Die Rolle hippokampaler und striataler Plastizitätsvorgänge für motorisches Lernen
The Role of Hippocampal and Striatal Plasticity in Motor Learning
ZUSAMMENFASSUNG
Die Neurowissenschaften können mittlerweile zeigen, wie sich neuronale Vorgänge bei Bewegungsverbesserungen in frühen Phasen eines motorischen Tainings von denjenigen in späteren Phasen des Übens unterscheiden. Langfristig wird motorisches Training von Veränderungen kortikaler Bewegungsrepräsenationen begeleitet, die unter anderem auf der Neubildung von Synapsen und den Veränderungen ihrer Übertragungsstärken beruhen. Nach einem motorischen Training treten zudem Konsolidierungsvorgänge auf, die zu Leistungsverbesserungen führen. Hierbei kommt dem Schlaf eine bedeutende Rolle zu. Der Beitrag skizziert neurowissenschaftliche Befunde zu dieser Thematik, die sich insbesondere auf motorisch relevante Lernvorgänge im Hippokampus, im Striatum und in den kortikostriatalen Schleifen beziehen. Das Striatum stellt die Eingangsstation der Basalganglien dar und trägt maßgeblich zur Planung, Initiierung und Ausführung von Bewegungen bei. Der Hippokampus besitzt für das koordinierte Zusammenfügen unterschiedlicher Gedächtnisinhalte und die räumliche Orientierung eine zentrale Rolle. Es wird deutlich, dass Plastizitäts- vorgänge in diesen Strukturen in frühen Phasen motorischen Trainings initiiert werden und diese Veränderungen verzögert auftretende Bewegungsrepräsentationen vermitteln. Die Plastizitätsvorgänge in Hippokampus, Striatum und kortikostriatalen Schleifen werden dabei durch den Neurotransmitter Dopamin beeinflusst. Da insbesondere unerwartet erfolgreiche Bewältigungen der in einem sportlichen Techniktraining gestellten Bewegungsaufgaben mit erhöhten Dopaminausschüttungen einhergehen, sind diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse für das sportliche Techniktraining von hoher Bedeutung.
Schlüsselwörter: motorisches Lernen, Striatum, Hippokampus, Dopamin.
SUMMARY
Neuroscience is now able to pinpoint how the neuronal processes in earlier stages of training are different from those in later stages if an improvement of motor skills has taken place. Long-term motor training is associated with changes in cortical representations of movement, which are also based on the development of new synapses and changes in their strength of transmission. Moreover, processes of consolidation occur after motor training, which lead to performance improvements. In this context sleep also plays a significant role. This article presents neuroscientific findings, focusing in particular on learning processes relevant for motor skills in the hippocampus, striatum and corticostriatal loops. The striatum serves as a gateway to the basal ganglia and is instrumental in planning, initiating and executing movements. The hippocampus is crucial for a coordinated assembly of memories and spatial orientation. It becomes evident that processes of synaptic plasticity are initiated in early stages of motor training and that these changes mediate delayed motor performance improvements and topographic reorganization in cortical representations of movement. These processes of neuroplasticity in the hippocampus, striatum and corticostriatal loops are influenced by dopamine. As unexpected successful motor action in sports is associated with higher dopamine release, these neuroscientific findings are of great importance for technique training in sports.
Key words: motor learning, striatum, hippocampus, dopamine.
EINLEITUNG
Um eine sportliche Technik zu beherrschen, bedarf es mehr oder weniger ausgedehnter Übungsphasen. Meinel und Schnabel gehen dabei von drei motorischen Lernphasen aus: zunächst wird die Grobkoordination entwickelt, in einer weiteren Phase folgt die Ausbildung der Feinkoordination und in der dritten Lernphase wird die Feinkoordination stabilisiert sowie die variable Verfügbarkeit ausgeprägt (32). In der Sportpraxis findet man außerdem die Einteilung in Neulernen und Optimieren einer Bewegungsfertigkeit.
