Die "Weiche Leiste" als Differentialdiagnose chronischer Leistenbeschwerden beim Sportler
The „Sportsman`s Hernia“ as possible Cause for Chronic Groin Pain
ZUSAMMENFASSUNG
Chronische Leistenbeschwerden stellen bei sportlich Aktiven in Abhängigkeit zur Sportart in bis zu 20% betroffener Sportler ein häufiges Problem dar. Unklare und sich schon nach kurzer Zeit überlagernde klinische Befunde, lange Heilverläufe, mit oft frustrierenden Therapieversuchen und der dadurch bedingte Leidensdruck des Sportlers endlich Klarheit zu erlangen resultieren nicht selten in der Diagnose einer „Weichen Leiste“. In der differentialdiagnostischen Betrachtung des chronischen Leistenschmerzes nimmt die weiche Leiste allerdings eine nicht eindeutig geklärte Stellung ein.
Während die Literatur eine Vielzahl von möglichen anatomischen Korrelaten und deren Therapieformen präsentiert, entsprechen evidenzbasierte Nachweise weitestgehend dem Level 3-4b, so dass auch klare Leitlinien bezüglich Diagnostik und Behandlung rar sind. Zufallsbefunde oder asymptomatische bilaterale Befunde sowie die zunehmende biomechanische Kenntnis muskulotendionöser Überlastungsprobleme z. B. der Adduktoren und Hüftflektoren in bis zu 97% betroffener Sportler belegen jedoch, dass die Diagnose der Weichen Leiste als eigenständige klinische Entität zurückhaltend gestellt werden sollte, zumal diese nach neueren Daten nur etwa 1 -3 % der chronischen Leistenbeschwerden ausmachen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse sollte bei chronischen Leistenbeschwerden der konservativen Behandlung mit der Beseitigung muskulärer Defizite und Dysbalancen daher ausreichend Platz eingeräumt werden. Zwar beschreiben die meisten klinischen Fall-Kontroll Studien nach operativer Versorgung bis zu 90% zufrieden stellender Ergebnisse, doch bleibt ungeklärt ob diesen die Operation selber oder aber die erforderliche postoperative sportliche Pause mit anschliessender Trainingstherapie zugrunde liegt.
Ziel dieses Übersichtsartikels soll daher sein, anhand einer Literaturrecherche den aktuellen Wissenstand bezüglich Epdemiologie, Ätiologie, Pathophysiologie, Klinik und Therapie der weichen Leiste wiederzugeben, um so in der Praxis eine differenziertere Betrachtung chronischer Leistenbeschwerden und im Speziellen der vermeintlichen Weichen Leiste zu ermöglichen.
Schlüsselwörter: Sportlerhernie, Weiche Leiste, chronischer Leistenschmerz, Bauchwandschwäche
SUMMARY
Chronic groin pain is a widespread and commonly seen problem in- depending on the sport- up to 20% of active sportsmen. Unclear and even after a short period overlapping symptoms, a persistant history of discomfort, unsuccessful therapy and thus the increasing impatience of the athlete to specify the problem and its solution often leads to the diagnosis of a "athletes hernia". In fact, the exact role of an athletes hernia as cause for chronic pain is not yet clear.
Literature reveals a wide range of possible anatomical causes and therapies respectively though evidence based studies mostly meet level 3-4b and guidelines concerning diagnostic and therapy are rare. Bilateral asymptomatic or collateral findings as well as the increasing biomechanical knowledge of muscular related problems in 97% of the suffering athletes (e.g. adductor- or iliopsoas related pain) support that the diagnosis of an athletic hernia should be made restrictively, especially because newer data report from only 1-3% athletic hernias in sportsmen suffering from chronic groin pain. Respecting this knowledge, in cases of chronic groin pain conservative treatment with elimination of muscular insufficiencies or dysbalances should be considered adaequately. Though most clinical case- control studies report of satisfying results in up to 90% after surgical treatment, it is not yet clear wether these results are the consequence of the operation itself or due to the necessary postoperative pause accompanied by a consequent physiotherapeutical rehabilitation.
