Regeneration im Leistungssport
Recovery in Competitive Sports
Während der Fußball-WM 2010 wird gewiss erneut die Diskussion über den Regenerationsbedarf von Leistungssportlern aufkommen. Im Fußball sind Klagen über eine zu hohe Beanspruchung der Spieler am lautesten, auch wenn Trainings- und Wettkampfstrukturen in anderen Sportarten belastender sein mögen. Ungeachtet solcher Differenzen zwischen Disziplinen hat sich in der leistungssportlichen Betreuung offenbar die Ansicht durchgesetzt, dass in einer optimierten Erholung der Schlüssel zu künftigen Zuwächsen der Leistungsfähigkeit steckt. Unterstützend wirken entsprechende Äußerungen von Athleten und nicht zuletzt eine mittlerweile auf diesen Sektor abzielende Industrie. Schließlich lassen sich unschwer Verdienstmöglichkeiten vorstellen, die entweder in einer Messung der Erholtheit oder in Maßnahmen zur Regeneration stecken.
Aus dieser Konstellation ergeben sich für die Sportmedizin verschiedene Erfordernisse: die Fortentwicklung und Evaluation diagnostischer Verfahren und interventioneller (regenerationsförderlicher) Maßnahmen sowie eine interdisziplinäre Herangehensweise.
Erholtheitsdiagnostik
Auch wenn verschiedene diagnostische Methoden ansatzweise (oft in unteren Klassen) evaluiert worden sind, hat sich bislang kein zuverlässiges Instrument zum Monitoring der „Erholtheit“ herausgestellt (1, 2). Dies liegt auch daran, dass die Definition eines solchen Konstrukts problematisch und vielschichtig ist. Der logische „Goldstandard“ für Erholtheit ist das Ergebnis einer möglichst guten Wettkampfsimulation, solches Vorgehen stößt aber verständlicherweise wegen der zwangsläufig erforderlichen maximalen Belastungen auf wenig Akzeptanz. Zudem steht beispielsweise für Spiel-und Rückschlagsportarten kein valider Wettkampftest zur Verfügung (zur Standardisierung üblicher Feldtests im Fußball vgl. (10)). Verschiedene Verfahren, die einzelne Ebenen der Erschöpfung zu erfassen versuchen (z. B. Herzfrequenzvariabilität, Hautwiderstandsmessungen und/oder Atemrhythmik), erweisen sich bislang in der Praxis nicht als hinreichend zuverlässig, um für einen einzelnen Sportler (Es geht hier nicht um Mittelwertsunterschiede!) eine Diagnose des Regenerationsstatus und damit der momentanen Belastbarkeit zu stellen. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen einer Feststellung „nicht belastbar“, die bis zu Trainings- und Wettkampfpause gehen können, ist für eine Anwendung im Leistungssport ein besonders hoher Anspruch an die Gütekriterien solcher Diagnoseverfahren zu stellen.
Und diesen erfüllen bestenfalls wenige Parameter, die nur einen Teilbereich der physischen Beanspruchung abbilden und zudem nur auf der Basis individuell gewonnener „Normalwerte“ interpretationsfähig sind. Selbst die häufig zum Trainingsmonitoring verwendeten Harnstoff- und Creatinkinase (CK)-Daten unterliegen vielen Einschränkungen (9). Zwar besteht für ihren Einsatz eine relativ umfangreiche Erfahrung in der Sportmedizin, doch ein seriöser Umgang mit derartigen Messresultaten sollte zu einer gewissen Zurückhaltung in ihrer Interpretation führen. Diese Erörterungen legen nahe, dass vermehrt vermeintlich etablierte, aber auch „innovative“ Instrumente zur Messung der Erholtheit einer wissenschaftlichen sportmedizinischen Evaluation zu unterziehen sind.
Regenerationsfördernde Maßnahmen
Ein Mangel an etablierten und evaluierten Verfahren, um den Regenerationsstatus zu messen, hat dazu beigetragen, dass verschiedene – teilweise obskure – Methoden zur Unterstützung der Erholung angeboten werden (1), die selbstverständlich mit wissenschaftlich/sportmedizinisch klingenden Argumenten angepriesen werden. So lässt sich im Fußball feststellen, dass von Ernährungsberatern in letzter Zeit sehr stark diverse Supplementierungen propagiert werden. Dies ergibt sich teilweise aus der ungünstigen Konstellation, dass sie fürchten müssen, als überflüssig angesehen zu werden, sobald die sportgerechte Ernährung einmal auf die Beine gestellt und vom Verein „institutionalisiert“ ist. Sportmedizinisch geschulte Mannschaftsärzte mit praktischer Erfahrung im Leistungssport und dementsprechend guten Kenntnissen über sportgerechte Ernährung könnten an mancher Stelle Abhilfe schaffen.
