Ausdauer & Psyche
KURZBEITRAG
DEPRESSIVITÄT - SCREENING

Depressivität – Screening und Vorkommen in der sportmedizinischen Praxis

Depressive Mood – Screening and Evidence in Sports Medicine Practice

ZUSAMMENFASSUNG

Problem: Bei Leistungssportlern werden vereinzelt schwere depressive Erkrankungen beschrieben. Über deren Häufigkeit liegen keine belastbaren Daten vor. Das Vorkommen im Breitensport wurde bislang kaum beachtet, und es fehlt an Erfahrungen mit praktikablen Screeninginstrumenten. Methoden: In einem sportmedizinischen Institut kam der WHO (Fünf) Fragebogen zum Wohlbefinden bei 150 Leistungs- und Breitensportlern zum Einsatz. Als ein Screeninginstrument formuliert dieser in fünf Fragen subjektive Lebensqualität. Er ist sehr schnell beantwortbar und hochsensitiv für schwere und leichte Depressionen. In einer Pilotstudie wurde die Eignung des Fragebogens als Befragungsinstrument erprobt und das Vorkommen subjektiver Depressivität erfasst. Über soziodemografische, klinische und sportanamnestische Kovariablen wurde abgeschätzt, in welchem Kontext und wie häufig kritische Werte von Depressivität auftraten. Ergebnisse: Bei einem Viertel der Befragten deuteten die Werte auf beeinträchtigtes Wohlbefinden, unabhängig von der Leistungsorientierung im Sport, hin. Unspezifisches Stresserleben, Trainingspause und hoher Trainingsumfang gingen signifikant häufiger mit niedrigeren Rohwerten einher, tendenziell auch Erkrankungen und ärztliche Behandlung. Unter einem engeren Cut-off erschien bei 15% der Befragten eine weiterführende Diagnostik wegen depressiver Befindlichkeit sinnvoll. Diskussion: Der WHO-5 erwies sich als praxistauglich und wurde gut akzeptiert. Die bei einer sportmedizinischen Klientel erhobenen Befunde deuteten auf ein relevantes Vorkommen von Depressivität hin. Die Ergebnisse sind nicht für den gesamten Sport repräsentativ und indizieren weiteren Forschungsbedarf.

Schlüsselwörter: Lebensqualität, Depression, WHO-5, Leistungssport, Breitensport.

ABSTRACT

Problem: Severe depressive illnesses of competitive athletes were described sporadically. Valid data concerning occurrence are not published. There is a lack of experience with practicable screening instruments. The problem seems to be neglected in popular sports. Methods: The WHO (Five) Well Being Index is field-tested as a survey instrument in sports medical care. It phrases subjective quality of life, but is highly sensitive for mild as well as severe depressions. Its five questions are verbalised positively, and can be quickly answered. 150 clients, competitive athletes and mass sportsmen, were questioned to identify depressive mood. Low raw values indicating depressive mood were analyzed in the context of sociodemographic, clinical, and sports anamnestic data. Results: Independent of competitive orientation, one-quarter of the participants depressive mood, meeting broad screening criteria. Unspecific subjective stressful experience, training pause and high training extent were significantly associated with lower values. 15 % of the participants had more specific lower values indicating need for further diagnostic clarification. Discussion: The "WHO-5" proved to be applicable and feasible. Depressive mood was found for a relevant subgroup of sportsmen. The findings are not representative for all sports. Further empirical research is required.

