Effekte maschinengestützten Krafttrainings in der Behandlung chronischen Rückenschmerzes
Effects of Machine-Based Strength Training in the Therapy of Chronic Back Pain
ZUSAMMENFASSUNG
Problemstellung: In diesem Beitrag wird die Wirkung apparativen Krafttrainings bei Personen mit Rückenschmerzen im vorwiegend frühen Chronifizierungsstadium mit gering-moderaten Alltagsbeeinträchtigungen quantifiziert. Methoden: In einer multizentrischen, prospektiven, randomisierten Studie absolvierten 58 Personen über 6 Monate 6-mal monatlich ein halbstündiges maschinengestütztes Krafttraining. Die Warteliste-Kontrollgruppe beinhaltete 16 Personen. Zur Messung von Schmerz und Beeinträchtigung wurden initial, nach 3 und 6 Monaten die Schmerzskalen Pain Severity (PS), Effects of Pain (EP), eine numerische Ratingskala zur mittleren Schmerzintensität sowie der Oswestry Disability Index (ODI) eingesetzt. Effekte werden mittels Effektgrößen d und korrigierter Effektgrößen dkorr beschrieben. Ergebnisse: Die mittlere Schmerzstärke wies mit einer Reduktion von 38% in der Trainingsgruppe und 26% in der Kontrollgruppe nach 6 Monaten einen Nettoeffekt zugunsten des Krafttrainings von dkorr =-0,34 auf. PS ergab keinen Nettoeffekt. Die Beeinträchtigungsreduktion besteht nach 6 Monaten überwiegend in der Trainingsgruppe mit Nettoeffekten von dkorr =-0,46 (ODI) und 0,13 (EP). Diskussion: Das Krafttraining führte, gemessen an statistischen und klinischen Interpretationsrichtlinien, zu einer relevanten Schmerz- und Beeinträchtigungsreduktion. In der Kontrollgruppe wurden größtenteils nicht-signifikante mittlere Effekte festgestellt. Die konservativ ermittelten Nettoeffekte des Krafttrainings liegen im Erwartungsbereich metaanalytischer Angaben zu körperlichem Training bei chronischem Rückenschmerz. Das Krafttraining erwies sich damit als eine effiziente Möglichkeit zur Besserung des Beschwerdebildes.
Schlüsselwörter: Beeinträchtigung, Einsatztraining, Kräftigung, Lumbalextensoren, Nettoeffekt:
SUMMARY
Objective: The aim of this article is to quantify the effects of machine-based strength training on sufferers of back pain, predominantly in its early stage of chronification and with a minor to moderate effect on daily life. Methods: In a multi-centre, prospective, random study, 58 individuals completed a 30-minute session of strength training 6 times a month for 6 months. The waiting-list control group consisted of 16 individuals. In order to measure pain and its effects, participants were assessed at the start, after 3 months and after 6 months using the pain scales Pain Severity (PS), Effects of Pain (EP), a numeric rating scale for average pain intensity and the Oswestry Disability Index (ODI). Effects were described by the effect-size d and corrected effect-size dcorr. Results: After 6 months, mean pain intensity had declined by 38% in the training group and by 26% in the control group, i.e. a net benefit from strength training of dcorr=-0.34. PS showed no net effect. After 6 months, the reduction in the effects of the pain was mainly evident in the training group with a net effect of dcorr=-0.46 (ODI) and 0.13 (EP) Discussion: Based on the statistical and clinical guidelines for interpretation, strength training produced a relevant reduction in both pain and the effects of pain. The control group showed predominantly non-significant moderate effects. The net effects of strength training, which were calculated on a conservative basis, were in the expected range for meta-analytical data on physical training for chronic back pain. Strength training was shown, therefore, to be an effective way of reducing symptoms.
Key Words: Disability, single-set training, strengthening, lumbar extensors, net effect.
EINLEITUNG
PROBLEM- UND ZIELSTELLUNG
In diesem Beitrag soll die Wirkung eines selbstständigen 6-monatigen apparativen Krafttrainings bei Personen mit Rückenschmerz im frühen Chronifizierungsstadium im Vergleich zu einer Warteliste-Kontrollgruppe untersucht werden. Vermutet wird, dass die Intervention zu einer Reduktion des Schmerz- und Beeinträchtigungserlebens führt.