Insgesamt gilt für das weite Feld der regenerationsfördernden Maßnahmen, dass zwar grundsätzlich Wirksamkeitsnachweise zu fordern sind, diese aber angesichts der fehlenden etablierten Diagnostika (s. o.) schwierig sind. Insofern muss auf der Basis der verfügbaren Kenntnisse und wissenschaftlich-kritischer Einschätzung der Plausibilität vorgegangen werden. Ein solcher Ansatz wurde kürzlich für die Applikation von Kälte im Rahmen einer durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderten Untersuchung verfolgt (5). Vielversprechend erscheint aber auch die Prüfung bestimmter Trainingsformen mit regenerativem Ansatz, die bislang gewiss zu kurz gekommen ist (4, 6, 7).
Interdisziplinarität
Nach kritischer Betrachtung der Studienlage ist momentan festzuhalten, dass sportmedizinische Parameter und/oder Methoden allein nicht durchweg als die effektivsten in Diagnostik und Förderung der Regeneration zu bezeichnen sind. Beispielsweise psychometrische Instrumente erweisen sich in wissenschaftlichen Studien als durchaus tauglich für das Monitoring von Beanspruchung (3, 8). Auch wenn auf diese Weise wohl eine etwas andere Ebene abgebildet wird, als es Laborwerte und ergometrische Messungen vermögen, muss diesem Ansatz Potenzial zugebilligt werden.
Allerdings ist fraglich, inwieweit Fragebögen an ihre Grenzen stoßen, wenn es im Leistungssport um Nominierungen geht und Sportler ahnen, was hinter den Fragen und/oder anzukreuzenden Adjektivlisten steht. Sportpsychologische Interventionen sind ebenfalls bedenkenswert, wenn es um Stressbewältigung, schnelle Erholung oder Fokussierung geht. Insofern steht es jedem im Leistungssport tätigen Sportmediziner gut an, ein gewisses psychologisches Rüstzeug zu besitzen, zumindest aber die Nachbardisziplin nicht zu ignorieren, sondern Ansprechpartner für Probleme zu kennen, die allenthalben auftauchen – nicht zuletzt im Bereich der Messung und Förderung von Regeneration.
Insbesondere im professionellen Fußball wird eine hohe Beanspruchung der Spieler auch durch verschiedene nicht-physiologische Faktoren hervorgerufen, die sich aus der starken Publizität der Sportart und der zeitlchen Struktur des Spielplans ergeben: häufige Reisen, ein Leben in Hotels, Ansprüche der Sponsoren, Pressetermine etc. Derzeit existiert kein einfaches Instrument, um all diese Aspekte gesammelt abzubilden. Dennoch kann ein Schrotschussverfahren im Sinne einer ausufernden Diagnostik oder ein inflationärer Einsatz ungeprüfter Methoden zur Regenerationsunterstützung nicht befürwortet werden. Manchmal wäre schlicht etwas Demut am Platze, indem man ehrlich auf den Mangel an aussagekräftigen Methoden verweist.
Abhilfe kann nur Forschung im Leistungssport schaffen, somit auch unter Beteiligung von Leistungssportlern. Auf dieser Ebene könnten jedoch manche Vereine und Verbände noch „nachlegen“. Denn ein Verweis auf gestörte Trainingsabläufe und/oder hohen Aufwand für eine Studienteilnahme läuft dann ins Leere, wenn innovativer Input aus der Wissenschaft ausbleibt und man daher hinter andere Vereine oder Nationen zurückfällt.
An mangelndem Forschungsinteresse liegt es nicht, vielmehr in einigen leistungssportlichen Bereichen an fehlender Offenheit für die Wissenschaft oder an der Angst, eigene Vorgehensweisen durch externe Wissenschaftler hinterfragen zu lassen.
LITERATUR
- Using recovery modalities between training sessions inelite athletes: does it help? Sports Med 36 (2006) 781-796.
- What is the biomechanical andphysiological rationale for using cold-water immersion in sportsrecovery? A systematic review. Br J Sports Med 44 (2010) 179-187.
- Monitoring changesin performance, physiology, biochemistry, and psychology duringoverreaching and recovery in triathletes. Int J Sports Med 28 (2007)125-134.
- Recovery trainingin cyclists: ergometric, hormonal and psychometric fidings. Scand JMed Sci Sports 18 (2009) 433-441.
- Kälteapplikation imSpitzensport - Eine Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Evidenz.Sportverlag Strauss, Köln 2010.
- Intensity of exercise recovery, blood lactate disappearance,and subsequent swimming performance. J Sports Sci 26 (2008) 29-34.
- Diffrent effcts of 2 regeneration regimens on immunologicalparameters in cyclists. Med Sci Sports Exerc 36 (2004) 1743-1749.
- Training of junior rowers before worldchampionships. Effcts on performance, mood state and selectedhormonal and metabolic responses. J Phys Fit Sports Med 40 (2000)327-335.
- Biochemical monitoring of training.Clin J Sport Med 2 (1992) 52-61.
- Leistungsdiagnostische Testverfahren im Fußball - methodische Standards.Dtsch Z Sportmed 61 (2010) 129-133.