Therefore, this article aims to summarize the most common current concepts of athlete’s hernia regarding epidemiology, etiology, pathophysiology, clinical findings and therapy in order to facilitate decision-making in patients with chronic groin pain and especially with a suspected athletes hernia.
Key words: Sportsman Hernia, athletic pubalgia, chronic groin pain, abdominal wall weakness
EINLEITUNG
Akute und chronische Leistenbeschwerden stellen im Breiten- und Leistungssport eine weit verbreitete und wiederkehrende Herausforderung für sportmedizinisch tätige Ärzte dar. Gerade bei chronischen Heilverläufen kommt durch die meist vielseitigen und vielschichtigen Beschwerden eine Vielzahl an Differentialdiagnosen in Betracht, deren genaue klinische Differenzierung oft nur schwer möglich ist (1, 13, 24, 35, 36, 45).
Dies liegt vor allem an der engen Nachbarschaft mehrerer komplexer anatomischer Strukturen in der Inguinalregion (Hüftgelenk, Leistenkanal, Adduktorenansätze, Bauchwand etc.) und damit sukzessiv an einer Vielzahl unterschiedlicher möglicher struktureller bzw. funktioneller Pathologien mit ganz ähnlicher Beschwerdesymptomatik. Zudem kann es bei mehr als 40% der Sportler mit chronischen Verläufen zum Vorliegen von mehr als nur einer klinischen Entität kommen (27), was eine Diagnose- und Ursachenfindung mit zunehmendem Heilverlauf und Symptomüberlagerung zusätzlich erschwert.
Nicht selten wird gerade Mannschaftssportlern bei länger andauernden und therapierefraktären Leistenbeschwerden ohne eindeutiges klinisches Korrelat bislang auch das Vorliegen einer „Weichen Leiste“ oder „Sportlerhernie“ attestiert. Gemeint ist hierbei eine vermeintlich klare strukturelle Schwäche im Bereich des Leistenkanals als eigenständige Differentialdiagnose im Sinne einer „beginnenden“ oder sehr kleinen Leistenhernie, wenngleich eine tatsächliche, palpable Hernie dabei oft nicht vorliegt.
Evidenzbasierte Daten zu Ätiologie, Pathophysiologie, Diagnosefindung und Therapie der weichen Leiste entsprechen bisher weitestgehend dem Level 3-4b (45), so dass die Diagnose im großen Feld der chronischen Leistenbeschwerden eine immer noch unklare Rolle einnimmt.
Stattdessen lässt das in den letzten Jahren verbesserte Verständnis von funktionellen Abläufen, biomechanischen Gegebenheiten und möglichen Belastungen und Veränderungen einzelner Strukturen beim Sport eine Abgrenzung gegenüber weiteren, klaren Differentialdiagnosen zu. In der folgenden Übersicht soll auf das Phänomen „Weiche Leiste“ in puncto Pathoanatomie, Ursache, Diagnostik und Therapie in Abgrenzung zu anderen, sehr viel klareren Beschwerdeursachen bei chronischen Leistenbeschwerden näher eingegangen werden.
EPIDEMIOLOGIE
Leistenschmerzen allgemein treten vor allem bei Mannschaftssportarten wie z. B. – je nach regionaler Verbreitung und Stellenwert der jeweiligen Sportart – Fußball, Basketball, American Football oder Hockey auf (29, 34, 45). Aber auch bei Ausdauer- und Individualsportarten, wie z.B. dem Marathonlaufen, stellen belastungsabhängige Leistenbeschwerden keine Seltenheit mehr dar (29).
Cabot beschrieb 1966 erstmals das Auftreten von Leistenbeschwerden bei 0,5% spanischer Fußballer über einen Zeitraum von 30 Jahren (6, 36). Bereits einen Anteil von 5-13% betroffener Fußballer ergaben prospektive Untersuchungen von Fußballmannschaften über Beobachtungszeiträume von 1- 2 Jahren in den frühen achtziger Jahren (12, 41).
