Befragungsdaten und Akzelerometermessung im Vergleich - ein Beitrag zur Validierung des MoMo-Aktivitätsfragebogens
Comparing Self-Report and Accelerometry Data. A Contribution to the Validation of the MoMo-Physical Activity Questionnaire for Children and Adolescents
ZUSAMMENFASSUNG
Den Ergebnissen des 2009 veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) für Deutschland zufolge, erreichen lediglich zwischen 5% und 8% der 15- bis 17-jährigen Jugendlichen die aktuellen Verhaltensempfehlungen zur gesundheitsförderlichen körperlichen Aktivität. Dieses Ergebnis basiert (neben anderen im Bericht) auf Daten, die mit dem 25 Items umfassenden Motorik-Modul Aktivitätsfragebogen für Kinder und Jugendliche (MoMo-AFB) gemessen wurden. Die vorliegende Untersuchung dient dem Vergleich zweier Messmethoden und stellt einen Beitrag zur Validierung des MoMo-AFB dar. Hierzu wurde die sportliche und körperliche Alltagsaktivität von 73 Schülerinnen und Schülern (32 Jungen und 41 Mädchen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren) über sieben Tage hinweg mit an der Hüfte getragenen Beschleunigungssensoren (Akzelerometer ActiGraph GT1M) gemessen. Zusätzlich wurde die Aktivität zurückblickend, am Ende dieser sieben Tage, mittels MoMo-AFB Selbstbericht erhoben. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Messungen mit dem MoMo-AFB durchschnittlich höhere Werte für die sportliche und die Alltagsaktivität von Jugendlichen liefern, als wenn diese mit Hilfe von Akzelerometern objektiv gemessen wird. Statistisch signifikante Zusammenhänge zur Akzelerometermessung bestehen dabei ausschließlich für die MoMo-AFB Subskala MVPA (moderate-to-vigorous physical activity), die anhand zweier Einzelitems das Erreichen oder Verfehlen der allgemeinen Public Health Empfehlung zum Mindestmaß an körperlicher Aktivität abbildet. Die Zusammenhänge zwischen Akzelerometerdaten und allen anderen MoMo-AFB Subskalen (bspw. zur Schul- und Freizeitsportaktivität), erwiesen sich in unserer Untersuchung als statistisch nicht signifikant. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erscheinen weiterführende Untersuchungen, vor allem zur Messgenauigkeit und Validität des MoMo-AFB aber auch zum (In-)Aktivitätsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, dringend notwendig.
Schlüsselwörter: Körperliche Aktivität, Messmethode, Aktivitätsfragebögen, Akzelerometrie, Jugendliche.
SUMMARY
According to the results of the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS) published in 2009, only 5% to 8% of the 15- 17-year-old adolescents reach the current recommendations on health-enhancing physical activity. This result (besides others in the survey) rests on data measured with the 25-item physical activity questionnaire for children and adolescents (MoMo-AFB). The present study compares two different methods of assessing physical activity with the purpose of testing the validity of the MoMo-AFB self-report. First, we measured the physical activity status of 73 15 to 18-year-old pupils (32 boys and 41 girls) over seven days via objective accelerometry (ActiGraph GT1M), then the pupils completed the MoMo-AFB for the same (previous) period. Results show that using the MoMo-AFB leads to higher levels of self-reported physical activity than measuring it with accelerometers. Furthermore, only the MoMo-AFB subscale MVPA (moderate-to-vigorous physical activity), that uses two single items to decide whether the health-enhancing physical activity recommendation is reached or failed, corresponds statistically significantly with the accelerometry data. For all other subscales (e.g. school- or leisure time activity), we found no agreement. Further research, first of all on the measurement quality of the MoMo-AFB but also on the physical (in)activity status of children and adolescents, is needed.
Key Words: Physical activity, means of measurement, physical activity questionnaires, accelerometry, adolescents.