Key Words: Live quality, depression, WHO-5, competitive sports,
popular sports

EINLEITUNG

Depressive Erkrankungen und Suizide von Spitzenathleten haben öffentlich aufgerüttelt. Bislang galten sie als Einzelfälle. Zunehmend wird die Notwendigkeit gesehen, psychische Belastungen und Erkrankungen früher zu erkennen und therapeutisch aufzufangen. Eine Zusammenarbeit mit der Psychiatrie und Psychotherapie nimmt Gestalt an (8). Übertrainingssyndrome (ÜTS) sind ein bedeutendes Problem der Sportmedizin (1, 5) und gehen häufig mit Depressivität einher (9). Dies scheint im Breitensport kaum beachtet (5).
Repräsentative Daten über das Vorkommen depressiver Erkrankungen im Sport fehlen. Seit Jahren sieht man auch bei ambitionierten Breitensportlern einzelne schwere depressive Störungsbilder, die im Zusammenhang mit dem ÜTS auftraten. Wie oft in der leistungsdiagnostischen und sportärztlichen Betreuung eine gezielte Diagnostik und fachpsychiatrische Vorstellung indiziert wäre, ist nicht untersucht. Ein Bedarf für schnell anwendbare und akzeptable Instrumente für ein gezieltes Screening liegt daher nahe.
Ziel der vorliegenden Pilotstudie war es, an einer Stichprobe von sportmedizinisch betreuten Leistungs- und Breitensportlern:

  1. einen hier noch nicht eingesetzten Fragebogen zu erproben, der Wohlbefinden als zentralen Aspekt subjektiver Lebensqualität erfragt und– bei niedrigen Werten – Depressivität erfasst, so dass abgeschätzt werden kann, wann eine weiterführende fachpsychiatrische Diagnostik wegen depressiver Erkrankungen indiziert wäre.
  2. Anhaltspunkte zum Vorkommen von Depressivität zu gewinnen und diese im Kontext klinischer und sportanamnestischer Daten zur Hypothesenbildung bei künftigen Studien einzugrenzen. Besonders interessierte, inwieweit die Ergebnisse für Leistungssportler und Breitensportler vergleichbar sind.

MATERIAL UND METHODE

Der WHO (Fünf) Fragebogen zum Wohlbefinden (3) (Tab. 1) (WHO-5 german, 1998) erscheint prädestiniert, weil er in 2- 4 Minuten beantwortbar ist. Er schreckt nicht durch direkte Fragen nach depressiven Symptomen ab, sondern formuliert Fragen positiv und nicht defizitorientiert. Er steht in 28 Sprachen zur Verfügung und wurde bei somatischen Erkrankungen und in der Primärversorgung erprobt und evaluiert (2, 6, 7). Die Einzelwerte ergeben addiert einen Rohwert zwischen Null und 25. Niedrige Werte (schlechtes Wohlbefinden) deuten auf Depressivität hin. Bei einem von der WHO für Screeningszwecke in der Primärversorgung empfohlenen Cut-off <13 (Rohwert) erreicht der WHO- 5 für Depressionen aller Art und Schwere eine Sensitivität von 93% (6), bleibt aber mit 64% eher unspezifisch. Individuell niedrige Rohwerte sind nicht mit einer depressiven Erkrankung gleichzusetzen, die Diagnose kann klinisch erst im zweiten Schritt gesichert werden.
Um die Eignung des WHO- 5 als Test bei Sportlern zu erproben, wurde der Weg einer schriftlichen Befragung gewählt. Die Teilnehmer wurden dabei für eine „Studie zu Übertraining und Erschöpfung“ um Hilfe gebeten. Sie erhielten ein Anschreiben mit Hinweis auf die anonyme wissenschaftliche Auswertung der Daten und erklärten mit Abgabe ihr Einverständnis. Die Anonymisierung erfolgte über Fallnummern und getrennte Listen. 60 aktuell betreute Sportler wurden persönlich oder beim Mannschaftstraining angesprochen. Weitere 200 aktuelle Klienten wurden angeschrieben. Die Studie zielte auf die versorgten Patienten in ihrer Breite ab.
Tabelle 1: Erläuterung und Fragen zum Wohlbefinden des WHO-5 german. „Die folgenden Aussagen betreffen Ihr Wohlbefinden in den letzten zwei Wochen. Bitte markieren Sie bei jeder Aussage die Rubrik, die Ihrer Meinung nach am besten beschreibt, wie Sie sich in den letzten zwei Wochen gefühlt haben.“
Orientierend wurden Altersgruppe, Geschlecht, aktuelle ärztliche Behandlung, Trainingsumfang, Leistungsorientierung und aktuelle Trainingspause erfragt. Im Freitext wurde Angaben über die Sportart sowie Beschwerden, Erkrankungen, Stresserleben und Medikamente erbeten. Dies wurde in Gruppen zusammengefasst. Die Auswahl der Items erfolgte nach impliziten Annahmen aus Praxis und Literatur.
Statistisch wurden die Breitensportler den Leistungssportlern (mit Amateurlizenzen und Profis) gegenübergestellt und jeweils in Mannschafts-, Ausdauer- und sonstige Sportarten gruppiert. Auswertungen zur Zielvariable Rohwert WHO-5 wurden deskriptiv mit dem SPSS erstellt (Verteilung von Rohwerten im t-Test, nonparametrische Verfahren bei qualitativen Items). Diese inhaltliche und methodische Beschränkung sollte die Schwelle zur Teilnahme möglichst niedrig halten. Zur schnellen Beantwortung standen alle Fragen zusammen mit dem WHO-5 auf einer Din-A-4-Seite.

