Ausdauer & Psyche
EDITORIAL
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Die ersten 100 Tage

The First 100 Days

Prof. Dr. Klaus-Michael Braumann Präsident Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) Am 3. November bin ich von den Delegierten der Landessportärzteverbände als Nachfolger von Herbert Löllgen zum neuen Präsidenten der DGSP gewählt worden. Das damit ausgesprochene Vertrauen ehrt mich. Üblicherweise berichten neu gewählte Präsidenten in solchen Situationen über die Pläne ihrer künftigen Tätigkeiten:
Ich möchte die erfolgreiche Arbeit des Präsidiums der letzten Jahre fortsetzen. Eine hohe Priorität dieser Tätigkeit lag darin – und wird auch künftig darin liegen – den seit längerer Zeit zu beobachtenden Mitgliederschwund der Gesellschaft zu stoppen und die Mitgliedschaft in der DGSP wieder attraktiv zu gestalten. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass DGSP-Mitglieder mit sportmedizinischer Tätigkeit Geld verdienen können indem solche Leistungen gegenüber gesetzlichen Kostenträgern abgerechnet werden können.
Das scheint gelungen; seit ein paar Monaten zeigen die jahrelangen Bemühungen und Aktivitäten zahlreicher Personen auf verschiedenen Ebenen erste Erfolge: mit der BKK RWE und der Techniker Kasse erstatten die ersten gesetzlichen Krankenkassen Honorare für sportmedizinische Untersuchungen und Beratungen. Bemerkenswert dabei ist, dass wir, die DGSP bzw. ihre Landesverbände die Vertragspartner der Kassen sind, die auch die Voraussetzungen festlegen, unter denen niedergelassene Kolleginnen und Kollegen in diese Vereinbarungen eintreten dürfen: So können nur Ärzte und Ärztinnen diese Leistungen abrechnen, die über die Zusatzbezeichnung „Sportmedizin“ verfügen und Mitglied eines Landesverbands der DGSP sind; für die Abrechnung von Laktattests ist das DGSP-Zertifikat zur „Laktat-Leistungsdiagnostik“ Voraussetzung.
Mein Herzblut gehört der Bewegungstherapie und es wird deshalb ein zentrales Ziel meiner Bemühungen sein, Bewegung neben ihrer Bedeutung in der Prävention als eine effiziente Therapieform zu propagieren, die damit eine von den gesetzlichen Krankenkassen zu finanzierende Leistung sein muss: Von der Gesetzeslage her (§ 27 Abs. 1 SGB V) „ … haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern … “ Bei der heutigen eindeutigen evidenzbasierten Datenlage müsste Bewegungstherapie danach von den gesetzlichen Kostenträgern also in gleicher Weise getragen werden wie andere Therapieformen!
Bislang werden allerdings viele der therapeutischen Effekte von Bewegung durch z.T. abenteuerliche Wortgebilde wie „Sekundär-“ – oder sogar „Tertiär-Prävention“ in den Bereich der Prävention verlagert und dadurch die Zuständigkeit der gesetzlichen Kassen für diese Art der Therapie reduziert ( für Prävention sind die Etats der gesetzlichen Kassen bislang noch nicht richtig ausgestattet). Dabei ist offensichtlich, dass die Wirkung dieser „Sekundär-“ – und „Tertiär-Prävention“ z.B. der koronaren Herzkrankheit durch die therapeutischen Effekte bestimmter Risikofaktoren wie z.B. Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen verursacht sind.
Auf diesem Feld scheinen sich allmählich ebenfalls Abrechnungs-möglichkeiten für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zu entwickeln. So hat die AOK einen ersten Vertrag für Bewegungstherapie bei onkologischen Patienten abgeschlossen. Gespräche zur Erweiterung derartiger Regelungen auf Patienten mit Typ-II Diabetes oder Herzinsuffizienz sind in Vorbereitung.
Da es offensichtlich an einzelnen Standorten schon regional geltende Vereinbarungen gibt, brauchen wir für zentrale Gespräche Informationen über diese mit verschiedenen Krankenkassen bereits vereinbarten Regelungen für bewegungstherapeutische Maßnahmen. Ich bitte deshalb die Landesverbände oder Mitglieder, Informationen über solche Vereinbarungen möglichst schnell an die Geschäftsstelle nach Frankfurt weiterzugeben. Je mehr regionale Vereinbarungen bekannt sind, desto leichter wird es, diese als Grundlage für weitere Gespräche und Verhandlungen mit gesetzlichen Krankenkassen zu verwenden.
Wir werden Anstrengungen unternehmen, Bewegung als zentrales Element der Prävention, aber auch der Therapie in das Bewusstsein der klinischen Fächer zu transportieren. Vor dem Hintergrund der geplanten gesetzlichen Regelungen für Präventionsmaßnahmen werden wir alles tun, um unsere Bedeutung auf diesem Feld weiter bekannt zu machen. So wird in der Diskussion um den demografischen Wandel von Unternehmen mehr und mehr die Bedeutung einer guten körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit gerade älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkannt. Hier kann die Sportmedizin durch Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung viele sinnvolle Beiträge leisten, dabei ist unsere sport- und bewegungsmedizinische Expertise dringend notwendig.