Schmerzepisoden im frühen Chronifizierungsstadium mit mildem bis moderatem Schmerzniveau klingen auch unbehandelt wieder ab. Es finden sich Angaben von bis zu 20% innerhalb von 6 Monaten (12). Um diesem Umstand in der Bewertung einer Intervention Rechnung zu tragen, wird der Nettoeffekt (als Differenz von Interventionseffekt und Veränderungen in der Kontrollgruppe) berechnet.Allgemein akzeptiert ist das biopsychosoziale Erklärungsmodell für Rückenschmerz, in dem nicht nur biologische Ursachen als mögliche Auslöser oder Risikofaktoren gelten, sondern auch psychologische und soziale Einflussbedingungen. Pfingsten konstatiert: „In den meisten Fällen sind anhaltende Rückenschmerzen zwar auf einen ursprünglich vorhandenen körperlichen Prozess (wie z.B. muskuläre Funktionsstörung) zurückzuführen, jedoch verlieren diese körperlichen Ursachen schnell ihre Bedeutung und werden abgelöst durch psychologische Faktoren, bei denen kognitive Überzeugungen und ein daraus resultierendes Verhalten der Betroffenen im Vordergrund stehen“ (14). Auf lange Sicht führen z. B. Ängste vor körperlicher Belastung und körperliche Inaktivität zu einer muskulären Dekonditionierung. Nach Analyse der Hauptfunktionsmuskeln von Rumpf und Halswirbelsäule stellte Denner Kraft- und Leistungsfähigkeitsdefizite bei Rückenschmerzpatienten fest (2). Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit, Reduktion des Beeinträchtigungserlebens und bewegungsbezogener Angst, Schmerzkontrolle und Überwindung körperlicher Inaktivität sind heute Ziele in der Behandlung chronischer Rückenschmerzpatienten.
Körperliches Training bietet das Potenzial, diese Behandlungsziele zu erreichen. Die meisten randomisierten kontrollierten Studien dazu wurden mit chronischen Lumbalschmerzpatienten durchgeführt. Reviews zeigen eine mindestens gleiche Effektivität für körperliches Training wie für konservative Behandlungen (9). Studien, die eine Überlegenheit der Resultate zeigten, enthielten meist Übungen zur Muskelkräftigung und Rumpfstabilisierung (9).
MATERIAL UND METHODEN
Die verwendeten Daten wurden im Rahmen einer multizentrischen Studie generiert, die von April bis Oktober 2009 mit Freiwilligen unterschiedlichen Gesundheitszustandes in den Krafttrainingseinrichtungen eines internationalen Anbieters für Krafttraining stattfand.
Untersuchungsdesign und -ablauf
Die Probanden wurden über Medien aus der volljährigen deutschen Bevölkerung geworben. Der Interventionszeitraum betrug 6 Monate. Jeder Teilnehmer wurde schriftlich über Ziele und Ablauf der Studie informiert und gab sein schriftliches Einverständnis zur Teilnahme. Die Studie fand multizentrisch statt, um größere Repräsentativität zu erzielen. Abb. 1 zeigt den Ablauf von der Auslosung der Teilnahmeplätze bis hin zur Stichprobenziehung der hier vorgestellten Teilstudie „Chronischer Rückenschmerz“.
Einschlusskriterien:
- Rückenschmerz seit mehr als 12 Wochen oder mindestenszwei rezidivierende Schmerzschübe pro Jahr seit mindestens 2 Jahren
- Chronifizierungsgrad 1 oder 2 (7) Befähigung zum selbstständigen Krafttraining nach Einschätzung des Arztes
Ausschlusskriterien:
- bekannte Osteoporose
- instabile Herz-Kreislauf-Erkrankungen, akute Verletzungenund Entzündungen am Bewegungsapparat, motorische Ausfälle, postoperative Zustände
- Aktueller/ehemaliger Kundenstatus beim Anbieter
Datenerhebungen erfolgten zu Interventionsbeginn, nach 3 und 6 Monaten. Die Standardisierung der Trainings- und Erhebungsmethoden wurde durch eine einheitliche Aus- und Weiterbildung aller beteiligten Trainer und Ärzte gewährleistet. In allen Einrichtungen befinden sich identische Trainingsgeräte; Trainingsprogramme und Belastungsnormative werden nach verbindlichen Regeln erstellt.
