüftung  können  unter  diesem  Effekt  im-  bzw.  explodieren.  Sind luftgefüllte  Kavitäten  des  Körpers  von  diesem  Effekt  betroffen,  so bezeichnet  man  dies  als  Barotrauma.  Hiervon  können  beispielsweise  Nasennebenhöhlen  (insuffiziente  Belüftung  der  Ostien)  oder Mittelohr  (insuffiziente  Belüftung  der  Tuba  auditiva)  aber  auch Augen  (unterlassener  Druckausgleich  in  der  Maske)  oder  Zähne (schadhafte  Zahnfüllungen)  betroffen  sein.  Werden  während  des Aufstiegs  die  Lungen  nicht  ausreichend  entlüftet,  kann  es  zum Barotrauma  der  Lunge  kommen  (ungenügendes  Ausatmen,  beispielsweise beim (Not-)Aufstieg oder auch „Air-Trapping“) (9). Da es sich beim natürlichen Auge des Menschen um einen flüssigkeitsgefüllten – und somit inkomprimierbaren – Körper handelt, kommen Druckschwankungen  im  Inneren  des  Auges  nicht  zutragen,  wohl aber in der luftgefüllten Tauchmaske (7).
Im  geschilderten  Fall  arbeiten  zwei  Phänomene  synergistisch und  bewirken,  dass  die  Prothese  zerstört  wird:  Beim  Abtauchen sorgt  das  Boyle-Mariottesche  Gesetz  dafür,  dass  der  herstellungsbedingte Unterdruck innerhalb Prothese weiter sinkt, während der Wasserdruck mit zunehmender Tiefe steigt. Die Glaswand kann den Druckgradienten nicht weiter standhalten und implodiert.
Neben der Gefahr ernster Schnittverletzungen mit Blutungen und Infektionen der Augenhöhle durch die Implosion, besteht darüber hinaus – insbesondere bei unerfahrenen Tauchern – die Gefahr einer Panikreaktion unter Wasser. Dies kann Aspiration von Wasser aber auch einen unkontrollierten Aufstieg an die Wasseroberfläche mit der Gefahr eines unter Umständen schweren Tauchunfalls (Barotrauma und/oder Dekompressionserkrankung) zur Folge haben. Ein  unkritischer  Bereich,  in  dem  Tauchen  mit  einer  luftgefüllten Augenprothese möglich ist, lässt sich nicht sicher herleiten. Auch Druckschwankungen von wenigen zehntel Bar sind grundsätzlich dazu geeignet, eine doppelwandige Prothese zu zerstören (2).