Die Neurowissenschaften können mittlerweile zeigen, wie sich neuronale Vorgänge bei Bewegungsverbesserungen in frühen Phasen eines motorischen Trainings von denjenigen in späteren Phasen des Übens unterscheiden. Der folgende Beitrag skizziert neurowissenschaftliche Befunde zu dieser Thematik und stellt Überlegungen an, wonach initiale Leistungsverbesserungen mit motorisch relevanten Lernvorgängen insbesondere im Striatum, im Hippokampus und in den kortikostriatalen Schleifen einhergehen. Es wird dargestellt, wie diese Strukturen verzögert auftretende motorische Leistungsverbesserungen und topographische Veränderungen in kortikalen Bewegungsrepräsentationen vermitteln und dass hierbei der dopaminergen Neurotransmission eine bedeutende Rolle zukommt.
SPORTMOTORISCHES TRAINING UND NEURONALE PLASTIZITÄTSVORGÄNGE
Kortikale Reorganisationen
Schon seit fast zwei Jahrzehnten ist bekannt, dass das Üben von motorischen Fertigkeiten langfristig zu Veränderungen in kortikalen Repräsentationen führt (3). So weisen professionelle Geigenspieler eine Vergrößerung des kortikalen somatosensorischen Areals für die Finger der linken Hand auf, mit der sie die Saiten ihres Instruments 15). Experten im Badmintonspiel zeigen im Vergleich zu Novizen ebenfalls deutliche Unterschiede in der Größe der motorischen Repräsentation der Schlaghand (37). Entsprechend konnte bei Volleyballspielerinnen im Vergleich zu Läufern größere und vermehrt überlappende Repräsentationen derjenigen Muskeln beobachtet werden, die für die Kontrolle der Arme zuständig sind (47). Zudem wurde bei den Angreiferinnen im Volleyball der Schlagarm auf der dominanten Körperseite von einem größeren kortikalen Bereich angesteuert. Adaptionen kortikaler Karten zeigen sich aber nicht erst nach langfristigem Training, sondern können auch durch kürzere Übungseinheiten erzielt werden. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie ( fMRT) konnte bereits nach einem dreiwöchigen Training einer Bewegungsabfolge der Finger die Vergrößerung der kortikalen Bewegungsrepräsentation beobachtet werden (22). Stabile Bewegungsverbesserungen scheinen jedoch nicht zwingend auf solchen Vergrößerungen und Überlappungen kortikaler Karten zu gründen. In Untersuchungen von Pascual-Leone und Mitarbeiter bildete sich die nach einer Woche täglichen Übens einer Fingerübung auf einer Klaviertastatur beobachtete Vergrößerung der kortikalen Fingerkarten wieder zurück, ganz gleich, ob die Probanden die Fingerübungen weiterführten und sich in ihrer motorischen Leistung verbesserten oder nach der Trainingswoche die Fingerübungen beendeten (36).
Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass stabile Bewegungsverbesserungen von strukturellen Veränderungen im Kortex begleitet werden: So wurde in mehreren Studien nach mehrwöchigen Jongliertraining eine Zunahme der Dichte kortikaler Struktur beobachtet (12, 42). Auch bei hochklassigen Judokämpfern konnte im Vergleich zu Freizeitsportlern eine höhere Gewebsdichte im primären motorischen Kortex und in einigen kortikalen Bereichen, die mit dem Gedächtnis in Zusammenhang stehen, nachgewiesen werden (48). Solche Zunahmen kortikaler Gewebsdichte werden auf die Neubildung von Synapsen und auf eine größere Verästelung der Dendriten zurückgeführt (46). Bei Ratten wurde nach motorischem Training im motorischen Kortex eine Erhöhung der Anzahl von Synapsen in denjenigen Bereichen beobachtet, die in die Reorganisation der motorischen Karten eingebunden waren (24). Weiterhin konnte sowohl bei Ratten und als auch bei Menschen kortikale Plastizitätsvorgänge nach motorischem Lernen auf Langzeitpotenzierung (LTP) und Langzeitdepression (LTD) zurückgeführt werden (3). LTP bezeichnet die überdauernde Steigerung synaptischer Effizienz, die durch korrelierte prä- und postsynaptische Aktivität hervorgerufen wird. Unter LTD versteht man die überdauernde Verminderung der synaptischen Effizienz.