Neuere Untersuchungen bestätigen u. a., dass nahezu 60% der aktiven Fußballer während ihrer Laufbahn eine Episode akuten oder chronischen Leistenschmerzes angeben (21, 45) oder aber dass etwa jede zehnte verletzungsbedingte Spielpause im Fußballsport durch Leistenbeschwerden oder -verletzungen bedingt ist (22, 23). Aktuell wird insgesamt von einem Anteil von etwa 5- 18% aller sportassoziierten Verletzungen im Profifußball ausgegangen (22, 23, 26).
Auffallend im Vergleich zu heutigen Studien ist jedoch, dass in „früheren“ Arbeiten etwa bis Anfang der neunziger Jahre als Ursache chronischer Leistenschmerzen noch bei jedem zweiten betroffenen Sportler die klinische Diagnose Leistenhernie, beginnende Leistenhernie oder vor allem„Weiche Leiste“ beschrieben ist (10, 13).
Durch ein verbessertes Verständnis für pathokinematische Zusammenhänge, den Nachweis des Vorliegens überlappender klinischer Auffälligkeiten bei jedem dritten betroffenen Sportler (27, 30, 36), und nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnis, dass eine häufige Ursache in schmerzhaft pathologischen Befunden im Bereich der hüft- und/oder beckenstabilisierenden Muskulatur bei 90% betroffener Sportler liegt (27, 36, 45), geht man heutzutage in neueren prospektiven Untersuchungen stattdessen davon aus, dass die „Weiche Leiste“ als tatsächliche und eigenständige Diagnose in Abgrenzung zu klareren Differentialdiagnosen (s. u.) mit etwa 1- 3% (27) aller Leistenbeschwerden eher selten ist.
DIFFERENTIALDIAGNOSEN BEI CHRONISCHEM LEISTENSCHMERZ
Bei der differentialdiagnostischen Betrachtung von Leistenbeschwerden beim Sportler müssen in Abgrenzung zur „Weichen Leiste“ eine Vielzahl verschiedener anatomischer Strukturen im Hüft- und Leistenbereich bis hin zu sportunabhängigen extrainguinalen Pathologien berücksichtigt werden (Tab.1).
Inguinale Ursachen
Aufgrund der hohen Belastungen der hüft- und leistenüberbrückenden Muskulatur (s.u.) stellen muskuläre Verhärtungen, Muskelzerrungen, Muskelfaserrisse, osteotendinöse Insertionstendinosen bis hin zu kleineren Sehneneinrissen und die daraus resultierenden funktionellen Dysbalancen der betroffenen Arbeitsmuskulatur sicherlich die häufigste Ursache von akuten oder chronischen Leistenbeschwerde beim Sportler dar (27).
Abzugrenzen hiervon sind strukturelle Schäden des Hüftgelenkes selber, wie Knorpelschäden, Labrumläsionen, Frakturen oder Avulsionen oder aber knöcherne Schäden wie z.B. (kindliche) Hüftkopfnekrosen oder Dysplasien.
Zunehmendes Verständnis ergab sich in den vergangenen Jahren zudem für das Femoroacetabuläre Impingement (FAI) des Hüftgelenkes. Es handelt sich hierbei um eine Schädigung des ventrosuperioren Labrums oder Knorpels aufgrund einer Offsetstörung im Bereich des Schenkelhals/Kopf- Überganges mit meist belastungsabhängigen Beschwerden bei wiederholter Flexion/ Innenrotation im Hüftgelenk (8). Im Verdachtsfall können eine Kernspintomographie mit Bestimmung des Alpha- Winkels (18), ggfls. eine MR-Arthrographie sowie eine intraartikuläre Infiltration zum Beschwerde- Ausschlusstest Klarheit bezüglich einer möglichen Beschwerdeursache bringen.