EINLEITUNG
Körperliche Inaktivität zählt zu den wesentlichen Gesundheitsrisiken unserer Zeit (32). Zahlreiche Studien belegen, dass ein Mindestmaß an regelmäßiger körperlicher Aktivität zur Gesundheit beiträgt und sich lebensverlängernd auswirkt (3, 14, 16, 22, 23, 30). Auf Basis aktueller epidemiologischer Befunde zu Dosis-WirkungsBeziehungen, wird Erwachsenen derzeit empfohlen, man solle an mindestens fünf Tagen der Woche für mindestens 30 Minuten so körperlich aktiv sein, dass sich Puls und Atmung beschleunigen und man dabei ins Schwitzen gerät (14). Für Kinder und Jugendliche lautet die Empfehlung, an mindestens fünf Tagen der Woche für mindestens 60 Minuten so körperlich aktiv zu sein, dass das Herz schneller schlägt und man außer Atem gerät (8).
Festzustellen wie vielen Menschen es tatsächlich gelingt diese Empfehlungen zu erreichen bzw. wie deren wirkliches alltägliches Aktivitätsmaß aussieht, ist aus sportmedizinischer genauso wie aus allgemein gesundheitswissenschaftlicher Perspektive zum Beispiel dann von Bedeutung, wenn es um die Abschätzung von Handlungsbedarfen geht. Körperliche Aktivität lässt sich dabei auf verschiedene Weise messen ( für einen Überblick: 4, 31). Zu den Verfahren der ersten Kategorie zählen die indirekte Kalorimetrie und die doubly labelled water-Methode. Einige andere objektive Messverfahren, zum Beispiel die Herzfrequenzmessung, die Akzelerometrie (Messung von Körperbeschleunigungen) oder die Aktivitätsmessung mittels Schrittzählern (Pedometer) gehören zur zweiten Kategorie. Subjektive Verfahren, wie z.B. Selbstreportfra-gebögen oder verschiedene Interviewverfahren bilden die dritte Kategorie. Ein methodischer Goldstandard zur Erfassung der kör-perlichen Aktivität hat sich auf Grund jeweiliger methodischer Vor- und Nachteile der Verfahren bislang nicht herauskristallisiert (4, 24, 31). Oft beeinflussen forschungsökonomische Aspekte die Wahl der „passenden“ Methode. Zum Beispiel dominieren in epidemiologischen Untersuchungen (auch in denen, die den eingangs wiedergegebenen Aktivitäts-Empfehlungen zu Grunde gelegt sind), oft weil sehr große Stichproben erhoben werden müssen, Verfahren der dritten Kategorie (standardisierte Fragebögen). Sorgfältige Überprüfungen der Messeigenschaften dieser Verfahren sind aus diesem Grund außerordentlich wichtig. Denn vor allem psychologische Störvariablen, wie etwa die Tendenz so zu antworten wie man glaubt, dass Andere das erwarten (soziale Erwünschtheit), Erinnerungsprobleme oder auch Missinterpretationen bzgl. des zu erfassenden Aktivitätskriteriums können die Messqualität von standardisierten Fragebögen entscheidend verschlechtern (2).
Zur Validierung von Fragebogenverfahren ist es notwendig, die per Fragebogen ermittelten Selbstauskünfte der Personen mit Messwerten zu vergleichen, die bei denselben Personen zeitgleich mit Verfahren der ersten oder zweiten Kategorie gewonnen wurden (4). Während zumindest für manche Aktivitätsfragebögen, die zur Befragung Erwachsener eingesetzt werden (z.B. IPAQ; International Physical Activity Questionnaire, 10), akzeptable Messeigenschaften festgestellt wurden (10), fehlt es für die Messung der körperlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen sowohl an speziellen Fragebögen als auch an methodisch angemessenen Validierungsstudien (4).
Im Jahr 2009 wurde der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey für Deutschland veröffentlicht (KiGGS, 7). Es zeigt sich unter anderem, dass lediglich zwischen 5% und 8% der 15- bis 17-jährigen Jugendlichen die aktuellen Verhaltensempfehlungen zur gesundheitsförderlichen körperlichen Aktivität erreichen. Diese Aktivitätsdaten beruhen auf Messungen, die mit dem MotorikModul Aktivitätsfragebogen für Kinder und Jugendliche (MoMoAFB, siehe unten; 6, 7) durchgeführt wurden. Einige Messeigenschaften (Reliabilität und Validität) des Fragebogens wurden von den KiGGS-Autoren schon einmal überprüft.