Ergebnisse aus Tierstudien sprechen dafür, dass die kortikale Synaptogenese und die Reorganisation kortikaler Karten erst nach langen Phasen motorischen Übens auftreten und nicht schon in der ersten Trainingseinheit (24). Da motorisches Lernen durch die künstliche Hemmung der Fähigkeit zur Reorganisation in motorischen Karten gestört wird (8) und ein Wiederholen einfacher, bereits beherrschter Bewegungen bei Affen zu keinen Veränderungen in motorischen Repräsentationen führt (40), kann man davon ausgehen, dass zunehmende Leistungsverbesserungen im sportmotorischen Training unter anderem auf die Veränderungen kortikaler Repräsentationen zurückzuführen sind, die aus Neubildungen neuronaler Verbindungen und den Veränderungen der synaptischen Übertragungsstärken hervorgehen.
Plastizitätsvorgänge in initialen Phasen des motorischen Lernens
Die ersten Bewegungsverbesserungen in frühen Phasen der Auseinandersetzung mit einer neuen Bewegungsaufgabe gehen insbesondere mit Aktivitätssteigerungen im Striatum und dem Zerebellum einher (34, 48). Diese hohe Aktivität im Zerebellum vermindert sich in späten Phasen des Trainings und wird auf die Anpassung der Bewegungskinematik an den sensorischen Input in diesen frühen Phasen zurückgeführt (38). Das Striatum stellt die zentrale Eingangsstation der Basalganglien dar. Die Basalganglien und der Kortex sind über Bahnen, die von vielen unterschiedlichen Bereichen des Kortex zum Striatum und vom Striatum über multisynaptische Verbindungen zurück zum Kortex führen, sehr stark miteinander verknüpft (45). Die striatalen Aktivitätssteigerungen in frühen Phasen motorischen Trainings stehen in engem Zusammenhang mit synaptischen Plastizitätsvorgängen: Bei Primaten wird in den initialen Phasen des motorischen Lernens in kortikostriatalen Schleifen eine schnelle und ausgedehnte Einbindung der aufgabenbezogenen neuronalen Aktivität beobachtet, die höchstwahrscheinlich auf Veränderungen synaptischer Stärken zurückzuführen ist (9). Zudem konnten im kortikostriatalen Netzwerk während frühen Phasen instrumentellen Lernens die Aktivierung von Genen nachgewiesen werden, die eng im Zusammenhang mit synaptischer Plastizität und Gedächtnis stehen (18). Bei Mäusen fielen im Striatum Veränderungen in den synaptischen Stärken, die während frühen Phasen motorischen Trainings beobachtet wurden, in späten Lernphasen wieder auf das Ausgangsniveau zurück (51). Weiterhin zeigen Mäuse, die im Striatum keine LTP entwickeln können, Störungen beim Erlernen motorischer Handlungen (10).
Insgesamt legen die Befunde nahe, dass Lernfortschritte in frühen Phasen eines motorischen Trainings mit synaptischen Stärkenveränderungen in kortikostriatalen Schleifen und striatalen Plastizitätsvorgängen einhergehen.
