Körperliche Aktivität
ORIGINALIA
Gesundheitsrelevante Verhaltensmuster

Längsschnittstudie zu gesundheitsrelevanten Verhaltensmustern in der Grundschule

Longitudinal Study on Health Relevant Behavior in Primary School

ZUSAMMENFASSUNG

Die nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern führt zu gesundheitlichen Risiken. Während die Einflussfaktoren auf eine reduzierte motorische Leistungsfähigkeit bisher größtenteils in Querschnittsstudien untersucht wurden, war das Ziel dieser Studie, die Entwicklung dieser Faktoren und ihrer Bedeutsamkeit für die motorische Leistungsfähigkeit über die Grundschulzeit zu analysieren. Dazu wurden von 83 Augsburger Grundschülern in der 2., 3. und 4. Klasse Daten zu Migrationshintergrund, Sozialstatus, Medienausstattung, Body-Mass-Index (BMI), Sportaktivität und motorischer Leistungsfähigkeit erhoben. Mehr als 60% der Kinder waren durchschnittlich mindestens einmal pro Woche im organisierten Sport aktiv. Die Medienausstattung im Kinderzimmer stieg von der 2. bis zur 4. Klasse deutlich an. In der 4. Klasse waren 21,6% der Kinder übergewichtig. Je niedriger der Sozialstatus war, desto höher war die Medienausstattung der Kinder. Der BMI war für Kinder mit Migrationshintergrund und niedrigem Sozialstatus bedeutsam erhöht. Über den gesamten Messzeitraum stellte der BMI den wichtigsten Prädiktor für die motorische Leistungsfähigkeit dar. Bis zur 4. Klasse wurden regelmäßige Sportaktivitäten und eine geringere Medienausstattung ebenfalls bedeutsam. Die Studie legt somit nahe, bereits im Grundschulalter viel dafür zu investieren, das Gesundheitsrisiko durch einen erhöhten BMI zu reduzieren, das sowohl unmittelbar, als auch durch eine verminderte Fitness offenkundig wird. Pauschale Empfehlungen sollten jedoch im Sinne der Verhältnisprävention mit Blick auf den sozio-ökologischen Kontext der Familien verfeinert werden, da sich gerade der Sozialstatus als bedeutsame Komponente für kindliche Verhaltensmuster herausgestellt hat.

SCHLÜSSELWÖRTER:
Übergewicht, Medienkonsum, Sportverein, motorische Leistungsfähigkeit, DMT

SUMMARY

Reduced physical fitness of children leads to increased health risks. So far, risk factors have been analyzed mainly in cross sectional studies. Thus, the aim of the present paper was to analyze the development of these factors and their importance for physical fitness during primary school. Data of 83 primary school children were recorded in grades 2, 3, and 4 assessing migration background, social status, media equipment, sports participation, body mass index (BMI) and physical fitness. More than 60% of the children participated on average at least once per week in sports clubs or courses. The number of media in the children's room increased from grade 2 to grade 4. In grade 4, 21.6% of the children were overweight. The lower the social status was, the more media the children possessed. BMI was higher for children with migration background and with lower social stratum. BMI was the most important predictor of physical fitness throughout the measurement. In grade 4, regular attendance of sport courses and low media equipment also became significant predictors for physical fitness. Thus, our study suggests that focus should be on reducing the children's BMI at primary school age, as health risks are obvious both directly and as decreased fitness. General recommendations, however, should be refined in terms of situational prevention taking the socio-ecological context of the family into account, as the social status has emerged as an important component for children's behavior.