Als eigenständige Diagnose etabliert sich des Weiteren die gerade bei Fußballern häufig anzutreffende Ostitis pubis, eine MRT morphologisch nachweisbare symphysennahe Stressreaktion der Ramus ossis pubis (17). Ursächlich hierfür wird – möglicherweise bedingt durch hohen sportlichen Impact und dadurch bedingter Fehl- oder Überbelastung – eine zunehmend mangelnde symphyseale Stabilität angenommen (17, 33, 47).
Extrainguinale Ursachen
Insbesondere bei Beschwerden ohne klare anatomische Zuordnung sollten häufige Erkrankungen des Intestinal- und Urogenitaltraktes erwogen werden. So können z.B. eine beginnende Epididymitis, Prostatitis, Appendizites, das Vorliegen von Ovarialzysten, Endometriosen und nicht zuletzt „simple“ Harnwegsinfekte im Einzelfall durch diffuse inguinale Beschwerden symptomatisch werden.
Im Falle nervaler Engpasssyndrome (Entrapment - Syndrome) kommt es zu Irritationen meist sensibler Nervenäste des Plexus Lumbalis (im bes. Nervus Ilioinguinalis, Nervus Iliohypogastricus oder Nervus Genitofemoralis) im Rahmen ihres anatomischen Verlaufes, z.B. durch eine lumbal intraforaminelle Enge auf Höhe L1 oder L2 oder aber beim Durchqueren der Nerven durch die seitliche muskuläre Abdominalwand oder das Ligamentum inguinale. Die resultierenden Beschwerden sind selten klar umschrieben, insbesondere im frühen Stadium der Entstehung (32). Lokal diagnostische Infiltrationen zum Schmerzausschluß können hier oft weiterhelfen. Auch weiter kaudal gelegene lumbosakrale Übergangsstörungen (Spondylarthrosen, Spondylolysen, Sakroiliitiden etc.) können nach ventral ausstrahlen und zu inguinalen Beschwerden führen.
PATHOANATOMISCHE BETRACHTUNGEN DER WEICHEN LEISTE
Der Begriff der „Weichen Leiste“ impliziert eigentlich eine Strukturschwäche oder gar eine strukturelle Läsion im Bereich der unteren Bauchwand, insbesondere des Leistenkanals. Operative Revisionen aufgrund ungeklärter, chronischer Leistenbeschwerden mit der Verdachtsdiagnose einer Weichen Leiste zeigten über die Jahre allerdings sehr heterogene Ergebnisse.
Während frühere Arbeiten bis etwa Mitte der achtziger Jahre – korrespondierend zu der bereits genannten hohen Zahl vermeintlich eindeutiger klinischer Befunde (s. o.) – intraoperativ noch in 90- 100% der Fälle den Befund einer direkten, indirekten, kombinierten, Femoral- oder Oburatorhernie (10, 44) beschreiben, wandelten sich die intraoperativen Einschätzungen im Laufe der darauf folgenden Dekade zusehends weg vom Befund einer vermeintlichen Hernie zugunsten eines Sammelsuriums alternativer Auffälligkeiten: einer Schwäche der inneren Bauchwandschichten, insbesondere der Fascia transversalis abdominis, einer Schwäche des inneren Leistenringes, einer Läsion der Externusaponeurose, eines geweiteten äußeren Leistenringes, einer Läsion der Insertion des Musculus Rectus Abdominins oder einer Läsion der sog. „Conjoint tendon“ (13, 16, 20, 28, 30, 31, 40) (Abb. 1).
Gleichzeitig mehrten sich die Daten asymptomatischer bilateraler und/oder „zufälliger“ Hernienbefunde in bis zu 50%–60% der jeweils untersuchten Kollektive (19, 44). Oder aber es zeigte sich das Vorliegen einer alternativen Diagnose bei 80% der auch postoperativ nach operativer Hernienversorgung noch beschwerdegeplagten Sportler (13). Der Stellenwert eines fraglichen Hernienbefundes in der Beurteilung und Therapieplanung chronischer Leistenbeschwerden erschien im Laufe der Zeit daher zusehends zweifelhaft.