Konsolidierungsvorgänge nach Beendigung des motorischen Trainings
Motorisches Lernen endet nicht mit der Trainingseinheit. Weitere Leistungsverbesserungen nach einem motorischen Training werden auf Grundlage fortwährender Verarbeitungsvorgänge des bereits Gelernten erzielt. Werden beim Erlernen einer motorischen Aufgabe insbesondere präfrontale Bereiche aktiviert, beobachtet man sechs Stunden nach Beendigung des Trainings bei derselben Aufgabe die Aktivierung vor allem prämotorischer, parietaler und zerebellarer Areale (44). Diesem scheinbaren Transfer motorischer Gedächtnisinhalte in andere Gehirnregionen erwachsen motorische Leistungsverbesserungen, selbst wenn kein weiteres Training erfolgt (17, 19, 23, 26, 49). Bis zu sechs Stunden nach dem Training lässt sich die Entwicklung einer überdauernden Leistungsverbesserung durch chemische, elektrische und verhaltensbezogene Interferenz stören (13, 31, 33, 35, 44, 49). Bemerkenswerterweise wurden die verzögert auftretenden Leistungsverbesserungen nach Beendigung des Trainings einer Bewegungsabfolge der Finger am folgenden Tag nur beobachtet, wenn die Probanden in der Zeit nach dem Training schlafen konnten (49). Die schlafabhängige Leistungssteigerung wurde nicht beobachtet, wenn die Probanden zehn Minuten nach dem Training einer Bewegungsabfolge der Finger eine zweite, andere Bewegungssequenz erlernten. Erst wenn der zeitliche Abstand der Lernphasen beider Sequenzen auf sechs Stunden erhöht wurde, trat keine Interferenz auf (49). Solche Störungen der verzögerten Leistungsverbesserungen traten nicht auf, wenn die Probanden einen kurzen Mittagsschlaf im Anschluss an das Training der ersten Sequenz absolvierten (26). Offensichtlich fördert Schlaf motorisch relevante Konsolidierungsvorgänge.
STRIATAL VERMITTELTE REORGANISATIONEN KORTIKALER BEWEGUNGSREPRÄSENTATIONEN
Der Hippokampus und das Striatum vermitteln verzögert auftretende Leistungsverbesserungen
Folgt man den skizzierten Befunden, dann treten beobachtbare kortikale Reorganisationen von Bewegungsrepräsentationen erst nach bestimmten Trainingsumfängen auf. Initiale Lernfortschritte gehen dagegen mit Plastizitätsvorgängen im Striatum und in den kortikostriatalen Schleifen einher. Nach einem motorischen Training treten Leistungsverbesserungen verzögert auf. Die Leistungsverbesserungen werden mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Training störungsunanfälliger. Dies spiegelt möglicherweise den Transfer motorischer Gedächtnisinhalte in andere Gehirnbereiche wider.
Für deklarative Gedächtnisinhalte ist der leistungssteigernde Effekt durch Schlaf bei Konsolidierungsvorgängen bereits seit längerem bekannt. Hierbei spielt der Hippokampus eine bedeutende Rolle: Bei Ratten konnte beobachtet werden, dass nach der Exploration eines Raumes während des folgenden Schlafs im Hippokampus genau diejenigen Neurone, die die Repräsentation des Raumes ausbildeten, nochmals aktiviert wurden (7, 28). Vergleichbare Ergebnisse liegen aus Studien an Menschen vor. Spielten Probanden ein Computerspiel, bei dem sie lernten, durch eine virtuelle Stadt zu navigieren – was mit neuronalen Aktivitäten im Hippokampus einherging – wurden im Schlaf vergleichbare Aktivierungsmuster beobachtet. Dabei schnitten die Probanden am nächsten Tag beim Navigieren desto besser ab, je stärker die Signale im Hippokampus beim Schlafen waren (41).