KEY WORDS:
Obesity, media consumption, sports club, physical fitness, DMT

EINLEITUNG

Ein aktuelles sportwissenschaftliches Thema ist die nachlassende motorische Leistungsfähigkeit vieler Kinder und Jugendlicher (8, 30) und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken (2, 6, 22, 24, 26). Ursachen und Begleiterscheinungen dieser Entwicklung sind beispielsweise ein hoher Medienkonsum, Bewegungsmangel, Übergewicht und eine reduzierte aerobe Kapazität (1, 11, 12, 20, 29). Die Einflussfaktoren auf eine reduzierte motorische Leistungsfähigkeit wurden dabei größtenteils in Querschnittsstudien untersucht. Anknüpfend an eine der wenigen Längsschnittstudien, die Hamburger MOLE-Studie (16), und in Abgrenzung zu bereits veröffentlichten Teilergebnissen der Augsburger Studie (4, 5) untersuchen wir hier nicht nur, wie die motorische Leistungsfähigkeit mit diesen Faktoren zusammenhängt, sondern auch, wie sich diese Faktoren während der Kindheit entwickeln. Dabei sollten in der vorliegenden Untersuchung vor allem die variablen endogenen und exogenen Faktoren wie Gewichtsstatus, Medienkonsum und Sportaktivität im Fokus stehen, die über zielgerichtete Interventionen veränderbar sind. Jedoch ist es für zielgerichtete Maßnahmen unabdingbar, diese Faktoren immer auch vor dem Hintergrund des sozial-ökologischen Kontextes zu betrachten (28), weswegen auch die nicht veränderbaren stabilen Faktoren wie Migrationshintergrund und soziale Schicht in die Untersuchung einfließen sollten. Die Intention der aktuellen Studie ist somit, nicht nur die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit, sondern auch der mit ihr assoziierten Faktoren über einen längeren Zeitraum aufzuzeichnen. Dies soll das Bedingungsgefüge für ein gesundes Aufwachsen veranschaulichen und Hinweise darauf geben, an welchen Stellen Präventions- und Interventionsmaßnahmen sinnvoll implementiert werden könnten.

MATERIAL UND METHODEN

In einer zweijährigen Längsschnittstudie wurde der Verlauf gesundheitsrelevanter Faktoren während der Grundschulzeit erhoben. Dazu wurden sechs Augsburger Grundschulklassen jährlich im Rahmen des Sportunterrichts durch geschultes Personal getestet (T1: Juni 2008, n=122, T2: Juni/Juli 2009, n=114, T3: Juni 2010, n=114). Von 83 Schülern (46 weiblich, 37 männlich) konnten vollständige Daten zu allen drei Messzeitpunkten erfasst werden, die in die Längsschnittstudie einfließen.
Die Schulen wurden aus drei Stadtteilen mit unterschiedlichen sozialen Milieus ausgewählt. Die Sozialmilieus wurden anhand der Arbeitslosenquote und des Anteils an Sozialhilfeempfängern bestimmt (27) (1: niedriger, 2: mittlerer, 3: hoher Sozialstatus). Ein Migrationshintergrund wurde den Kindern zugeordnet, wenn sie selbst oder ein Elternteil nicht in Deutschland geboren sind (1: Migrationshintergrund, 0: kein Migrationshintergrund).
Die sportliche Aktivität der Kinder wurde über die Anzahl der wöchentlichen aktiven Teilnahme im Sportverein bzw. in regelmäßigen Sportkursen wie z. B. Klettern, Schwimmen oder Ballett erhoben. In einer Art Stundenplan trugen die Kinder ihre Aktivitäten ein.
Da unseres Erachtens nicht zu erwarten ist, dass die Angabe von Grundschülern über die zeitlichen Ausmaße ihres Medienkonsums sehr reliabel sind, wurde die Erfassung der Variablen, die über den Medienkonsum Auskunft geben soll, über die Medienausstattung vorgenommen. Die Kinder mussten ankreuzen, welche elektronischen Medien sie im ihrem Kinderzimmer zur Verfügung hatten. Der Faktor Medienausstattung wurde über die Summe aus den Geräten, die kaum Bewegung erlauben (Fernseher, Computer und Spielkonsole ohne Wii) gebildet. Zur Beurteilung der Kriteriumsvalidität wurde zum letzten Messzeitpunkt in der 4. Klasse zusätzlich die tägliche Medienkonsumdauer der Kinder über Fragebögen erfasst. Diese korrelierte mit der Medienausstattung signifikant positiv (r =0,381, p<0,001, n =114).
Zur Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI) wurden Körpergewicht und -größe der Kinder gemessen. Die Kinder trugen dabei Sportkleidung, jedoch keine Schuhe. Nach der Norm von Kromeyer-Hauschild et al. (18) wurden die Kinder zu allen drei Messzeitpunkten jeweils ihrem Alter entsprechend Gewichtskategorien von untergewichtig bis adipös zugeordnet.
Mit dem Deutschen Motorik-Test (DMT 6-18) (7) wurde die motorische Leistungsfähigkeit der Kinder erfasst. Der Test besteht aus 8 Testitems (20m-Sprint, Balancieren rückwärts, seitliches Hin- und Herspringen, Rumpfbeuge, Liegestütz, Sit-ups, Standweitsprung und Sechs-Minuten-Lauf). Die Rohdaten jedes Einzeltests wurden anhand von Normwerten Z-transformiert, so dass ein ZWert von 100 ein durchschnittliches Ergebnis bezüglich Alter und Geschlecht darstellt. Für den Motorik-Score wurden die acht ZWerte gemittelt.
Der Datensatz wurde auf Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen überprüft. Da sich bis auf wenige Ausnahmen, die an entsprechender Stelle erwähnt werden, keine geschlechtsspezifischen Auffälligkeiten ergaben, wurde das Geschlecht bei den weiteren Berechnungen nicht mit einbezogen. Zur Bestimmung der Zusammenhänge zwischen den gemessenen Variablen wurden für jeden Messzeitpunkt (T1-T3) bivariate Rangkorrelationen nach Spear