Die Retest-Reliabilität des Fragebogens (mit der sich die Frage beantworten lässt, ob ein Test bei wiederholter Darbietung vergleichbare Ergebnisse liefert) wurde anhand der Daten von 39 Kindern der 6. Klasse (im Durchschnittsalter von 11,2 Jahren, bei einer mittleren Abweichung (SD) von 0,4 Jahre) und 25 Kindern der 11. Klasse (MAlter=16,6 Jahre, SD=0,5 Jahre) ermittelt. Alle Kinder besuchten zum Zeitpunkt der Untersuchung das Gymnasium. Diese Studie lieferte mit einer Test-Retest-Korrelation von r =0,83 ein gutes Ergebnis (7).
Mit weiteren 19 Siebtklässlern (ebenfalls Gymnasiasten, MAlter=12,8 Jahre, SD=0,4) wurde eine Validierungsstudie anhand von Akzelerometerdaten (SenseWear Pro2, am Oberarm getragen) durchgeführt. Dazu füllten die Kinder zuerst den MoMo-AFB aus, um dann anschließend für eine Woche den Beschleunigungsmesser zu tragen. Die Übereinstimung der beiden Messungen wurde mittels Produkt-Moment-Korrelationen für zwei Subindizes (Vereinssport und Freizeitsport; beide wurden mit Angaben aus einem Bewegungstagebuch abgeglichen) ermittelt. Für die beiden Bereiche ergaben sich zufriedenstellende Korrelationen von r =0,56 bzw. r =0,66 (7).
Diese Untersuchung unterliegt der methodischen Schwäche, dass sich die Fragebogen- und Aktivitätsmessungen auf unterschiedliche Zeiträume beziehen. Aussagen zur Messqualität des MoMo-AFB sind dadurch nur bedingt möglich. Angesichts der Bedeutung, die den mit dem MoMo-AFB gemessenen KiGGSDaten zweifellos zukommt, sind genauere Informationen zu den Messeigenschaften des Aktivitätsfragebogens dringend erforderlich. Die im folgenden dargestellte Validierungsstudie liefert solche Informationen. Sie vergleicht Messergebnisse, die einmal mit Hilfe des MoMo-AFB und gleichzeitig mit Hilfe von Akzelerometern erhoben wurden.
MATERIAL UND METHODE
Stichprobe
An der Untersuchung nahmen 100 Jugendliche (52 Mädchen und 48 Jungen) im Alter von 15 bis 18 Jahren (MAlter=15,6; SD=0,6) teil, die an sieben aufeinanderfolgenden Tagen, jeweils ganztags einen Akzelerometer trugen (siehe unten). Auf Grund von Ausfällen (Gerät wurde nicht getragen; Gerät liefert statistisch identifizierbare Fehlmessungen, z.B. Tageslängen von mehr als 24 Stunden) flossen die Werte von 73 Probanden, darunter 32 Jungen und 41 Mädchen, in die Datenanalyse ein. Rekrutiert wurden Schülerinnen und Schüler an einer Oberschule (n=23) und einem Gymnasium (n=50) in Potsdam (Land Brandenburg). Die Auswahl der beiden Schularten folgte keinem rationalen Auswahlkriterium, weil lediglich die Übereinstimmung zweier Messverfahren geprüft werden sollte und nicht etwa die Beschreibung des Aktivitätsausmaßes von Kindern und Jugendlichen in Deutschland Ziel der Untersuchung war. Eine Einverständniserklärung der Eltern wurde vor Beginn der Untersuchung eingeholt. Die Untersuchung erfuhr uneingeschränkte Unterstützung durch die Schulleitungen sowie die beteiligten (insbesondere Sport-) Lehrerinnen und Lehrer. Alle Jugendlichen nahmen freiwillig und ohne Vergütung teil.
Material und Apparatur
Umfang und Intensität der körperlichen Aktivität wurde mittels Akzelerometer (ActiGraph, Modell GT1M) gemessen. Der ActiGraph wiegt 27g und hat die Maße 38x37x18mm. Er misst Beschleunigungen der vertikalen Achse. Körperliche Aktivität wird in Einheiten (sog. „counts“) beschrieben. Eine Einheit entspricht 16,6 mmG/sec. Der ActiGraph ist das in der internationalen Fachliteratur am intensivsten untersuchte Gerät zur akzelero metrischen Messung von körperlicher Aktivität und liefert nach-gewiesen valide und reliable Messdaten (12, 18, 20, 26, 28, 29). Das Gerät wird mit einem elastischen Gürtel seitlich an der Hüfte getragen. Für die Speicherung der Aktivitätseinheiten wurde in der vorliegenden Untersuchung eine Epochenlänge von 30 Sekunden gewählt.