Während beim Navigieren der Hippokampus höchste Bedeutung besitzt, werden motorische Handlungen aus spezifischen neuronalen Aktivierungsmustern im Kortex und in den Basalganglien hervorgehen. So werden in frühen Phasen motorischen Lernens auftretende synaptische Veränderungen in kortikostriatalen Schleifen und im Striatum mit fortschreitendem Training auch zu Veränderungen der Aktivierungsmuster in kortikalen Netzwerken führen. Da die kortikalen, synaptischen Plastizitätsvorgänge eine wiederholte, korrelierte neuronale Aktivierung erfordern (3), werden diese Veränderungen in den kortikalen Aktivierungsmustern dort synaptischen Veränderungen bewirken. Dies deutet auf die Möglichkeit hin, dass die Veränderungen kortikaler Bewegungsrepräsentationen und die verzögert auftretenden Leistungsfortschritte nach motorischem Training über die synaptischen Veränderungen kortikostriataler Schleifen und des Striatums vermittelt werden. Tatsächlich beobachtete man bei dem Training einer okulomotorischen Reaktionszeitaufgabe, dass sich die Aktivierungen des Hippokampus’ und des Striatums linear zu den späten Leistungsverbesserungen verhalten, die nach Schlaf über Nacht am nächsten Tag beobachtet werden (2). Ähnliche striatale Aktivierungsbezüge wurden auch beim Erlernen einer Bewegungsabfolge der Finger beobachtet (11). Weiterhin standen die frühen, trainingsunabhängigen Leistungssteigerungen, die 5 bis 30 Minuten nach einem Training beobachtet wurden, in engem Zusammenhang zu den Leistungssteigerungen, die 48 Stunden nach dem Training gemessen wurden (19). Bei Parkinsonpatienten, die Störungen im impliziten Lernen von Bewegungssequenzen zeigen, wurden während des Erlernens einer Bewegungssequenz im Vergleich zur Kontrollgruppe deutliche Unterschiede in den Aktivierungsmustern des kortikostriatalen Systems und ein Ausbleiben der striatalen Aktivität während der frühen Lernphase beobachtet (33).
Offensichtlich besitzen die in frühen Übungsphasen beobachteten hippokampalen und striatalen Plastizitätsvorgänge für die Konsolidierung motorisch bedeutsamer Informationen und damit für die verzögert auftretenden Leistungsverbesserungen hohe Bedeutung.
Dopaminerge Modulation von hippokampalen und striatalen Lernvorgängen
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Hippokampus und Kortex liegt in der Geschwindigkeit, mit der Informationen gespeichert werden. Im Vergleich mit dem Hippokampus lernt der Kortex sehr viel langsamer. Der Hippokampus spielt die zentrale Rolle bei der Speicherung und dem Abrufen von Informationen über Fakten und Ereignisse sowie deren zeitliche, räumliche und funktionale Beziehungen miteinander (14, 25). Das klassische Modell der Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte nimmt an, dass Gedächtnisinhalte anfänglich die Bindung über den Hippokampus erfordern und mit der Zeit diese in kortikale Netzwerke integriert werden. Jüngste Überlegungen untermauern, dass über dopaminerge Aktivierungen der Area tegmentalis ventralis (ATV) im Hippokampus kontrolliert wird, welche Inhalte überdauernd kortikal gespeichert werden (29). Wird Dopamin in den Schleifen zwischen Hippokampus und ATV ausgeschüttet, löst dies an den in die spezifische Aktivierung eingebundenen, hippokampalen Synapsen LTP aus. So wird der entsprechende Input hippokampal verarbeitet und mit wiederholter Aktivierung des Hippokampus über dessen enge Verbindung zum Kortex zunehmend kortikal kodiert.
Theoretische Modelle sagen voraus, dass es durch jede neue Information zu einer Interferenz mit dem bisher Gelernten kommen müsste, wenn der Hippokampus oder der Kortex als einziges System für Kodierung und Abruf verantwortlich wäre. Wenn jedoch neue Information langsam, im Laufe vieler Wiederholungen in das bestehende Netzwerk eingebaut wird, gelingt diese Integration der neuen Information. Eine Alternative bietet das Modell zweier Lernsysteme. Es erklärt, wie Information schnell aufgenommen werden kann, ohne dass dabei Interferenzen verursacht werden (30). Hierbei übernimmt der Hippokampus die Funktion des schnellen Lernsystems, während der Neokortex das langsame Lernsystem darstellt. So ist die Beteiligung des Hippokampus in die Entwicklung verzögert auftretender, okulomotorischer Leistungsfortschritte insbesondere bezüglich der Integration motorisch relevanter Ereignisse sowie deren zeitliche, räumliche und funktionale Beziehungen untereinander in bestehende kortikale Repräsentationen zu verstehen.