Probanden
Die Stichprobenbeschreibung und Merkmalsausprägung zum Startzeitpunkt der Intervention liefert Tab. 1 (keine signifikanten Unterschiede). Bei den Teilnehmern handelt es sich überwiegend um Personen mit Rückenschmerz im Chronifizierungsstadium 1 mit moderatem Schmerzniveau. Diagnosen wurden im Rahmen der Studie nicht übermittelt, bekannt sind die in Tab. 1 genannten Symptomatiken. Nahezu alle Teilnehmer berichten über Schmerzen in der Lendenwirbelsäule innerhalb des letzten Monats. Ausstrahlungen und Sensibilitätsstörungen treten eher selten auf. Die körperliche Dekonditionierung ist, gemessen an der Lumbalextensionskraft im Vergleich zu rückengesunden Personen, noch nicht weit fortgeschritten. Beeinträchtigungserleben und Funktionseinschränkungen sind gering bis moderat.
Intervention
Die Trainingsgruppe absolvierte ein progressives hypertrophieorientiertes Krafttraining an Trainingsmaschinen mit variablem Widerstand. Das Ziel war eine Funktions- und Strukturverbesserung der Muskulatur, insbesondere des Rumpfes. Das Training der Lumbalextension mit stabilisiertem Becken (Abb. 2) war Bestandteil des Trainingsprogramms. In den ersten drei Trainingseinheiten erfolgte eine Einweisung durch qualifiziertes Personal; im 10. und jedem 20. Training individuelle Trainingskontrollen und ggf. -anpassungen. Das Trainingsprogramm umfasste alle großen Muskelgruppen des Körpers. Tab. 2 zeigt die Belastungsnormative des durchgeführten Krafttrainings.
Die Kontrollgruppe erhielt während des Interventionszeitraumes keine Trainingsmaßnahme, hatte anschließend aber die Möglichkeit, über 6 Monate kostenfrei zu trainieren (WartelisteKontrollgruppe).
Messverfahren
Es wurden zwei Schmerzskalen aus der Medical Outcomes Study (MOS) sowie der Oswestry Disability Index (ODI) in Bezug auf die letzten 4 Wochen als schriftliche Befragung eingesetzt (10, 3). Zudem wurde eine Maximalkraftmessung der Lumbal extensoren durchgeführt.
Intensität des Rückenschmerzes
Die Fragen der MOS-Skala „Pain Severity“ (PS) beinhalten Schmerzhäufigkeit, Schmerzdauer, durchschnittliche und größte Schmerzstärke. PS wird in einem Wert von 0- 100 ausgedrückt; je höher der Wert, desto geringer die Schmerzintensität.
Das Item zur durchschnittlichen Schmerzstärke wird zur Vergleichbarkeit mit anderen Studien einzeln analysiert und vom MOSWertebereich 0- 20 auf den Wertebereich 0- 100 transformiert.
Beeinträchtigung durch Rückenschmerz
Die MOS-Skala „Effects of Pain“ (EP) drückt aus, wie stark die Schmerzen bestimmte Lebensbereiche des Befragten beeinflussen (Stimmung, Gehfähigkeit, Schlaf, Freizeit, Lebensfreude). EP wird mit einem Wert von 0- 100 dargestellt, höhere Werte repräsentieren eine geringere Beeinträchtigung.
Der ODI erfragt das Schmerzausmaß und die Beeinträchtigung bei persönlicher Versorgung, Heben/Tragen, Gehen, Sitzen, Stehen, Schlafen, Sexualität, gesellschaftlichen Aktivitäten und Reisen. Je höher sein Wert (0- 100), desto stärker die Beeinträchtigung.