man für die ordinalskalierten Variablen Sozialstatus, Migrationshintergrund und Produkt-Moment-Korrelationen nach Pearson zwischen den mindestens intervallskalierten Variablen BMI, Vereinssportaktivität, Medienausstattung und motorischer Leistungsfähigkeit berechnet. Zur Abschätzung, welche dieser Variablen die wichtigsten Prädiktorvariablen für die motorische Leistungsfähigkeit darstellen, wurden für alle drei Messzeitpunkte (T1, T2, T3) multiple Regressionen nach dem Einschlussverfahren durchgeführt. Dadurch konnten einerseits Scheinkorrelationen durch die Korrelation der unabhängigen Variablen untereinander eliminiert werden. Andererseits geben die Betakoeffizienten Aufschluss darüber, zu welchem Anteil die einzelnen Variablen am Zustandekommen des Motorik-Scores beteiligt sind. Somit konnten auch Veränderungen in der Bedeutsamkeit einzelner Prädiktorvariablen über den Messzeitraum analysiert werden.

ERGEBNISSE

Deskriptive Daten
In Tabelle 1 sind anthropometrische Daten, wöchentliche Sportaktivitäten, Medienausstattung und motorische Leistungsfähigkeit der Kinder zu den drei Messzeitpunkten T1, T2 und T3 dargestellt.
Die Kinder waren zu Beginn der Studie am Ende der 2. Klasse durchschnittlich knapp 8 Jahre alt und am Ende der 4. Klasse knapp 10 Jahre alt. Mehr als 60% der Kinder nahmen mindestens einmal pro Woche regelmäßig an Sportangeboten im Verein oder in Kursen teil, in der 2. und 4. Klasse mehr als 40% sogar mindestens zweimal pro Woche. In der 2. Klasse hatten mehr als die Hälfte der Kinder weder einen Fernseher, noch einen Computer oder eine Spielkonsole in ihrem Kinderzimmer. Am Ende der 4. Klasse hatten nur noch 40% keines dieser Geräte, während 11% der Kinder sogar alle drei Geräte besaßen.
Über den kompletten Messzeitraum hinweg waren höchstens 6% der Kinder untergewichtig. Dagegen waren in der 4. Klasse mehr als 20% der Kinder übergewichtig, mehr als 10% sogar adipös (s. Tab. 1). Längsschnittlich betrachtet blieben 93% der normalgewichtigen Kinder über die zwei Jahre hinweg normalgewichtig. Von den anfangs übergewichtigen Kindern wurden in Laufe der Grundschulzeit mehr Kinder adipös als normalgewichtig. Nur ein Kind wechselte seinen Gewichtsstatus von adipös zu übergewichtig.


Bei der Sportvereinszugehörigkeit war die Fluktuation deutlich höher. 63% der Schüler waren konstant im Verein oder nicht. 16% verließen den Verein, 14% traten bis zur 4. Klasse bei. Weitere 7% hatten bei jedem aufeinander folgenden Messzeitpunkt einen anderen Status.
Der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund betrug insgesamt 46%, war jedoch über die Schulen recht unterschiedlich verteilt (niedriges Milieu: 58%, mittleres Milieu: 54%, höheres Milieu: 31%).