Dass auch das Striatum im Zusammenhang mit früh auftretenden Leistungsverbesserungen steht und in die Vermittlung verzögert auftretender Leistungsverbesserungen eingebunden ist, verweist auf eine mit dem Hippokampus vergleichbare Rolle des Striatums bei der Entwicklung motorischer Gedächtnisinhalte.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Striatum von der Substantia nigra und der ATV dopaminerg innerviert wird und synaptische Plastizitätsvorgänge in kortikostriatalen Schleifen und im Striatum ebenfalls die Ausschüttung von Dopamin erfordern (4, 45) (vgl. Abb.1).
Das Striatum verarbeitet Input über konkrete Bedingungen und Konsequenzen von Handlungen sowie über die Vorbereitung und Ausführung motorischen Verhaltens (4). So lässt sich annehmen, dass das Striatum die kortikale Kodierung motorischer Gedächtnisinhalte im engeren Sinne vermittelt. Im Striatum treten zudem Formen einer Spike-timing abhängigen Plastizität auf (16). LTP wird ausgelöst, wenn die präsynaptische Stimulation der postsynaptischen Stimulation im Millisekundenbereich vorausgeht, LTD wird ausgelöst, wenn die Reihenfolge umgekehrt wird.
Offensichtlich ist der Hippokampus in die Vermittlung verzögert auftretender motorischer Leistungsverbesserungen und in die Entwicklung kortikaler Gedächtnisinhalte eingebunden. Initiale motorische Leistungsverbesserungen werden von striatalen Plastizitätsvorgängen begleitet. Da das Striatum zudem späte Bewegungsverbesserungen vermittelt, stehen diese verzögert auftretenden Leistungsfortschritte in einem engen Zusammenhang zu den dargestellten topographischen Veränderungen motorischer Repräsentationen. Die hohe Bedeutung des Schlafs für die Konsolidierung motorischer Gedächtnisinhalte legt nahe, dass während Schlafphasen nicht nur unter hippokampaler, sondern auch unterstriataler Vermittlung kortikale Plastizitätsvorgänge ausgelöst werden. Im ventralen Striatum konnten bereits solche Reaktivierungen während Schlafphasen beobachtet werden (39). Dass im Schlaf motorische Aktivierungsmuster generiert werden, zeigt die Beobachtung, dass schlafende Katzen imaginäre Mäuse fangen, wenn die im Schlaf auftretende Hemmung von Neuronen im Hirnstamm aufgehoben wird.
Somit ist festzustellen, dass der Hippokampus und das Striatum bei der Vermittlung der überdauernden, kortikalen Kodierung motorisch relevanter Gedächtnisinhalte höchstwahrscheinlich die zentrale Rolle spielen, wobei in beiden Strukturen Lernvorgänge eine Dopaminausschüttung erfordern.
Dopaminausschüttungen nach unerwartetem Bewegungserfolg
Es wurde dargestellt, dass Plastizitätsvorgänge im Hippokampus, in den kortikostriatalen Schleifen und im Striatum mit Leistungssteigerungen in initialen Phasen motorischen Trainings einhergehen und diese Lernvorgänge Dopaminauschüttungen erfordern.