ERGEBNISSE

Bei persönlicher Ansprache beteiligten sich 54 Sportler (90%), bei schriftlicher Kontaktaufnahme 96 Sportler (48%). Beide Untergruppen unterschieden sich im WHO- 5 nicht. Die Breiten- und Leistungssportler erzielten bei der Zielvariable trotz heterogener Gruppenzusammensetzung identische Mittelwerte. Daraufhin haben wir die zu 85% männlichen, häufiger im Mannschaftssport aktiven und um mehr als 10 Jahre jüngeren Leistungssportler mit den Breitensportlern gemeinsam ausgewertet. Letztere waren zu knapp einem Drittel im Ausdauersport engagiert und zu 70% männlich. 150 Sportler erreichten im Mittel einen Rohwert von 15,6 (SD=4,7; range 3- 25).
Für den Screeningeinsatz empfehlen die Autoren eine weitere Diagnostik, wenn Rohwerte <13 und/oder wenn Einzelwerte von Null bis Eins auftreten (3). Wir fanden Rohwerte <13 in 37 Fällen (25%). Unter Einschluss von Probanden, die Einzelwerte von 0 oder 1 angaben, resultierten nach dieser weiten Definition „niedrige“ Werte bei 48 Befragten (32%). Um klinische oder sportanamnestische Zusammenhänge zu beschreiben und zur künftigen Hypothesenentwicklung beizutragen, haben wir diese für statistische Vergleiche ausreichend große Gruppe mit der unauffälligen Reststichprobe verglichen:

  •  Das Verhältnis von Männern zu Frauen betrug 3 zu 1. Im Mittel wurden dieselben Rohwerte erreicht.
  • Zum Altersvergleich wurde die Stichprobe halbiert: Die unter 40-Jährigen zeigten mit 39% tendenziell häufiger auffällige Werte als die Älteren mit 26% (n.s.). 17 Sportler waren unter 20 Jahre alt. Die Altersgruppen 40- 49 Jahre waren mit 31%, 50- 59 Jahre mit 13% und über 60 Jahre mit 3% beteiligt.
  • 71% wurden dem    Breitensport,    29%    dem    Leistungssport    zugeordnet. Auffällige Werte traten in 31% und 36% auf (n.s.).
  • 72% betrieben    Ausdauersport,    16%    Mannschaftssport.    Auffällige Werte waren im Ausdauersport tendenziell seltener (29% zu 39%) (n.s.).
  • 14% standen    in    ärztlicher    Behandlung.    Sie    hatten    mit    88%   tendenziell häufiger auffällige Werte als Unbehandelte (56%) (n.s.).
  • 13% gaben    internistische    oder    sonstige    (darunter    drei    psychische) Erkrankungen an, 9% nannten Erkrankungen oder Verletzungsfolgen an Bewegungsorganen. Auffällige Werte waren mit 37% bei den Erkrankten tendenziell seltener als bei Gesunden (62%) (n.s.). Der Fragebogen erlaubte jedoch keine Aussage darüber, ob Erkrankungen akut waren oder schon länger behandelt wurden.
  • 17% machten unspezifische Angaben über „Stress“(psychische Störungen wurden nicht mitgezählt). Sie hatten mit 61% signifikant häufiger auffällige Rohwerte als diejenigen ohne Stress (38%) (p=0,001).
  • 44 Sportler konnten aktuell nicht trainieren (zu einem Drittel seit über sechs Monaten). Die zumeist krankheitsbedingten Trainingspausen gingen signifikant häufiger mit auffälligen Werten einher (53% zu 44%) (p=0,004).
  • Den Trainingsumfang pro Woche gaben 98 Sportler an. 12 Personen lagen unter drei Wochenstunden, 35 erreichten bis sechs, 27 bis neun Stunden, 24 lagen höher. Ein Trainingspensum von über neun Stunden war zu 58% häufiger mit auffälligen Werten assoziiert als ein geringerer zeitlicher Umfang (42%) (p=0,030)