Sozialstatus, Migrationshintergrund, Vereinssport, Medienausstattung, BMI und motorische Leistungsfähigkeit
Die Korrelationen zwischen den erhobenen Variablen sind in Tabelle 2 dargestellt. Zunächst ist festzustellen, dass Kinder mit Migrationshintergrund einen niedrigeren Sozialstatus hatten als Kinder ohne Migrationshintergrund. Diese beiden über die Kindheit stabilen Faktoren zeigten einige Zusammenhänge mit den veränderbaren Faktoren, die gesundheitsrelevante Verhaltensmuster erzeugen. So besaßen beispielsweise Kinder mit einem niedrigeren Sozialstatus über alle Messzeitpunkte im Durchschnitt mehr Bildschirmmedien als Kinder mit einem mittleren oder höheren Sozialstatus. Auch der BMI war für Kinder mit Migrationshintergrund und niedrigem Sozialstatus zum ersten Messzeitpunkt signifikant erhöht. Die Teilnahme an regelmäßigen Sportaktivitäten war in der 2. Klasse für Kinder mit Migrationshintergrund noch geringer, in der 4. Klasse war dagegen kein Zusammenhang mehr ersichtlich. In der 3. Klasse schnitten Kinder mit höherem Sozialstatus im Motoriktest signifikant besser ab, ansonsten waren für Sozialstatus und Migrationshintergrund keine signifikanten Zusammenhänge mit der motorischen Leistungsfähigkeit erkennbar.
Vereinssportaktivitäten zeigten in der 2. Klasse noch keinen, ab der 3. Klasse dann einen signifikant positiven Zusammenhang mit der motorischen Leistungsfähigkeit. Jedoch hing die Anzahl der Vereinssportaktivitäten während der gesamten Grundschulzeit nicht mit dem BMI der Kinder zusammen. Ebenso bestand kein vermeintlich negativer Zusammenhang zwischen Vereinssport und Medienausstattung.
In der 2. Klasse hatten Kinder mit mehr elektronischen Großgeräten einen höheren BMI, jedoch nicht mehr in der 3. und 4. Klasse. Die motorische Leistungsfähigkeit war während der gesamten Grundschulzeit bei geringerer Medienausstattung höher.
Der BMI zeigte durchgängig den stärksten Zusammenhang mit der motorischen Leistungsfähigkeit. Je höher der BMI war, desto geringer war die motorische Leistungsfähigkeit der Kinder.

Prädiktorvariablen für die motorische Leistungsfähigkeit
Da die motorische Leistungsfähigkeit in der vorliegenden Untersuchung die abhängige Variable darstellte, deren Zustandekommen durch die Prädiktorvariablen möglichst gut erklärt werden sollte, wurden multiple Regressionen durchgeführt. Die Ergebnisse der Regressionen sind in Tabelle3 dargestellt. Zunächst ist zu erkennen, dass das gewählte Modell für alle drei Messzeitpunkte passt und dass die Güte der Anpassung von der 2. bis zur 4. Klasse zunimmt. So konnten durch die Prädiktorvariablen zunächst 20,7% der Varianz aufgeklärt werden, zum letzten Messzeitpunkt sogar 33,1%. In der 2. und 3. Klasse stellte sich der BMI als einzige relevante Prädiktorvariable heraus. Die in den bivariaten Korrelationen gefundenen Zusammenhänge des Motorik-Scores mit Sozialstatus, Sportaktivitäten und Medienausstattung beruhen somit auf Kovarianzen mit dem BMI. Erst in der 4. Klasse wurden regelmäßige Sportaktivitäten und eine geringere Medienausstattung für die motorische Leistungsfähigkeit bedeutsam.

DISKUSSION

Vereinssport
Die Anzahl an Sportvereinsmitgliedern in der Altersklasse der Grundschüler mit durchschnittlich mehr als 60% ist mit den Ergebnissen anderer Studien vergleichbar (33). Ebenso ist das Ergebnis, dass diese Aktivitäten größtenteils positiv mit der motorischen Leistungsfähigkeit korrelieren, erwartungsgemäß (6, 11, 12, 17, 21). In unserer Studie konnten wir jedoch zusätzlich nachweisen, dass im Verlauf der Grundschulzeit die Bedeutung der regelmäßigen Teilnahme an Sportangeboten immer wichtiger wird.
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Sportaktivitäten und Körpergewicht ist die Befundlage dagegen weniger eindeutig. So fanden manche Autoren für die von uns untersuchte Altersgruppe einen Zusammenhang zwischen körperlich-sportlicher Aktivität und BMI (6), manche fanden ihn nur für Jungen (14), wieder andere fanden keinen Zusammenhang (13, 24). Letzteres bestätigte sich auch in unserer Studie. Für alle drei Messzeitpunkte während des Grundschulalters zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der wöchentlichen Sportvereinsaktivitäten und dem BMI. Dieser Befund ist einerseits überraschend. Bei genauerem Blick auf die Daten geht aber beispielsweise hervor, dass zwei Drittel der adipösen Viertklässler ein- bis dreimal die Woche Sport im Verein betreiben. Dies ist durchaus als Erfolg der Sportvereine zu werten, denen es gelingt, auch für diese Zielgruppe attraktiv zu sein.