Es ist anzunehmen, dass Dopaminauschüttungen insbesondere nach unerwartet positiven Bewegungsereignissen auftreten: In Tier- und Humanstudien bleibt die dopaminerge Aktivität unverändert, wenn eine Belohnung wie erwartet eintritt und wird unterdrückt, wenn eine Belohnung ausbleibt oder schlechter als erwartet ausfällt. Dagegen beobachtet man eine schnelle und starke Aktivitätssteigerung der Dopaminneurone in der Substantia nigra und der ATV, wenn eine Belohnung eintrifft, die nicht erwartet wurde oder besser als erwartet ist (3, 4, 43). Diese Dopaminaktivierungen reflektieren somit einen Belohnungsvorhersagefehler, der sich aus der Differenz zwischen erwarteter und tatsächlich erfolgter Belohnung ergibt. In Konditionierungsaufgaben und Entscheidungsparadigmen konnten Korrelationen der Aktivität im ventralen und im dorsalen Striatum mit dem Belohnungsvorhersagefehler beobachtet werden (1, 20). Nach längeren Trainingsphasen tritt die dopaminerge Aktivitätssteigerung bereits dann auf, wenn Stimuli die Belohnung ankündigen. Wie computationale Modelle zeigen, ist das Besondere der Spike-timing abhängigen Plastizität kortikostriataler Synapsen, dass sich aufgrund der Anforderungen eines präzisen Timings im Millisekundenbereich zur Auslösung der Plastizitätsvorgänge die Verbindung zwischen einem präsynaptischen Stimulus und einer postsynaptischen Antwort verstärkt, auch wenn Dopamin erst Sekunden später ausgeschüttet wird (21). So initiieren nach einer motorischen Handlung auftretende Steigerungen dopaminerger Aktivität die Plastizitätsvorgänge im Striatum. In einer Einzelfallstudie mit fMRT führte die Betrachtung eines Schraubensaltos auf Ski, der jahrelang trainiert wurde, im Gehirn zu Aktivitätssteigerungen in den dopaminergen Ursprungsgebieten und dem dorsalen Striatum (5). Bei der Betrachtung von Bewegungsabläufen aus einer anderen Sportart, die nicht trainiert wurden, blieb eine solche Aktivierung dagegen aus. Neben diesen Beobachtungen sprechen auch die hohe Abstraktheit der Belohnungen, die in Humanstudien gesteigerte Feuerraten in dopaminergen Ursprungs- und Zielbereichen hervorrufen (wie z. B. der Erhalt von Geld), und die dopaminerge Reflexion eines Belohnungsvorhersagefehlers dafür, dass im sportlichen Fertigkeitstraining die unerwartet erfolgreiche Bewältigung einer Bewegungsaufgabe von Dopaminausschüttungen begleitet wird (4).
Da synaptische Veränderungen in der Regel allein durch korrelierte, neuronale Aktivität hervorgerufen werden können, sehen Lisman und Grace eine Funktion dieser besonderen dopaminergen Modulation der Schleifen zwischen Hippokampus und der ATV im Schutz der zuvor gespeicherten Inhalte (29). Dasselbe ist für die dopaminerge Modulation kortikostriataler Schleifen und des Striatums denkbar. Nur wenn ein Bewegungsvollzug besser gelingt als ursprünglich erwartet, treten Dopaminausschüttungen und damit motorische Lernvorgänge auf.
Insbesondere in initialen Trainingsphasen ist die Wahrscheinlichkeit eines unerwarteten Bewegungserfolges hoch. In der Regel sinkt diese mit fortschreitendem Training. Somit bedeuten die striatalen Aktivierungen, die in frühen Phasen motorischen Trainings beobachtet werden, möglicherweise keine Veränderungen hinsichtlich zeitlicher Bezüge, sondern Veränderungen in Reaktion auf die Unerwartetheit eines Leistungsfortschritts. Dies könnte auch eine Erklärung dafür darstellen, dass beim Üben motorischer Fertigkeiten sich zwar die Leistung verbessert, aber zugleich die Geschwindigkeit der Verbesserung über die Durchgänge hinweg abnimmt.