Dem MoMo-AFB (6, 7) liegt ein breit gefasstes Verständnis von körperlicher Aktivität zugrunde. Er ist in einer Begleitpublikation zum KiGGS (inklusive der Angabe wesentlicher Referenzen) vollständig abgedruckt (6). Der Fragebogen umfasst insgesamt 25 Items, mit denen Angaben zur allgemeinen körperlichen Aktivität in einer normalen Woche und zur gerade zurückliegenden Woche gemacht werden sollen. Die Gesamtaktivität wird einmal mit Hilfe von 23 Items bestimmt, die einen Index für körperliche Alltagsaktivität (4 Items) und einen Index für sportliche Aktivität (19 Items) liefern. Der Index für sportliche Aktivität wird aus Sub-Indizes für Schulsportaktivität (6 Items), nicht-vereinsgebundenem Sport (6 Items) und vereinsgebundenem Sport (7 Items) gebildet. Die Maße für die körperliche Aktivität werden für jeden Index bzw. Sub-Index anders quantifiziert. Für den Sub-Index Schulsportaktivität wird nach der Anzahl der Sportstunden und die mit dieser verbundenen subjektiven körperlichen Anstrengung gefragt. Die Abfrage der Sub-Indizes vereinsgebundene und nicht-vereinsgebundene sportliche Aktivität erfolgt durch Erfragen der jeweiligen Häufigkeit, der Zeitdauer und der subjektiven Anstrengung. Der Index zur Ermittlung der körperlichen Alltagsaktivität fragt beispielsweise nach Weg-strecken die zu Fuß zurück gelegt wurden oder auch nach der Mithilfe bei der Gartenarbeit im Haushalt oder in der Landwirtschaft. Außerdem wird mit 2 separaten Items der so genannte MVPA-Index (moderate-to-vigorous-physical activity) als globale Abfrage der körperlichen Aktivität erfasst. Dieser Index ist an die aktuell geltende Aktivitätsempfehlung für Jugendliche angelehnt (8). Gefragt wird wie oft die Jugendlichen in den letzten 7 Tagen (und wie oft sie in einer normalen Woche) für mindestens 60 Minuten am Tag moderat bis intensiv körperlich aktiv sind.
Untersuchungsverlauf
Die Datenerhebung wurde im November 2008 durchgeführt und startete mit einer ausführlichen Einweisung zum Gebrauch des ActiGraphen sowie einer schriftlichen Abfrage einiger persönlicher Angaben (u.a. Alter, Geschlecht, Angaben zur Schule). Anschließend wurde jedem Probanden ein Akzelerometer ausgehändigt, mit der Bitte, diesen täglich über eine Woche hinweg (Mittwoch bis Mittwoch) zu tragen. Die Jugendlichen erhielten unter anderem die Instruktion das Gerät sofort nach dem Aufstehen an- und unmittelbar vor dem ins Bett gehen abzulegen. Lediglich beim Duschen und Schwimmen sollte bzw. durfte der Akzelerometer nicht getragen werden. Nach einer Woche wurden die Geräte wieder eingesammelt, die Jugendlichen füllten anschließend den MoMo-AFB aus.
Statistische Analysen
Das Aktivitätsausmaß wird zunächst anhand der Akzelerometerdaten beschrieben. Berichtet werden die Anzahl der gemessenen Einheiten („counts“) und die in verschiedenen Aktivitätslevels verbrachte Zeit (in Minuten). Die Einteilung der Aktivitätslevels orientiert sich an den bekannten MET-Klassifikationen (engl. metabolic units) und unterscheidet niedrig-intensive, von moderaten und hoch intensiven Aktivitäten (1). Die Relation zwischen Aktivitätseinheiten und Intensitätslevel beruht auf der voreingestellten Freedson-Gleichung (13). Darüber hinaus werden zur besseren Veranschaulichung des Aktivitätsausmaßes die in den Standardeinstellungen des ActiGraphen zusätzlich vorgesehenen Schrittzahlen berichtet. Wo Gruppenunterschiede berechnet werden, geschieht dies mit Hilfe von T-Tests für unabhängige Stichproben.