22 der 150 Sportler (15%) gaben Rohwerte von <10 an. In der Gruppe befanden sich acht Frauen, dreizehn über 40-Jährige, sieben Breitensportler, 14 Ausdauersportler. 10 hatten Trainingspause, vier trainierten über 6 und einer 20 Wochenstunden. 17 Personen befanden sich in ärztlicher Behandlung: Drei davon hatten Probleme im Bewegungsapparat, fünf litten unter Atemwegs- oder HerzKreislauferkrankungen. Bei einer Sportlerin war eine Depression diagnostiziert, neun nannten unspezifisch schweren, teilweise beruflichen Stress.

DISKUSSION

Der Einsatz des WHO-5 als Befragungsinstrument erscheint angesichts seiner diagnostischen Güte (2) auf einem Gebiet, für das bislang kaum Daten verfügbar sind, gerechtfertigt: Er erbringt wichtige Hinweise zum Vorkommen von Depressivität und vermeidet durch die positive Ausrichtung an subjektiver Lebensqualität den Eindruck eines psychiatrischen Fragebogens. Dies beugt möglichen Vorbehalten gegen eine vorschnelle Zuordnung auf psychische Störungen vor. Das Vorgehen bewährte sich und der Test wurde gut angenommen.
Das in der Pilotstudie gewählte Verfahren erlaubt keine Aussage zur Prävalenz depressiver Störungen und Diagnosen werden damit nicht gestellt. Die Gesamtheit der Sportler wird durch die Stichprobe nicht repräsentativ abgebildet. Vielmehr ging es darum, die sportmedizinische Versorgungspraxis abzubilden. Die Stichprobe enthielt Klienten eines sportmedizinischen Instituts, die Leistungsdiagnostik und Beratung in Anspruch nahmen. Etwa ein Drittel wurde zugleich in der angeschlossenen internistischsportmedizinischen Praxis betreut. Vorbestehende oder aktuelle Erkrankungen können dadurch überrepräsentiert sein. Auch bei brieflicher Befragung wurde eine gute Antwortrate erzielt. Die Stichprobe ist dadurch heterogen, dass Leistungs- und Breitensportlern trotz deutlicher Unterschiede nach Geschlecht, Alter und Sportart, nachdem beide im WHO-5 identische Ergebnisse zeigten, zusammengefasst werden konnten. Dadurch konnten weitere statistische Vergleiche unabhängig von der Leistungsorientierung mit ausreichender Größe der Untergruppen realisiert werden.
Sensitivität und Spezifität des WHO-5 hängen vom gewählten Cut-off ab. Je niedriger man diesen ansetzt, um so spezifischer werden die Ergebnisse (2, 7): Die Zahl falsch positiver Fälle sinkt. Da die Sensitivität zurückgeht erfasst man jedoch weniger Verdachtsfälle. Gemessen am großzügigen Cut-off <13 wurden bei einem Viertel der Befragten im ersten Schritt Werte gefunden, die auf depressives Befinden hindeuten. 15% der Stichprobe zeigte Rohwerte <10. Dder WHO-5 für Depressionen aller Schweregrade erreicht mit 88% eine hohe Spezifität. Mit 12% werden weniger Fälle falsch positiv klassifiziert, es bleiben aber 27% falsch Negative (2). Diese Fälle wurden kurz charakterisiert. Setzt man den Cut-off auf <6, so wird für schwere depressive Erkrankungen eine Spezifität von 83% erreicht (7). Dieses Kriterium erfüllten 8(5%) der Befragten. Die Ergebnisse beim Cut-off von <10 deuten auf ein Vorkommen von Depressionen ähnlich wie in der übrigen Primärversorgung hin.
Bei unserer statistischen Gegenüberstellung mit weiten Einschlusskriterien fanden wir signifikante Unterschiede in drei Items:

  • Sportlich inaktive Phasen scheinen eher mit Depressivität einherzugehen: Die teils längeren Trainingspausen können Folge von Erkrankungen oder Verletzungen oder im Breitensport von nicht sportlichen Belastungen sein. Der Bewegungsmangel selbst kann subjektiv belasten.
  • Überhohe Trainingsumfänge könnten zumindest bei dazu disponierten Sportlern, möglicherweise auch bei jüngeren ehrgeizigen Athleten das Risiko eines ÜTS erhöhen, mit der Folge beeinträchtigten Wohlbefindens. Gegen die Erwartung zeigten die im Breitensport aktiven Älteren seltener kritische Rohwerte als die eher jüngeren leistungsorientierten Mannschaftssportler, die oft unter höherem subjektivem Erfolgsdruck standen.
  • Angaben über „Unspezifisches Stresserleben“ sind methodisch sehr vorsichtig zu bewerten. Das damit ausgedrückte negative Befinden überlagert sich inhaltlich eng mit den im WHO-5 verwandten Beschwerdebereichen und kann somit nicht als unabhängige Einflussgröße oder intervenierende Variable angesehen werden.

Bei höheren Fallzahlen hätten auch die laufende Behandlung und die Krankheiten ein signifikantes Niveau erreicht. Bei ärztlich behandelten Sportlern fanden sich niedrige Werte. Gegen die Erwartung wurde dieser Trend bei den Erkrankungen nicht gesehen. Hier könnte Training im Rahmen einer schon länger dauernden Therapie das Wohlbefinden stabilisiert haben.
Der Befund, dass die subjektive Lebensqualität bei Breitensportlern gleich häufig beeinträchtigt war wie bei Leistungssportlern, wäre damit erklärbar, dass Sportler aus beiden Gruppen oft beruflichen Doppelbelastungen unterliegen. Da gerade Breitensportler seltener sportmedizinisch beraten werden, sollte vermehrt auf die gesundheitlichen Risiken und auf mögliche unerkannte ÜTS geachtet werden (4). Dies gilt wegen altersspezifischer Probleme auch für die Untergruppe Älterer. Die Ergebnisse unterstreichen die präventivmedizinische Bedeutung des Themas.
Der WHO-5 ist primär für ein Screening „im Wartezimmer“ konzipiert, dem eine spezifischere Diagnostik folgt. Ein Wartezimmer-Screening mit dem WHO-5 soll auf mögliche unerkannte Fälle aufmerksam machen. Hinter niedrigen Werten kann sich eine ernste depressive Erkrankung verbergen. Eine Diagnosestellung allein anhand des Fragebogens ist nicht möglich. Dafür ist eine eingehende ärztliche Exploration und Untersuchung nötig. Bei sehr niedrigen Werten sollte eine fachpsychiatrische Diagnostik niederschwellig und aktiv angeboten werden. Etliche Patienten lassen sich dazu kaum motivieren. Auch wenn sie bereits manifest übertrainiert und depressiv sind, bleiben sie auf ihr Training fixiert. Nicht selten wird fremde Hilfe abgelehnt. Manche könnten die Behandlung leichter akzeptieren, wenn sie spezifisch über Krankheit und Therapie informiert werden. Individuell kann der WHO-5 die Verlaufsbeurteilung unterstützen: Veränderungen von 10% des Rohwertes sind (nach Multiplikation des Rohwertes mal vier gleich 100%) klinisch signifikant.
Depressive Beschwerden werden oft indirekt und unspezifisch ausgedrückt, etwa als „Stresserleben“. Dies kann ein Hinweis auf ein mögliches ÜTS sein. Man könnte parallel zu aktuellen Diskussionen über „Burnout“ von einem Risikobereich der Erschöpfung sprechen. Mehrfachbelastungen sind häufig (z.B. Training plus Berufssport oder Training plus Hauptberuf außerhalb des Sportes, Hinzutreten familiärer Stressoren). Depressionen sind nicht nur ein Problem einzelner Spitzenathleten. Der Blick auf psychische Erkrankungen, die im Kontext sportspezifischer Belastungen auftreten, sollte im Interesse von Prävention, Früherkennung, Behandlung und Rehabilitation erweitert werden.
Bedarf für weitere Forschung wird gesehen: Der WHO-5 sollte zusammen mit weiteren psychiatrischen und klinischen Instrumenten als Screeninginstrument bei Sportlern erprobt werden, um seine Tauglichkeit zur Früherkennung von ÜTS zu untersuchen und optimale Cut-offs festzulegen. Größere homogene Stichproben wären nützlich. Mit der nötigen methodischen Vorsicht kann durch die Kürze und Akzeptanz des Fragebogens dort ein Zugang zu epidemiologischen Daten eröffnet, an dem Untersuchungen mit aufwändigeren Instrumentarien erschwert sind, z.B. im Breitensport. Angesichts der hohen präventivmedizinischen Bedeutung erscheint der Nachholbedarf an Studien hier besonders hoch.