Heutzutage geht man - trotz einer immer noch bestehenden Vielzahl anatomisch pathophysiologischer Theorien - bei einer weichen Leiste überwiegend von einer Schwäche der unteren, inneren Bauchwandschichten, allen voran der Fascia transversalis abdominis und des inneren Leistenringes aus (36, 45, 46). Aufgrund der pathokinematischen Entstehungsgeschichte (s,u,) können zusätzlich kleinere Läsionen der Insertion des Musculus rectus abdominis oder der sog. Conjoint tendon vorliegen. Inwieweit eine solche innere Bauchwandschwäche allerdings tatsächliche Schmerzursache ist, möglicherweise im weiteren Verlauf in eine direkte oder indirekte Hernie mündet, oder stattdessen nur eine untergeordnete Rolle als eine von mehreren klinischen Entitäten bei chronisch überlastungsbedingten Leistenbeschwerden darstellt, ist weiterhin nicht eindeutig geklärt.
PATHOPHYSIOLOGIE UND BIOMECHANIK
Die pathokinematische Grundvoraussetzung in der Entstehung chronischer Leistenbeschwerden ist in vielen Fällen ähnlich. Natürlich ist die genaue in vivo Bestimmung von Gelenk- und Weichteilbelastungen bei verschiedenen körperlichen Belastungen limitiert. Telemetrische Daten prothesenversorgter Patienten bzw. die im Vergleich etwas höher liegenden mathematischen Berechnungen (2, 3, 5) beschreiben jedoch eine Hüftgelenksbelastung von etwa 300% des Körpergewichtes (KG) beim Gehen und 600–800% beim Joggen. Schätzungen vermuten bei intensiver sportlicher Tätigkeit, wie z.B. Mannschaftsport, Spitzenbelastungen deutlich über 800% des KG (1, 5, 7, 45).
Vor allen Dingen bei den häufig betroffenen Mannschaftssportlern führen stete Be- und Entschleunigungen sowie Spielsituationsbedingte abrupte und schnelle Richtungswechsel auf teilweise stumpfen Untergründen folglich zu hohen Belastungsspitzen im Bereich des gesamten Bein–Becken-Rumpf-Überganges mit der Möglichkeit einer Überlastung oder gar Verletzung einzelner, involvierter dynamischer oder statischer Stabilisatoren, so z. B. der gesamten Becken- und Hüftübergreifenden Muskulatur (1, 45). Zudem können insbesondere im Fußball schießende oder „kickende“ Bewegungen durch hohe Belastungen in der Standphase (s. u.) zu einer hohen Belastung der gesamten ventralen muskulären Kette führen (1).
So ist zum Beispiel gerade für die Lande- und Standphase (z. B. beim Sprint oder Schuss) eine ausgeprägte Stabilisierung des Beckens und Rumpfes erforderlich, um die so auftretenden Scher- und Rotationskräfte zwischen eingeleiteter Hüftgelenksbelastung und dem etwa vor dem 2. Sakralwirbel (1) liegenden kaudalisierendem Körperschwerpunkt abzufangen (Abb. 2). Bereits kleinste Störungen im erforderlichen Kräfte- Gleichgewicht können z. B. durch ein zu starkes Abkippen des Beckens zur Gegenseite oder nach vorne ( Abb. 3) im Sinne eines dynamischen Malalignements in Fehl- und Überbelastungen der bewegenden und/oder stabilisierenden Elemente als Ursache einer Vielzahl von verschiedenen Überlastungssyndromen führen.
Im Besonderen führt gerade im Fußballsport ein Missverhältnis der oft sportartspezifisch stark ausgeprägten Quadrizepsmuskulatur bzw. den Adduktoren und der oft schwächer ausgeprägten unteren Bauchmuskulatur zu einer entsprechend inadäquaten Kernstabilisierung (Core Stabilitiy) und Ventralisierung des Beckens (1, 35, 45). Der erhöhte Tonus auf den Hüftflektoren und Adduktoren sowie der dadurch mögliche anhaltende Zug auf die unteren Bauchwandstrukturen kann so bei allen ansetzenden Muskeln und Sehnen zu Insertionstendinopathien, Muskelzerrungen, myofaszialen Reizsyndromen, kleineren Muskelfaserrissen, einer reaktiven Osteitis des Ramus ossis pubis oder aber einer Schwächung oder Verletzung der Fascia transversalis als „Weiche Leiste“ führen.
