Sportmedizin
STANDARDS DER SPORTMEDIZIN
BIKUSPIDE AORTENKLAPPE

Biskuspide Aortenklappe und Sporttauglichkeit

Bicuspid Aortic Valve and Sports Capability

Hochschulambulanz, Zentrum für Sportmedizin, Freizeit-, Gesundheits- und Leistungssport, Universität Potsdam

ZUSAMMENFASSUNG

Mit einer Prävalenz von 1- 2% ist die bikuspide Aortenklappe die häufigste  angeborene  Anomalie  des  Herzens.  Da  bikuspide  Aortenklappen  sowohl  mit  Insuffizienzen  und/oder  Stenosen  und daraus  resultierenden  pathologischen  linksventrikulären  Dimensions- und Funktionsveränderungen als auch mit einer Dilatation der  Aorta  ascendens  einhergehen  können,  sind  sie  aufgrund  des damit verbundenen erhöhten Risikos für den plötzlichen Herztod beim Sport in der Sportmedizin von besonderer Bedeutung. Zur Risikostratifizierung  sind  bei  Sportlern  regelmäßige  echokardiographische Kontrollen und Belastungsuntersuchungen notwendig. Bei asymptomatischen  Sportlern  mit  bikuspider  Aortenklappe  ohne Aortendilatation,  leichtgradigen  Aortenklappenvitien  sowie  normaler  Herzgröße  und  Funktion  besteht  uneingeschränkte  Sporttauglichkeit. Liegt zusätzlich eine Aortendilatation vor, hängt die Sporttauglichkeit  vom  Ausmaß  der  Dilatation  ab.  Bei  bikuspiden Aortenklappen mit höhergradige Stenosen bzw. Insuffizienzen ist die  Sporttauglichkeit  bei  asymptomatischen  Sportlern  vom  Ausmaß des Vitiums, den linkventrikulären Dimensionen und Funktionen sowie von eventuellen  Herzrhythmusstörungen abhängig. Bei symptomatischen bikuspiden Aortenklappen besteht keine Tauglichkeit für Wettkampfsport.

EINLEITUNG

Mit einer Prävalenz von 1- 2% ist die bikuspide Aortenklappe die häufigste angeborene Fehlbildung des Herzens, die durch eine unvollständige  Trennung  oder  Fehlanlage  der  drei  Taschenklappen bedingt ist. Aufgrund der abnormalen Taschenklappenarchitektur können  hieraus  sowohl  eine  Aortenklappeninsuffizienz  als  auch eine Aortenklappenstenose resultieren. Im Kindes- und Jugendalter besteht meist noch eine gute Beweglichkeit und Dehnbarkeit der Taschenklappen mit erhaltener Klappenfunktion, so dass bikuspide Aortenklappen nicht zwangsweise mit einem auskultatorischen Befund oder klinischen Symptomen einhergehen müssen. Hämodynamisch relevante Stenosen und Insuffizienzen entstehen häufig erst im Verlauf durch degenerative Veränderungen. Im Rahmen  von  sportmedizinischen  Screeninguntersuchungen  stellen bikuspide Aortenklappen in der Regel echokardiographische Zufallsbefunde  bei  leistungsfähigen  und  asymtpomatischen  Sportlern dar (5, 6). Meist liegt eine funktionell bikuspide Aortenklappe vor, am häufigsten mit Raphe zwischen rechts- und linkskoronarer Taschenklappe, gefolgt von Befunden mit Raphe zwischen rechts- und akoronarer Taschenklappe. Seltener handelt es sich um eine echte bikuspide Aortenklappe mit lediglich zwei Taschenklappen.