Medienausstattung
Fast jedes zweite 8-jährige Kind hatte einen Fernseher, einen Computer oder eine Spielkonsole in seinem Kinderzimmer. Für Mädchen traf das auch zwei Jahre später noch zu. Von den 10-jährigen Jungen hatten allerdings schon zwei Drittel eines dieser Geräte im Zimmer. Wenngleich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Medienausstattung und den Vereinssportaktivitäten bestand, so stieg doch der Korrelationskoeffizient von der 2. bis zur 4. Klasse stark an. Die Frage nach einer Kausalbeziehung, ob eine hohe Anzahl an elektronischen Geräten die Kinder zunehmend daran hindert, im Sportverein aktiv zu sein, oder ob andererseits die Sportvereinsmitgliedschaft das Verlangen nach einer hohen Geräteausstattung reduziert, kann hier nicht geklärt werden. Jedoch wurde beispielsweise bei Siebtklässlern nachgewiesen, dass die Beweggründe für Medienkonsum und Sporttreiben eine große Schnittmenge aufweisen (3) und somit tatsächlich in Konkurrenz zueinander stehen, was die Freizeitgestaltung der Kinder betrifft.Auch wenn hierzu die bisherige Befundlage insgesamt nicht einheitlich ist (9), so deckt sich doch unser Ergebnis mit den Ergebnissen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS)(20).
Interessanterweise zeigte eine hohe Medienausstattung bei den 8-jährigen Kindern noch einen negativen Zusammenhang mit dem BMI, jedoch nicht mehr bei den 9- und 10-jährigen Kindern. Dies könnte daran liegen, dass die Medienausstattung insgesamt deutlich angestiegen ist, so dass durch einen allgemein höheren Konsum die Unterschiede nicht mehr so deutlich ausfallen. Auch wenn beispielsweise Interventionsstudien zeigen, dass ein reduzierter Medienkonsum zu einer geringeren Prävalenz von Übergewicht führt (25), finden querschnittliche Studien kaum einen Zusammenhang zwischen Medienkonsum und BMI (3, 15).
Bezüglich der motorischen Leistungsfähigkeit unterstreicht unsere Studie die bisherige Befundlage einer negativen Korrelation mit einem hohen Medienkonsum (31). Zusätzlich konnten wir zeigen, dass der Einfluss der Medienausstattung im Laufe der Grundschule zunimmt und letztlich erst Ende des vierten Schuljahres einen signifikanten Prädiktor für den Motorik-Score darstellt.

Körpergewicht
Der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder war in unserer Stichprobe mit ca. jeweils 20% zu den 3 Messzeitpunkten im Vergleich zur KIGGS-Studie höher (19). Im Gegensatz dazu scheint Untergewicht kein weit verbreitetes Problem unter den Grundschülern zu sein. Die Ergebnisse, dass Kinder mit einem höheren BMI durchschnittlich schlechtere Motorikleistungen erreichten als leichtere Kinder, stimmt mit vielen anderen Studien überein (10, 12, 14, 23, 29). In unserer Studie konnten wir außerdem zeigen, dass der BMI bei Weitem der wichtigste Prädiktor für die Motorikleistung ist. Bezüglich der längsschnittlichen Analyse wird auch der BMI, wie die Sportaktivität und die Medienausstattung, von der 2. bis zur 4. Klasse immer bedeutsamer für die Motorikleistung.