Die Validitätsprüfung des MoMo-AFB erfolgt auf Ebene von Gruppen und Individuen. Auf Gruppenebene wird (die Messzeitpunkteanordnung widerspiegelnd) eine linear-regressionsanalytische Schätzung der Fragebogendaten aus den objektiv gemessenen Akzelerometerdaten vorgenommen. Zur Validierung des Schulsportindex werden die Akzelerometermessungen mit den Stundenplänen der Jugendlichen abgeglichen. Freizeit wird als die Zeit außerhalb der Schulzeit definiert. Die in der Freizeit gemessenen Akzelerometereinheiten werden in Relation zu einem zusammengefassten vereinsgebundenen und nicht-vereinsgebundenen Sportindex betrachtet (weil die Selbstberichtsdaten zu wenig Messwertvarianz lieferten). Die weiteren Indizes (Gesamtaktivitätsindex, Alltagsaktivitätsindex und MVPA-Index) werden in Relation zu den gemittelten Aktivitätseinheiten der Untersuchungstage geprüft. Es werden separate Regressionsanalysen für die Gesamtaktivität und jeden einzelnen MoMo-AFB (Sub-) Index berechnet.
Auf individueller Betrachtungsebene werden die Indizes für Freizeitaktivität und Schulsport anhand von Parallelkoordinatendiagrammen mit den selbstberichteten und objektiv gemessenen Zeiten in den Intensitätslevels verglichen. Für den MVPA-Index erfolgt eine Abschätzung der Äquivalenz von Wertepaaren mit Hilfe eines Bland-Altman-Diagramms (5). Dafür ist die Berechnung zusätzlicher Kennwerte notwendig. Im Diagramm sind auf der y-Achse die z-standardisierten Differenzen zwischen individuellen Akzelerometer- und Fragebogen-Messwertpaaren sowie auf der x-Achse die Mittelwerte dieser Messwertpaare dargestellt. Wiederum aus Anschaulichkeitsgründen sind korrespondierende Schrittzahlen zusätzlich angegeben.
ERGEBNISSE
Deskription des Aktivitätsausmaßes
Anhand der Akzelerometerdaten lässt sich feststellen, dass die Jugendlichen pro Tag im Wochendurchschnitt 2,12×105 Aktivitätseinheiten (SD=6,85×104) erreichen. Dies entspricht einer täglichen Gesamtschrittzahl von 6023 Schritten (SD=2051,88) pro Person. Die Jugendlichen sind im Durchschnitt vorwiegend niedrig-intensiv aktiv (M=925,65 Minuten pro Tag; SD=12,43 Minuten). Weit seltener sind sie moderat (M=33,10 Minuten pro Tag; SD=12,14 Minuten) oder hoch-intensiv aktiv (M=1,25 Minuten pro Tag; SD=1,88 Minuten). Nur 4,1% der Jugendlichen (n=3) erreichen das empfohlene Mindestmaß an Aktivität (mind. 60 Minuten pro Tag an mindestens fünf Tagen der Woche moderat oder hoch-intensiv körperlich aktiv zu sein; 8). Ganze 95,9% (n=70) erfüllen dieses Kriterium nicht. T-Tests für unabhängige Stichproben zeigen, dass sich Jungen und Mädchen weder mit Blick auf die Schrittzahlen (t(71) =- 1,09, p=n.s.), noch bei den Aktivitätseinheiten (t(71) =0,58, p=n.s.) signifikant unterscheiden. Gleiches gilt für Oberschüler im Vergleich zu Gymnasiasten (t(71) =0,27, p=n.s. bzw. t(71) =- 0,24, p=n.s.).
Vergleich Akzelerometerdaten und Fragebogenergebnisse
Gruppenebene: Die Ergebnisse der Regressionsanalysen (Tab.1; statistische Voraussetzungen wurden geprüft und sind erfüllt) für die einzelnen Indizes zeigen, dass lediglich für den aus zwei Einzelitems zusammengesetzten MVPA-Index eine statistisch signifikante regressionsanalytische Vorhersage der selbstberichteten Daten durch die objektiven Akzelerometerdaten gelingt. Abb.1 veranschaulicht die Stärke dieses Zusammenhanges grafisch. Für alle übrigen Fragebogenindizes gelingt die regressionsanalytische Vorhersage nicht (Tab.1).Individualebene: In Abb.2 sind zwei Parallelkoordinatendiagramme zur körperlich-sportlichen Freizeitaktivität dargestellt. Sowohl für die moderate, als auch für die intensive körperliche Aktivität überschätzen die Jugendlichen die verbrachte Zeit bei ihren Selbstberichten, im Vergleich zu den gemessenen Akzelerometerdaten, zum Teil deutlich. Der Vergleich für die Schulsportaktivität zeigt das gleiche Ergebnis (ohne Abbildung).