BEDEUTUNG IN DER SPORTMEDIZIN

In  der  Sportmedizin  kommt  der  bikuspiden  Aortenklappe  eine besondere  Bedeutung  zu,  weil  diese  neben  der  Ausbildung  von Aortenklappenstenosen  und  -insuffizienzen  ein  erhöhtes  Risiko für  Aortendilatationen,  Aortenaneurysmen  sowie  Aortendissektionen  birgt  und  Aortenklappenstenosen  und  Aortenrupturen  für etwa 7 % der plötzlichen Herztodesfälle von Sportlern unter 40 Jahren verantwortlich sind (3). Als Ursache der häufig mit bikuspiden Aortenklappen assoziierten Dilatation der Aorta ascendens werden beschleunigte degenerative Prozesse der Media der Aorta angenommen, die u. a. auch genetisch bedingt zu sein scheinen und mit einer erhöhten Apoptoserate der glatten Gefäßmuskelzellen und elastischen Fasern der Aorta einhergehen. Deshalb sind bei Sportlern mit bikuspider Aortenklappe auch ohne hämodynamisch relevante Stenosen  oder  Insuffizienzen  regelmäßige  echokardiographische Kontrollen mit Beurteilung der Aorta ascendens notwendig.

BIKUSPIDE AORTENKLAPPE UND SPORTTAUGLICHKEIT

In die Beurteilung der Sporttauglichkeit bei bikuspider Aortenklappe  müssen  neben  der  Klappenfunktion  und  der  Aorta  ascendens auch die linksventrikulären Dimensions- und Funktionsparameter (Kammerwanddicken und Muskelmassen-Index, enddiastolischer Durchmesser [LV-EDD], enddiastolisches und endsystolisches Volumen, systolische und diastolische Funktion) einbezogen werden. Allerdings sind hierbei sportbedingte, physiologische Adaptationen des Sportherzens nicht immer zweifelsfrei von pathologischen Veränderungen des Herzens zu unterscheiden, so dass die Beurteilung von kardiologisch geschulten Sportmedizinern oder sportmedizinisch erfahrenen Kardiologen erfolgen sollte (6).
Ergänzend  zu  den  aktuell  gültigen  Empfehlungen  zur  Sporttauglichkeit  bei  bikuspider  Aortenklappe  (1, 2, 4;  Tab.  1)  sei  die Längsschnittuntersuchung  mit  dem  bisher  längsten  Beobachtungszeitraum erwähnt (7). In dieser retrospektiven Studie wurden von  8000  sportmedizinisch  untersuchten  Wettkampfsportlern  81 Athleten  (mittleres  Alter  23±6  Jahre)  mit  bikuspider  Aortenklappe identifiziert (7). Hiervon wurden 51 Athleten als sporttauglich mit niedrigem Risiko eingestuft (mittlerer Druckgradient über der Aortenklappe  <20  mmHg,  Durchmesser  Aortenwurzel  <  40  mm; leichte Aortenklappeninsuffizienz; LV-EDD < 60 mm, keine Herzrhythmusstörungen,  asymptomatisch).  Während  eines  mittleren Beobachtungszeitraums von 13 Jahren traten bei 12 % (6 von 51) Komplikationen  in  Form  einer  Verschlechterung  der  Aortenklappenfunktion  und/oder  klappenbedingter  Symptome  mit  daraus resultierendem Verbot für Wettkampfsport auf, ohne dass jedoch Aortenklappenoperationen  indiziert  waren  oder  plötzliche  Herztodesfälle  eintraten  (7).  Im  Gegensatz  dazu  war  bei  11  nachverfolgbaren  Sportlern  mit  bikuspider  Aortenklappe  und  hohem  Risiko (mittlerer Druckgradient über der Aortenklappe > 20 mmHg, Durchmesser  Aortenwurzel  ≥  40  mm;  mittelschwere  bis  schwere Aortenklappeninsuffizienz;  LV-EDD  >  60  mm)  trotz  Wettkampfsportverbot die Rate einer sich verschlechternden Klappenfunktion mit Indikation zum Aortenklappenersatz sowie des plötzlichen Herztodes  innerhalb  eines  mittleren  Beobachtungszeitraums  von 10 Jahren erhöht (7).
Hinsichtlich der einleitend genannten Prävalenz der bikuspiden  Aortenklappe  kann  davon  ausgegangen  werden,  dass  diese auch  für  leistungsfähige  Sportler  zutrifft.  In  einer  sportmedizinischen Screeninunguntersuchung an 345 angehenden Elite-Sportschülern im Alter zwischen 10 und 15 Jahren war in 5 Fällen eine bis dahin  nicht  bekannte,  asymptomatische  bikuspide  Aortenklappe als echokardiographischer Zufallsbefund nachweisbar (5). Hierbei konnte in einem Fall aufgrund einer zusätzlichen, körperdimensionsbezogen relevanten Dilatation der Aorta ascendens keine Tauglichkeit für Wettkampfsport attestiert werden.