ANAMNESE UND KLINISCHER BEFUND
Die meisten betroffenen Sportler (>90%) beschreiben einen schleichenden Beginn der Beschwerden (36, 40, 45) ohne eine zeitlich klar zu spezifizierende Überlastung oder ein entsprechendes Trauma. Sie geben einen relativ unspezifischen dumpfen Schmerz im Bereich der Leiste an, der sich bei körperlicher Belastung verstärkt und gelegentlich in Richtung Oberschenkelinnenseite, Perineum oder Skrotalregion ausstrahlt. Vielfach erfordert die Schmerzintensität nach kürzerer Zeit eine deutliche Reduktion oder den Abbruch der sportlichen Belastung (34, 36, 40, 45).
Bezüglich des körperlichen Untersuchungsbefundes sind in der Literatur eine Vielzahl möglicher, klinischer Untersuchungsbefunde zu finden, wenngleich keiner davon als wirklich spezifisch belegt ist, und die vermeintlichen Befunde oft mit den verschiedenen pathophysiologischen Entstehungstheorien der jeweiligen Untersucher korrelieren (16, 25, 28, 29, 36, 40, 43).
Als gesichert gilt, dass die klinische Untersuchung selten den Befund einer tatsächlichen Hernie oder einen eindeutigen, richtungsweisenden, klinischen Befund aufweist. Vielmehr wird in den meisten Fällen der äußere Leistenring (15, 36), die gesamte Bauchwandregion lateral des äußeren Leistenringes und oberhalb des Leistenbandes im Verlauf des Leistenkanales als empfindsam beschrieben. Auch der distale Ansatz des Musculus rectus abdominis, das Tuberkulum Pubicum oder die Ansätze der Adukktoren werden je nach Bewegung als schmerzhaft angegeben (1, 34). Verstärkt werden können die Beschwerden – ähnlich wie bei einer tatsächlichen Hernie- , durch ein Valsalva Pressmanöver oder eine Kontraktion der Bauchmuskulatur gegen Widerstand.
BILDGEBUNG
Bei der Diagnosefindung der Weichen Leiste können bildgebende Verfahren unterschiedlich hilfreich sein.
In erster Instanz stellt die obligate native Röntgenaufnahme dabei lediglich eine Ausschlussdiagnostik ossärer Differentialdiagnosen wie z.B. eine begleitende chronische Osteitis pubis, eine Ermüdungsfraktur des Ramus ossis pubis oder v. a. eine OffsetStörung des Hüftgelenkes dar.
Die Sensitivität der Ultraschalluntersuchung bei Hernienverdacht generell scheint indes unbestritten (4, 49). Vorteil des Ultraschalls ist die Möglichkeit einer dynamischen Untersuchung der Bauchwand während eines Valsalva Manövers (Abb. 4). So wird beispielsweise eine hohe Sensitivität für Schwächen der dorsalen Bauchwand – imponierend als vorwiegend laterales Ballonieren – durch Orchard beschrieben (37). Eine Korrelation zu beschriebenen Leistenschmerzen konnte durch die hohe Anzahl bilateraler Befunde allerdings nicht festgestellt werden. Auch konnte somit nicht differenziert werden, inwieweit die erhobenen sonographischen Befunde eine Normavariante, einen Nebenbefund oder eine tatsächliche Pathologie darstellten.