Migrationshintergrund und Sozialstatus
Weder der Migrationshintergrund eines Kindes, noch das soziale Milieu, in dem es aufwächst, sind per se dazu in der Lage vorherzusagen, wie leistungsfähig ein Kind in motorischer Hinsicht ist. Dies zeigt eindeutig die Regressionsanalyse, in der die Beta-Koeffizienten, mit Ausnahme des Sozialstatus zu T2, weit unter 0,1 lagen und somit nahelegen, dass diese Faktoren so gut wie keine Vorhersagekraft haben. Die bivariaten Korrelationen zeigten jedoch, dass Kinder mit einem Migrationshintergrund oder einem niedrigeren sozialen Milieu leichter Gefahr laufen, einen höheren BMI zu entwickeln, der wiederum entscheidend für die motorische Leistungsfähigkeit ist. Dies bedeutet nunmehr, dass der sozio-ökologische Kontext nicht außer Acht gelassen werden darf, sondern genau hierauf der Fokus bei der Frage nach Verbesserungen der Situation bezüglich gesundheitsrelevanter Verhaltensmuster gelegt werden muss. Wie kann es gelingen, den deutlich erhöhten Medienkonsum sozial schwacher Grundschulkinder zu reduzieren? Wie kann das örtliche Vereinssportangebot für Migranten attraktiver gemacht werden? Die Daten zeigten in dieser Hinsicht immerhin die positive Tendenz, dass Kinder mit Migrationshintergrund im Laufe des Untersuchungszeitraumes an Vereinssportaktivitäten mit NichtMigranten fast gleichziehen konnten.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Eine bedeutsame Schlussfolgerung unserer Studie ist, dass bereits die Grundschulzeit eine kritische Phase für die Entwicklung von gesundheitsrelevanten Verhaltensmustern darstellt. Im Verlauf vom 2. zum 4. Schuljahr hängen in zunehmendem Maße hoher Medienkonsum, Sportabstinenz und ein hoher BMI mit einer geringeren motorischen Leistungsfähigkeit zusammen, was wiederum als erhöhtes Gesundheitsrisiko angesehen werden muss (22, 26, 32). Dies spricht wiederum für gesundheitliche Vorteile für normalgewichtige, sportlich aktive Kinder, deren Alltag nicht von elektronischen Geräten dominiert wird. Das Angebot von 3 Stunden Sportunterricht pro Woche an bayerischen Grundschulen scheint dabei nicht auszureichen, um individuelle Benachteiligungen auszugleichen. Im Gegenteil wird die Beziehung zwischen der Teilnahme am außerschulischem Sport und der motorischen Leistungsfähigkeit im Grundschulalter immer stärker. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Sportaktivität keinen Zusammenhang mit dem BMI aufweist. Die Verfügbarkeit von Bildschirmmedien dagegen ist stark mit dem BMI assoziiert. Wenn man nun bedenkt, dass ein hoher BMI sowohl die sportmotorische Leistungsfähigkeit reduziert, als auch per se ein höheres Gesundheitsrisiko mit sich bringt (2, 6), muss die Konsequenz sein, bereits im Grundschulalter aus institutioneller Sicht in Aufklärungs- und Umsetzungskonzepte zu investieren, um dieses Risiko zu minimieren.
Des Weiteren ist anzumerken, dass weder ein Migrationshintergrund noch der soziale Status allein einen Prädiktor für die motorische Leistungsfähigkeit darstellen. Darüber hinaus gibt es bei den 8- bis 10-Jährigen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen sozialem Status und der Aktivität im Sportverein, bei Kindern mit Migrationshintergrund kann dieser Zusammenhang in der 2. Klasse noch nachgewiesen werden, verschwindet aber dann in den Klassen 3 und 4. Dies spricht dafür, dass sowohl für Kinder mit Migrationshintergrund als auch für Kinder niedriger sozialer Schichten von den Sportvereinen ein Angebot gemacht wird, das sie nicht ausgrenzt. Problematisch ist hingegen die in der Studie gewonnene Erkenntnis, dass vor allem Kinder aus niedrigem sozialen Milieu im Durchschnitt die meisten elektronischen Geräte besitzen. Pauschale Forderungen einer kontrollierten Mediennutzung im Kindesalter sollten daher im Sinne der Verhältnisprävention mit Blick auf den sozio-ökologischen Kontext der Familien verfeinert werden. Aus forschungsperspektivischer Sicht ist es sicher interessant, derartige Längsschnittstudien auch über das Grundschulalter hinaus fortzuführen, denn sicherlich stellt der nach der Grundschule anstehende Schulwechsel ein kritisches Lebensereignis dar, durch das sich nochmals einige Rahmenbedingungen für die Verhaltensmuster der Kinder ändern.

Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: keine.

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PD Dr. Claudia Augste
Institut für Sportwissenschaft
Universität Augsburg
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