EMPFEHLUNGEN

Die  Empfehlungen  zur  Wettkampftauglichkeit  sowie  sportlichen Belastbarkeit  für  Sportler  bzw.  Patienten  mit  bikuspider  Aortenklappe und ggf. Aortendilatation sind in Tabelle 1 aufgeführt. Sollten Sportler mit bikuspider Aortenklappe zusätzlich eine Aorten klappenstenose und/oder -insuffizienz aufweisen, sind ergänzend die  Empfehlungen  für  Sportler  mit  Aortenklappenstenose  bzw. -insuffizienz zu berücksichtigen, die detailliert in (1, 2, 4) beschrieben sind. In allen Fällen sind regelmäßige sportmedizinische Kontrolluntersuchungen einschließlich Echokardiographie und Belastungs-EKG indiziert (je nach Schweregrad in mindestens jährlichen Abständen). Für Sportler oder Patienten mit Marfan-Syndrom und Aortendilatation und/oder Aorteninsuffizienz gelten  eigenständige Empfehlungen (1, 2, 4).

FAZIT

Bei sportmedizinischen Untersuchungen von Athleten mit bikuspider Aortenklappe ist neben der Bewertung der Klappenmorphologie und -funktion sowie der kardialen Dimensions- und Funktionsparameter  die  Beurteilung  der  Aorta  ascendens  erforderlich.  Hierdurch ist eine grobe Abschätzung zwischen niedrigem und hohem kardiovaskulären Risiko möglich. Regelmäßige  sportmedizinische bzw. sportkardiologische  Kontrolluntersuchungen  einschließlich Echokardiographie und Belastungs-EKG in mindestens jährlichen Abständen werden sowohl für Wettkampfsportler als auch für Gesundheitssportler empfohlen.

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LITERATUR

  1. Bonow Ro, Cheitlin Md, Crawford Mh, Douglas Ps 36th Bethesda conference eligibility recommendations for competitive athletes with cardiovascular abnormalities. Task Force 3: valvular heart disease. J Am Coll Cardiol 45 (2005) 1334 - 1340.
  2. Dickhuth Hh, Scharhag J, Schlensak C Angeborene Herzerkrankungen. In: Kindermann W, Dickhuth HH, Niess A, Röcker K, Urhausen A (Hrsg): Sportkardiologie, 2. Auflage. Steinkopff-Verlag, Darmstadt, 2007, 137 - 154.
  3. Maron B Cardiovascular disease in athletes. In: Zipes D, Libby P, Bonow R, Braunwald E (Edts): Braunwald's Heart Disease: a textbook of cardiovascular medicine (7th Edition). Elsevier Saunders, Philadelphia, USA, 2005, 1985 - 1991.
  4. Pelliccia A, Fagard R, Bjørnstad Hh et al. Recommendations for competitive sports participation in athletes with cardiovascular disease: a consensus document from the Study Group of Sports Cardiology of the Working Group of Cardiac Rehabilitation and Exercise Physiology and the Working Group of Myocardial and Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 26 (2005) 1422 - 1445.
  5. ScharhagJ,KochS,CasselM,LinnéK,MayerF Electrocardiographic and echocardiographic findings in young elite athletes between 10 and 15 years of age. Eur J Cardiovasc Prev Rehab 17, Suppl.2 (2010) S59, 296.
  6. Scharhag J, Meyer T, Kindermann I, Schneider G, Urhausen A, Kindermann W Bicuspid aortic valve - Evaluation of the ability to participate in competitive sports: case reports of two soccer players. Clin Res Cardiol 95 (2006) 228 - 234.
  7. Spataro A, Pelliccia A, Rizzo M, Biffi A, Masazza G, Pigozzi F The natural course of bicuspid aortic valve in athletes. Int J Sports Med 29 (2008) 81 - 85.
Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Jürgen Scharhag
Hochschulambulanz, Zentrum für Sportmedizin
Universität Potsdam
Am Neuen Palais 10, Haus 12
14469 Potsdam
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