Danksagung
Datenerfassung und statistische Arbeiten wurden durch Dr. Ludwig Kühn aus Gehrden durchgeführt und durch das Bündnis gegen Depression in der Region Hannover unterstützt.

 

 

LITERATUR

  1. ACSM The Second Annual USOC/ACSM Human Performance Summit. Overtraining: The Challenge of Prevention. A Consensus Statement. ACMS Health & Fitness Journal 3 (1999) 5- 48.
  2. Allgeier AK, Liwowski I, Kramer D, Mergl R, Fejtkowa S, Hegerl U Der WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden als Screeninginstrument für Depression bei Altenheimbewohnern. Neuropsychiatrie 25 (2011) 208- 215.
  3. Bech P Measuring the dimensions of psychological general well-being by the WHO-5. QoL Newsletter 32 (2004) 15- 16. Materialien unter http://www.who-5.org. Zugriff 31.7.2012.
  4. Brechtel L, Lock J, Wolff R Übertraining, Überbelastung und Übertrainingssyndrom bei ambitionierten Freizeit-Marathonläufern – Eine epidemiologische Studie. Dtsch Z Sportmed 60 (2009) 224.
  5. Burton RW Mental Illness in Athletes, in: Begel D, Burton R W (Eds): Sport Psychiatry. Norton and Company, New York, 1999 61- 81.
  6. Henkel V, Mergl R, Kohnen R, Maier W, Möller HJ, Hegerl U Identifying depression in primary care: a comparison of different methods in a prospective cohort study. BMJ 326 (2003) 200- 201.
    doi:10.1136/bmj.326.7382.200
  7. Löwe B, Spitzer RL, Gräfe K, Kroenke K, Quenter A, Zipfel A, Buchholz C, Witte S, Herzog W Comparative validity of three screening questionnaires for DSM-IV depressive disorders and physicians’ diagnoses. J Affect Disord 78 (2004) 131- 140.
    doi:10.1016/S0165-0327(02)00237-9
  8. Markser V Sport psychiatry and psychotherapy. Mental strains and disorders in professional sports. Challenge and answer to societal changes. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci261(Suppl 2) (2011) 182- 185.
    doi:10.1007/s00406-011-0239-x
  9. O'Connor PJ Overtraining and Staleness, in: Morgan W P (Ed): Physical Activity and Mental Health. Taylor and Francis, Washington, 1997, 145- 160.
  10. Psychiatric Research Unit WHO Collaborating Center for Mental Health (Ed.), WHO-5 german (1998). http://www.cure4you.dk/354/WHO-5_German.pdf. Zugriff 17.4.2012.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Andreas Spengler
Privatpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie
Rotdornstr. 10
31515 Wunstorf
E-Mail: andreas.spengler@t-online.de