Lumbale Extensionskraft
Die lumbale Extensionskraft wurde als isometrische Maximalkraft am Testgerät MedX Lumbar Extension in maximal sieben Winkelpositionen getestet. Eine spezielle Beckenfixierung isoliert die Lumbalextensoren funktionell, so dass unter Ausschluss anderer Rumpfextensoren Kraft auf die Rückenlehne der Testmaschine ausgeübt wird. Die Kraftmessung erfolgt unter Ausgleich der Oberkörpermasse. Die Reliabilität des Messverfahrens liegt zwischen r =0,81 und 0,98 (8).
Statistische Verfahren
Die Datenauswertung erfolgte mittels SPSS Statistics 17.0. Da einige Variablen nicht normalverteilt sind (Shapiro-Wilk-Test), wurden Veränderungshypothesen in verbundenen Stichproben mittels Wilcoxon-Vorzeichenrangtest und in nichtverbundenen Stichproben mittels U-Test von Mann-Whitney geprüft. Zur Überprüfung der statistischen Bedeutsamkeit wird das Signifikanzniveau auf α=5% festgelegt. Mit der Stichprobengröße sind Effekte für die Trainingsgruppe ab d > 0,37 und für die Kontrollgruppe ab dkorr> 0,75nachweisbar (Testpower =0,8). Zur Beurteilung der praktischen Bedeutsamkeit von Unterschieden wurden Effektstärken d und korrigierte Effektstärken dkorr (11) ermittelt; letztere berücksichtigen Gruppenunterschiede im Vortest sowie die Stichprobengröße.
ERGEBNISSE
Der Trainingszeitraum betrug durchschnittlich 24,5 (±2,0) Wochen. Es wurde 1,6-mal (±0,4) pro Woche trainiert (min: 0,7; max:2,4). Am Ende der Intervention waren 20 Personen der Trainingsgruppe schmerzfrei, davon hatten vorher 9 mäßige/starke Schmerzen und 11 leichte/sehr leichte Schmerzen. In der Kontrollgruppe wurden 6 Personen schmerzfrei, von denen zuvor jeweils 3 über sehr leichte bzw. mäßige Schmerzen berichteten. Keine dieser jetzt schmerzfreien Personen unterzog sich in der Interventionszeit einer medizinischen Behandlungsmaßnahme. Tab. 3 zeigt eine Ergebnisübersicht der beiden Folgemessungen. Die statistischen Tests und Effektgrößen beziehen sich auf den Startzeitpunkt. Abb. 3 zeigt die prozentuale Veränderung der Merkmale.
Intensität des Rückenschmerzes
Für Schmerzmessungen bei Gruppen mit gering-moderatem Eingangsschmerz gilt eine Veränderung von 30% als klinisch relevant (4). Dieses Kriterium erreicht die Trainingsgruppe in beiden Intensitätsmerkmalen nach 3 Monaten; die Kontrollgruppe in der Skala PS nach 6 Monaten. Die korrigierten Effektstärken für PS nach 3 und 6 Monaten betragen dkorr=0,3 und 0,08. In beiden Gruppen besserte sich PS nach 6 Monaten vergleichbar, jedoch ging es der Trainingsgruppe schon früher wieder besser.
Als einzelnes Merkmal betrachtet, sank die mittlere Schmerzstärke der letzten 4 Wochen in der Trainingsgruppe innerhalb der 6 Monate um 11,2 (±16,55; d=- 0,55) Punkte und in der Kontrollgruppe um 6,87 (±17,4; d=- 0,33) Punkte. Dies ent-sprichteiner relativen Reduktion des Anfangsschmerzes um 38,2% bzw. 25,6%. Als klinisch bedeutsam ist somit nur Senkung der durchschnittlichen Schmerzstärke in der Trainingsgruppe zu bewerten. Der Nettoeffekt für das Krafttraining beträgt nach 3 Monaten dkorr=- 0,42 und nach 6 Monaten dkorr=- 0,34 (entspricht 4,33 Punkten). Dieser festgestellte Effekt liegt im Erwartungsbereich metaanalytisch ermittelter Nettoeffekte von 6-monatigem Körpertraining gegenüber keiner Intervention bei chronischem Rückenschmerz (Konfidenzintervall dort: 1,31- 19,09) (9).