Andere vergleichende Studien bei klinisch unklaren Befunden konnten anhand anschließender operativer Revisionen eine deutlich höhere Sensitivität des Ultraschalls gegenüber der Herniographie aufweisen (42). Die Ultraschalluntersuchung stellt somit ein sinnvolles, non- invasives und unterstützendes Diagnostikum bei Verdacht einer Weichen Leiste dar, wobei die hohe Variabilität von Untersuchungsbefunden und deren Interpretation in Abhängigkeit zum Untersucher mit berücksichtigt werden sollte.
Selten geworden ist die Herniographie. Vielfach wurde in der Vergangenheit die hohe Sensititvität herniographischer Befunde auch bei unklaren klinischen Befunden hervorgehoben (9, 14, 44, 48). Aufgrund ausbleibender überlegener Sensitivität gegenüber der non-invasiven Ultraschalluntersuchung, der Möglichkeit hoch auflösender dynamischer MRT Untersuchungen und der hohen Anzahl falsch positiver Befunde (42), hat die Herniographie im heutigen Klinik- und Ambulanzalltag allerdings keinen Stellenwert mehr.
Am weitesten verbreitet ist heute sicherlich die Kernspintomographie, erlaubt sie doch einen sensitiven Ausschluss anderer Differentialdiagnosen bei gleichzeitiger statischer und dynamischer Beurteilung der gesamten Weichteilstrukturen während eines Pressversuches. Bermerkenswert ist dabei, dass tatsächliche Bauchwandschwächen im Sinne einer „beginnenden Hernie“ mit 2% allerdings eher selten gefunden werden (50), und somit die eher niedrige Inzidenz neuerer prospektiver, klinischer Studien mit 1-3% (27) bestätigen.
THERAPIE
Aufgrund der Enstehungsgeschichte (s.o.) sollte mit Ausnahme des Vorlieges klarer struktureller Differentialdiagnosen (z. B. Cam Impingement/ Pincer Impingement) ein konservativer Behandlungsansatz mit Versuch der Ursachenbeseitigung voran gestellt werden. Ziel sollte hierbei neben lokal physiotherapeutischen und physikalischen Maßnahmen vor allem trainingstherapeutische Maßnahmen liegen, um so das zugrunde liegende muskuläre Defizit bzw. Missverhältnis konsequent zu beseitigen. Nur so kann dauerhaft eine Beschwerdbeseitigung erzielt werden.
Operative Maßnahmen empfehlen sich erst bei klarem Hernienverdacht, anderen klar nachgewiesenen strukturellen Schäden (z. B. Einriss der Fascia transversalis oder Rectusinsertion), bei dauerhaft unerklärten Leistenbeschwerden trotz konsequenter konservativer Therapie mit mittlerweile verwaschenen klinischen Symptomen (36). Die „adäquate Dauer“ eines konservativen Behandlungsversuches hängt dabei natürlich vom Einzelfall ab und wird mit 3 Monaten bis 5 Jahren sehr variabel eingeschätzt (28, 34, 36).
Bedingt durch die verschiedenen pathophysiologischen Ansätze mit den daraus entstehenden operativen Notwendigkeiten einer Schadensbeseitigung existieren auch bei der operativen Versorgung keine klaren evidenzbasierten Empfehlungen im Sinne eines „Golden Standard“.
So beschreiben manche Autoren beispielsweise dass eine alleinige Stärkung der Bauchwand durch offene oder laparoskopische Verfahren den Beschwerden nicht Herr werden kann und empfehlen stattdessen eine operative Revision der Externusaponeurose oder halten eine Reinsertion des distalen Rectus abdominis für erforderlich (28, 34).
In der überwiegenden Anzahl erfolgt jedoch eine offene oder laparoskopische Revision der Bauchwand mit deren Stärkung durch Weichteilduplikaturen oder Graft-Einlagen (z. B. modifizierte OP nach Shouldice, Bassini, Lichtenstein etc.). Laparoskopische Verfahren sind offenen Verfahren dabei in puncto Rekonvaleszenz und schmerzassoziierten Parametern überlegen (39), wenngleich offene Verfahren geringere Rezidivraten aufweisen und die Anzahl schwerer Komplikationen seltener scheint. Nach evidenzbasierten Richtlinien kann bislang kein eindeutiger Vorteil eines der beiden Verfahren gegenüber dem Anderen festgestellt werden (39), so dass die gewählte Operationsmethode im Einzelfall mit dem Sportler entschieden werden sollte.