FAZIT

Einäugigkeit  ist,  bei  ausreichendem  Sehvermögen  auf  dem  gesunden Auge, im Allgemeinen mit der Tauchtauglichkeit zu vereinbaren (4, 7, 9).  Es  muss  jedoch  beachten  werden,  dass  die  Tauchermaske das Gesichtsfeld zusätzlich einschränkt. Durch die Lichtbrechung an der Frontscheibe der Tauchermaske kommt es unter Wasser zu einer weiteren Reduktion des Gesichtsfeldes um etwa ein Viertel (1, 4). Darüber hinaus ist bei Einäugigkeit auch räumliches Sehen (Stereopsis)  nicht  möglich.  Der  Tauchpartner  muss  über  die  bestehenden Einschränkungen informiert werden und an der Seite des gesunden Auges tauchen, damit Blickkontakt und Kommunikation unter Wasser sichergestellt sind (4). Dies entspricht den im Jahr 2009 aktualisierten Empfehlungen zur Tauchtauglichkeit von Sporttauchern der deutschen und österreichischen Fachgesellschaften (7).
In  den  aktuell  gültigen  Empfehlungen  der  schweizerischen Fachgesellschaft aus dem Jahr 2001 wird ein Zeitraum von 4 Monaten nach Funktionsverlust eines Auges wegen fehlender Stereopsis als absolute Kontraindikation angesehen. Wegen sich ausbildender Pseudostereopsis  werden  4  bis  12  Monate  nach  Funktionsverlust eines Auges als relative Kontraindikation betrachtet. Nach einer einjährigen  Eingewöhnungszeit  besteht  keine  Kontraindikation  mehr. Die  genannten  Einschränkungen  gelten  ebenfalls  für  eine  funktionelle Einäugigkeit (9).
Für das Tauchen mit doppelwandigen Augenprothesen besteht aus  den  oben  genannten  Gründen  eine  absolute  Kontraindikation (7, 9).  Bei  einwandigen  Glasprothesen  ist  zwar  nicht  mit  einer  Implosion  zu  rechnen,  dennoch  ist  ein  Zerbrechen  der Glasprothese  unter  Druckschwankungen  nicht  auszuschließen. Die Verwendung einwandiger Prothesen aus  Kunststoff  ist  insofern  problematisch,  als  dass eventuell  die  Belüftung  der  Augenhöhle  nicht  mehr gewährleistet  ist,  falls  die  Orbita  durch  die  Prothese komplett  verschlossen  wird  und  kein  Luftaustausch stattfinden  kann.  Hierbei  besteht  beim  Tauchen  die Gefahr  eines  Barotraumas  (7).  Es  wurde  zwar  eine Schalenprothese  aus  Glas  mit  Druckausgleichsöffnung  speziell  für  einäugige  Taucher  entwickelt  (6), allgemein  wird  dem  Taucher  jedoch  empfohlen  eine vorhandene  Augenprothese  vor  dem  Tauchgang  zu entfernen (4, 7, 9).

Danksagung:  Frau  Svenja  Huefnagels,  B∙A∙D  Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH, Abteilung PR – Öffentlichkeitsarbeit in Bonn, danke ich für die freundliche Unterstützung beim Erstellen der Abbildung 3.

LITERATUR

  1. Butler FK Diving and hyperbaric ophthalmology. Surv Ophthalmol 39 (1995) 347 - 366.
  2. Butler FK, Hagan C Ocular complications in hyperbaric oxygen therapy, in: Neuman TS, Thorm SR (Hrsg): Physiology and medicine of hyperbaric oxygen therapy. Saunders Elsevier, Philadelphia, 2008, 570.
  3. Isenberg SJ, Diamant A Scuba diving after enucleation. Am J Ophthalmol 100 (1985) 616 - 617.
  4. Kalthoff H, John S Augenkrankheiten und Tauchtauglichkeit. Caisson 1 (1986) 15 - 18.
  5. Kalthoff H, Leipold-Kuller D Implosionsgefahr beim Tauchen mit Kunstaugen aus Glas. Z prakt Augenheilk 7 (1986) 137 - 138.
  6. Kalthoff H, Leipold-Kuller D Schalenprothesen aus Glas mit Druckausgleichsöffnung für einäugige Taucher. Z prakt Augenheilk 7 (1986) 383 - 386.
  7. Koch M, Schnell D Auge, in Tetzlaff K, Kingmann C, Muth CM, Piepho T, Welslau W (Hrsg): Checkliste Tauchtauglichkeit: Untersuchungsstandards und Empfehlungen der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM). Gentner Verlag, Stuttgart, 2009, 109 - 120.
  8. Moshfeghi DM, Moshfeghi AA, Finger PT Enucleation. Surv Oph- thalmol 44 (2000) 277 - 301.
  9. Wendling J, Ehm O, Ehrsam R, Knessl P, Nussberger P (Hrsg.) Tauchtauglichkeit Manual. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin, Schweizerische Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin und Österreichische Gesellschaft für Tauch- und Hyperbarmedizin, Biel, 2001.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Kareem Khan
HSK, Dr. Horst Schmidt Klinik
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E-Mail: kareem.khan@hsk-wiesbaden.de