Leistungssport
Die organisierte deutsche Sportmedizin hat sich in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen zunehmend aus dem Leistungssport zurückgezogen. Das war verständlich; in der Zeit nach 1990 waren durch die systematische Aufarbeitung der Dopingpraxis in zunächst Ost, später in West, viele Verstrickungen von exponierten Kollegen offensichtlich geworden.
Inzwischen dürfte die Bewertung von Doping so eindeutig sein, dass jeder verstanden haben dürfte, dass es sich dabei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Wir werden unsere eindeutigen Positionen gegen jede Form der pharmakologischen Leistungsmanipulation immer wieder bekräftigen; wir müssen aber auch teilweise abstrusen Forderungen von nicht ärztlichen Anti-DopingExperten mit fachlicher Expertise entgegen treten. So kann es nicht in unserem Interesse liegen, wenn ernsthaft darüber diskutiert wird, therapeutische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Belastbarkeit und damit der Sportfähigkeit oder die Aufnahme von Makronährstoffen durch Nahrungsergänzungsmittel als eine Art von Doping zu definieren.
Wir wollen unsere Zuständigkeit für den Leistungssport dadurch dokumentieren, dass wir den in den letzten Jahren etwas zum Erliegen gekommenen Kontakt zu den Verbandsärzten wieder aufnehmen und uns mehr einmischen. Wir werden uns als Gesellschaft auf diesem Feld durch Fortbildungsaktivitäten positionieren (z.B. mit einer eigenen Veranstaltungsschiene auf dem deutschen Sportärztekongress) und diese ureigene Aufgabe der Sportmedizin nicht irgendwelchen anderen Verbänden oder Organisationen überlassen.
Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich festzustellen, dass sich leistungsphysiologisch interessierte Kolleginnen und Kollegen vermehrt dem Leistungssport zuwenden wollen; gerade die vergangenen Olympischen Spiele haben bei einigen Sportarten gezeigt, dass eine medizinisch-leistungsphysiologische Expertise gebraucht wird. Diese Expertise hat offensichtlich lange Zeit gefehlt, wie von Insidern bestätigt und aus der teilweise deutlichen Kritik an einer fehlenden Individualisierung von Training deutlich wird.

Wissenschaft
Im wissenschaftlichen Bereich steht die Sportmedizin zunehmend vor dem „Problem“, dass sport- und bewegungsmedizinische Inhalte zwischenzeitlich in allen klinischen Fächern einen hohen Stellenwert genießen. So schön das für die Sportmedizin in Hinblick auf ihre Bedeutung vielleicht sein mag, so sehr kann uns das zum Nachteil gereichen: Ergebnisse wissenschaftlicher Studien mit sport- und bewegungsmedizinischen Inhalten werden nicht mehr auf unserem zentralen Sportärztekongress, sondern zunehmend auf den Kongressen der jeweiligen Fachgesellschaften präsentiert. Das führt zu dem Problem, dass immer mehr hochkarätige Forschung mit sportmedizinischen Inhalten in klinischen Einrichtungen anderer Fächer stattfindet. Wenn wir uns nicht vollständig aufreiben wollen, müssen wir unser wissenschaftliches Selbstverständnis modifizieren. In den klinischen Fächern wird es immer die kompetenteren Spezialisten geben, ein Schwerpunkt unserer Expertise ist die Untersuchung der Leistungsfähigkeit sowie daraus abgeleitet die Vorgabe für das Training. Das sollten wir vermehrt Vertretern der klinischen Fächer deutlich machen und auf diese Weise gemeinsam die wissenschaftliche Kooperation suchen.

Perspektiven
Ich habe die Entwicklung der DGSP in den letzten 20 Jahren sehr intensiv miterlebt und teilweise mitgestalten dürfen. Darüberhinaus bin ich als Vorsitzender des Hamburger Sportärztebundes seit 1998 mit den Problemen der Landesverbände vertraut. Ich habe bemerkt, dass sich die Präsidiumsarbeit in den letzten Jahren teilweise erheblich verändert hat und zunehmend Expertise und Kompetenz von extern eingeholt wird. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, dass exzellente Kontakte in die höchsten Ebenen der Politik einmalige Aktionen blieben, weil sich niemand aus dem Kreis der Funktionsträger im Präsidium in der Lage gesehen hat, diese Kontakte weiter zu pflegen und so immer wieder bereits geöffneten Türen zufielen. Damit das nicht zu häufig geschieht werden wir anfallende Aufgaben künftig auf mehrere Schultern verteilen. Dafür sollen neben dem Generalsekretär für verschiedene Bereiche sog. „Präsidiumsbeauftragte“ zuständig sein. Wir glauben, dadurch besser auf die wachsenden Aufgaben und Herausforderungen reagieren können.
Schließlich möchte ich das gute Standing der DGSP in den internationalen Gremien festigen und die bereits hervorragenden internationalen Kontakte zu den Fachgesellschaften vertiefen. Dabei werden wir in manchen Fällen eine wichtige Rolle als Moderator haben, z.B. in der Weiterentwicklung der Kampagne „Exercise is Medicine“.
Insgesamt kann ich aus den vergangenen Jahren feststellen: Die DGSP ist auf einem guten Weg, sie ist zwar in etlichen Bereichen noch immer ein schlafender Riese, der allerdings langsam aufzuwachen beginnt. Wir wollen alle dazu beitragen, dass er nicht wieder einschläft.