Beeinträchtigung durch Rückenschmerz
Eine Empfehlung zur Interpretation von Lebensqualitätsmessungen, unter die EP und im weiteren Sinne auch ODI fallen, bezieht sich auf die Beurteilung der Effektgröße. Eine Verschiebung des Mittelwertes um eine halbe Standardabweichung (d=0,5) wird bei den meisten Messinstrumenten als klinisch relevant beurteilt (13). Dies erreichen beide Gruppen in beiden Merkmalen nach 3 Monaten, allerdings fehlt für EP in der Kontrollgruppe der Signifikanznachweis. Nach 6 Monaten zeigen sich in beiden Merkmalen weitere Verbesserungen in der Trainingsgruppe, jedoch nicht in der Kontrollgruppe. Die mittlere individuelle Verbesserung von EP lag für die Trainingsgruppe bei 13,99±27,93Punkten (31,8%) und für die Kontrollgruppe bei 11,46±25,25 Punkten (19,3%). Die korrigierte Effektstärke beträgt für 3 und 6 Monate dkorr=0,13.
Nach 6 Monaten reduzierte sich ODI in der Trainingsgruppe um 6,45±10,48 Punkte (58,5%), in der Kontrollgruppe um 2,07±8,67 Punkte (36,2%). Die korrigierte Effektstärke zum Zeitpunkt 6 Monate beträgt dkorr=- 0,46 (entspricht 4,38 Punkten). Dies liegt ebenfalls im Erwartungsbereich metaanalytisch ermittelter Nettoeffekte (Konfidenzintervall: - 0,53- 6,48 Punkte) (9).
Lumbale Extensionskraft
In der Kontrollgruppe ergaben sich keine Veränderungen. In der Trainingsgruppe nahm die Maximalkraft in den Extensionswinkeln 12°, 24°, 36°, 58°, 60° und 72° signifikant zu. Die Test-Retest-Differenzen betragen für diese Testpositionen: 25,76 Nm, 28,74 Nm, 24,94 Nm, 23,58 Nm, 29,53 Nm und 34,91 Nm. Diese Werte entsprechen Kraftzuwächsen um 42,8%, 24,2%, 18,8%, 20,2%, 15,2% und 19,7%. Ähnliche Werte werden von Rückenschmerzpatienten sonst durch zwei- bis dreimonatiges Training an speziellen Therapiemaschinen erreicht, wobei dort die Kraftgewinne bei 0° und 12° größer sind (15). Im selbstständigen Training konnte bei verdoppeltem Zeiteinsatz annähernd ein Kräftigungsergebnis wie an der speziellen Therapiemaschine erzielt werden. DIsKussION
DISKUSSION
Bei der vorliegenden Stichprobe handelt es sich um freiwillige, zur Teilnahme motivierte Personen. Dass sich die Teilnehmer für ein Krafttraining bewarben, spricht für ein Mindestmaß an Bewegungs- und Sportaffinität. Dies ist bei der Bewertung der Effekte in beiden Gruppen zu beachten. Bei Rückenschmerzpatienten, denen ein Training verordnet wird, ist die intrinsische Motivation zur Teilnahme geringer und mit einem höheren Abbruchrisiko verbunden.
Eine genauere Beschreibung von Diagnosen, allfälligen Arbeitsunfähigkeitstagen und der Schmerzhistorie wäre wünschenswert gewesen.
Das Krafttraining führte, gemessen an statistischen und klinischen Interpretationsrichtlinien, zu einer relevanten Schmerz- und Beeinträchtigungsreduktion. Die Gründe dafür sind multifaktoriell (6): Durch die Wechseldruckbelastung im Krafttraining wird der lokale Stoffwechsel aktiviert und normalisiert; die Empfindlichkeit des nozizeptiven Systems wird sowohl peripher als auch spinal und zentral herabgesetzt und somit die Schmerzwahrnehmung verändert. Strukturelle Muskelathrophien werden beseitigt, Gelenkpartner (Wirbel, Facettengelenke) durch eine verbesserte intra- und intermuskuläre Koordination stabilisiert und dadurch geringeren schmerzverursachenden Scherkräften ausgesetzt. Auch kognitiv-evaluative Parameter gehen in die aktuelle Bewertung des Schmerzempfindens ein, aus experimenteller Sicht ist hier besonders die Erwartungshaltung der Probanden nach einer Intervention zu nennen.