DIE ROLLE DES HIPPOKAMPUS UND DES STRIATUMS BEI MOTORISCHEN LERNVORGÄNGEN
Die dargestellten neurowissenschaftlichen Befunde und Zusammenhänge verweisen darauf, dass das wiederholte Üben von sportlichen Fertigkeiten über Vorgänge synaptischer Plastizität langfristig zu Veränderungen kortikaler Bewegungsrepräsentationen führt. Die Entwicklung der kortikalen Repräsentation einer sportmotorischen Fertigkeit wird dabei anteilig über den Hippokampus, das Striatum und die kortikostriatalen Schleifen vermittelt. In diesen Strukturen treten Plastizitätsvorgänge nur nach starken Aktivitätssteigerungen der Dopaminneurone auf. Da starke Aktivitätssteigerungen der Dopaminneurone aus unerwartet positiven Handlungsergebnissen hervorgehen und solche Aktivierungen auch sportliche Ereignisse begleiten können, wird vermutlich insbesondere die unerwartet erfolgreiche Bewältigung einer sportlichen Situation zu Dopaminausschüttungen im Striatum und Hippokampus führen und dort Plastizitätsvorgänge auslösen.
Dies bedeutet, dass für hippokampale und striatale Lernvorgänge der Zeitpunkt des Gelingens der entscheidende ist – und dieses Gelingen muss für den Lernenden überraschend in dem Sinne auftreten, dass das Bewegungsergebnis besser als erwartet erscheint. Im sportlichen Techniktraining gilt es daher Lernumgebungen bereitzustellen, die ein Gelingen ermöglichen, und zugleich die angesteuerten Fertigkeiten so anzubieten, dass der Erfolg für den Lernenden unerwartet auftritt. Hierbei wird den externen Situationsbezügen, die Steigerungen dopaminerger Aktivität begleiten, intern ein hoher Anreiz zugeordnet (27). Bezieht man diese Befunde auf die klassische Motivationsforschung, kann man Parallelen zu der Aussage ziehen, dass der Anreiz einer Aktivität umso höher ist, je unsicherer das Eintreten von Erfolg ist (6).
So lassen sich striatale und hippokampale Lernvorgänge dem Neulernen zuordnen, während die zunehmende Optimierung einer Bewegungsfertigkeit im Zusammenhang mit den Veränderungen kortikaler Bewegungsrepräsentationen steht.
Die Interferenzphänomene bei verzögert auftretenden motorischen Leistungsverbesserungen deuten darauf hin, dass die Integration kodierungsrelevanter Inhalte in die motorischen Kortexareale über Hippokampus und Striatum bereits innerhalb der ersten Stunden nach dem Training auftritt. Entweder beschleunigt Schlaf über eine Reaktivierung striataler und hippokampaler Netzwerke diesen Vorgang oder schützt die striatale und hippokampale LTP vor einer Destabilisierung, indem durch die körperliche Inaktivität während des Schlafs weitere dopaminerge Aktivierungen unterbunden werden. Möglicherweise ergänzen sich beiden Vorgänge.
AUSBLICK
Offenbar spielt die dopaminerge Neurotransmission eine zentrale Rolle bei Lernvorgängen in frühen Phasen motorischen Trainings. Im Striatum bindet das Dopamin-Transporter Protein (DAT) Dopamin und transportiert es von der Synapse in das Neuron.
Genpolymorphismen beeinflussen das Vorkommen von DAT und damit die Effekte von Dopamin im menschlichen Striatum. So ist zu anzunehmen, dass Polymorphismen des DAT Gen beim Menschen Einfluss auf das Erlernen motorischer Fertigkeiten besitzen. Die Art möglicher Zusammenhänge ist für das sportliche Techniktraining von hoher Bedeutung. Unserem Kenntnisstand nach liegen hierfür bisher keine Untersuchungen vor.
Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Keine.
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Frieder Beck
Lehrstuhl für Sportpsychologie
Technische Universität München
Connollystr. 32
80809 München
E-Mail: beck@sp.tum.de