Unabhängig von der Operationsmethode rangieren die beschriebenen Erfolgsquoten zwischen 80 und 90% (16, 20, 28, 31, 34, 40, 45). Allerdings berichten auch Studien über ein positives Outcome in 95% laparoskopisch MESH Graft versorgter Sportler ohne jegliche intraoperative, makroskopische Pathologie in nahezu 2/3 aller Fälle (36, 38, 45). Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer kontrollierter Studien zur Klärung, ob das jeweils beschriebene gute Outcome okfuhperations- oder postoperativ rehabilitationsbedingt ist.
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
Chronische Leistenbeschwerden bei Sportlern sind mit etwa 10% aller sportverletzungsbedingten Ausfälle häufig. Auch wenn die Diagnose der „Weichen Leiste“ oder „Sportlerhernie“ gerade bei chronischen Leistenbeschwerden in der Praxis noch häufig gestellt wird, nimmt diese in der schwierigen differentialdiagnostischen Betrachtung als eigenständige Diagnose mit 3% aller Leistenbeschwerden eine eher untergeordnete Rolle gegenüber den ursächlichen muskulären Dysbalancen und –funktionen oder aber strukturelle Ursachen (z. B. Offsetstörung im Hüftgelenk) ein.
Ein eindeutiges anatomisches Korrelat konnte evidenzbasiert bislang nicht nachgewiesen werden, wenngleich die Theorie der geschwächten unteren Bauchwandanteile, respektive der Fascia transversalis abdominis am weitesten belegt scheint. Pathoanatomisch davon abweichende Befunde bedürfen weiterer wissenschaftlicher Abklärung und sollten als eigenständige Diagnosen abgegrenzt werden (z. B. Läsion der Externusaponeurose mit konsekutivem Nervenengpasssyndrom etc.).
Dem entsprechend ist eine genaue und interdisziplinäre Diagnosefindung für den zunächst sinnvollen interdisziplinär konservativen Ansatz erforderlich. Dieser sollte neben den reinen physiotherapeutischen Maßnahmen vor allem auch muskelfunktionsanalytische und aktive kernstabilisierende (Core stability) Maßnahmen beinhalten.
Bei therapierefraktären oder dauerhaft ungeklärten Leistenbeschwerden ist eine operative Revision sicherlich ratsam. Die Erfolgsquote der operativen Revision ist mit bis zu 93% zufriedenstellend, auch wenn nicht eindeutig geklärt scheint, ob das gute Outcome durch die Operation selber oder aber durch die erforderliche und dann eingehaltene sportliche Pause mit anschliessender Trainingstherapie postoperativ bedingt ist. Kontrollierte prospekti ve und randomisierte Studien hierzu fehlen bislang.
Bezüglich einer genauen zeitlichen Empfehlung der einzelnen Behandlungsschritte muss im Einzelfall entschieden werden, die Geduld des Sportlers, dessen zeitlicher Druck und Leidensdruck vor dem Hintergrund möglicher Karriereaussichten sicherlich entscheidende Co-Faktoren in der Entscheidungsfindung darstellen. Aufgrund der differentialdiagnostischen Verteilung sollte auch bei chronischen Leistenbeschwerden die Diagnose einer „Weichen Leiste“ als eigenständige Diagnose und die daraus folgende OP Indikation jedoch zurückhaltend gestellt werden, und statt dessen dem konservativen Ansatz zunächst ausreichend Platz eingeräumt werden.
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Dr. Raymond Best
Abteilung für Sportmedizin/Sportorthopädie
Medizinische Klinik der Universität Tübingen
Silcherstrasse 5
72076 Tübingen
E-Mail: Raymond.Best@med.uni-tuebingen.de