In der Kontrollgruppe wurden größtenteils nicht-signifikante mittlere Effekte festgestellt. Man kann behaupten, dass eine größere Kontrollgruppe hier zu signifikanten Ergebnissen geführt hätte. Jedoch spricht die Analyse der Konfidenzintervallbreiten dieser Merkmale eine andere Sprache: sie weiten sich in der Kontrollgruppe als Ausdruck heterogener Merkmalsveränderungen auf.
Aufgrund der geringen Kontrollgruppengröße wurden die Nettoeffekte des Krafttrainings konservativ ermittelt; das heißt es erfolgte auch dann eine Wertekorrektur anhand der Kontrollgruppeneffekte, wenn Veränderungen der Kontrollgruppe nicht signifikant waren. Die Nettoeffekte liegen innerhalb der zu erwartenden Bereiche. Besonders auf einen längeren Zeithorizont gesehen, vermuten die Autoren eine Zunahme der Nettoeffekte durch Krafttraining.
FAZIT
Ein selbstständiges Ganzkörperkrafttraining mit einer Trainingsfrequenz von 6-mal im Monat eignet sich für Personen mit chronischem Rückenschmerz im Anfangsstadium, um das Schmerzniveau zu senken, das Beeinträchtigungserleben zu reduzieren, körperliche Inaktivität zu überwinden und Kraft aufzubauen. Der Kraftgewinn ist nicht nur als Ergebnis einer besseren Muskelfunktion zu interpretieren, sondern ist „ebenfalls eine Funktion der subjektiven Erwartungen sensorischer Konsequenzen“ (5). Eine Überwindung psychischer Hemmschwellen (Angst, Schmerz) durch Krafttraining ist bekannt (14). Alle diese vorab genannten Sachverhalte sind entscheidende Ziele aktueller Rehabilitationsprogramme. Der Besserung des Beschwerdebildes kann ein deutlicher Beitrag zum Abbau der Chronifizierung und zur Vermeidung von Rezidiven unterstellt werden. Im Falle von Rezidivepisoden wird aufgrund der verbesserten strukturellen und funktionellen Muskelqualität eine schnellere Funktionswiederherstellung erwartet.
Die Zeit, die unmittelbar für das Training aufgewendet wurde, betrug nur 3 Stunden pro Monat; auf das halbe Interventionsjahr gesehen also 18 Stunden. Das selbstständige maschinengestützte Training wurde gut angenommen, die Drop Out-Quote von 27%liegt unter dem entsprechenden Wert für deutsche Fitnessketten (35,3%) (1). Für Heimtrainingsprogramme sind weitaus höhere Drop Out-Raten und eine unzureichende Umsetzung der Trainingsinhalte zu vermuten (16).
Frau Stephan und Herr Goebel sind Mitarbeiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Kieser Training AG. Herr Prof. Dr. Schmidtbleicher erhält ein Vertragshonorar von der Firma Kieser Training AG.
LITERATUR
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- Die Trainierbarkeit der Rumpf-, Nacken- und Halsmuskulatur von dekonditionierten Rückenschmerzpatienten. Manuelle Medizin 39 (1999) 34 - 39.
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- Clinical importance of changes in chronic pain intensity measured on an 11-point numerical pain rating scale. Pain 88 (2000) 287 - 294.
- Gedanken eines Wissenschaftlers zum Rückenschmerz. Sportorthopädie – Sporttraumatologie 20 (2004) 5 - 11.
- Schmerz und Krafttraining. In: Kieser W (Hrsg.): Krafttraining in Prävention und Therapie. Huber, Bern, 2006, 71 - 85.
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- Interpretation of changes in health-related quality of life: the remarkable universality of half a standard deviation. Med Care 41 (2003) 582 - 592.
- Multimodal – Was ist das überhaupt? Manuelle Medizin 43 (2005) 80 - 84.
- Lumbar strengthening in chronic low back pain patients. Spine 18 (1993) 232 - 238.
- Neglected topics in the treatment of chronic pain patients: relapse, noncompliance and adherence enhancement. Pain 44 (1991) 5 - 28.
Anika Stephan
Kieser Training AG
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