In Abb.3 ist das Bland-Altman-Diagramm für den MVPA-Index dargestellt. Es zeigt, dass die beiden Messverfahren (y-Achse: Ergebnisabweichung zwischen den beiden Messverfahren) vor allem bei mittleren Aktivitätsausmaßen (x-Achse: aus beiden Messverfahren gemittelter Ergebniswert) unerwünschte Ergebnisdivergenzen aufweisen. Diese mittlere Aktivität entspricht in der vorliegenden Studie einer mittleren Schrittzahl von 5912,91 Schritten pro Tag (SD=1609,78). Kleiner werden die Messunterschiede bei niedrig aktiven Probanden (M=4120,47 Schritte; SD=1274,54) und bei den in unserer Studie aktiven Probanden (M=8576,92 Schritte; SD=1831,11). Dennoch resultiert für den Vergleich von MVPA-Index und Akzelerometerdaten insgesamt eine relativ „flache“ Punktwolke, die anders als bei allen anderen betrachteten Fragebogenindizes, eher geringe Messwertunterschiede für die beiden Verfahren signalisiert.
DISKUSSION
Zentraler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war die Analyse der Messwertekonvergenz zwischen mittels Akzelerometer objektiv gemessenen und den mittels MoMo-AFB (Motorik-Modul Aktitivitätsfragebogen für Kinder und Jugendliche) erhobenen selbstberichteten Aktivitätsdaten von Jugendlichen. Als Hauptergebnis lässt sich festhalten, dass im MoMo-AFB einzig und allein der MVPA-Index (moderate-to-vigorous physical activity) einen hinreichenden Zusammenhang mit den gemessenen Akzelerometerdaten aufweist. Die Stärke dieses Zusammenhangs liegt im Bereich vergleichbarer Validierungsstudien, die zu anderen Aktivitätsfragebögen ermittelt wurden (11, 15, 19, 27). Dieses Ergebnis ist insofern erstaunlich, als der MVPA-Index durch lediglich zwei Items gebildet wird. Alle übrigen MoMo-AFB-Indizes korrespondieren nicht mit den objektiv gemessenen Akzelerometerdaten.
Diese unerwarteten Messwertdivergenzen lassen sich darauf zurückführen, dass die Jugendlichen ihr Aktivitätsausmaß im Selbstreport überschätzen. Sowohl für die Freizeitaktivität, als auch für die Schulsportaktivität geben sie im Fragebogen an, mehr Zeitmit moderaten und hoch-intensiven körperlichen Aktivitäten zu verbringen, als dies mittels Akzelerometer aufgezeichnet werden konnte. Diese Tendenz zur Überschätzung des Aktivitätsausmaßes steht in Einklang mit ähnlichen Studien zu anderen Aktivitätsfragebogen (17, 21).
Überschätzungen in Selbstreporten lassen sich psychologisch dadurch erklären, dass durch die ausführliche und spezifische, durch recht viele Fragebogenitems vermittelte Abfrage der körperlichen Aktivität, eine für die Jugendlichen außergewöhnliche Aufmerksamkeit auf einen, im Alltagsleben weitgehend unbeachteten (subjektiv unbedeutsamen) Verhaltensbereich, gelenkt wird. Dies lädt zu sozial erwünschtem Antwortverhalten ein. Außerdem zählt körperliche Aktivität im Alltag ebenso wie Sport ohnehin zu den Verhaltensweisen, bei denen Menschen dazu tendieren, ihr Verhalten positiver darzustellen als es tatsächlich ist (25). Die Folgerung, die sich (mit aller Vorsicht) für die fragebogenbasierte Aktivitätsmessung bei Kindern und Jugendlichen generell ableiten lässt, steht in gewisser Weise „quer“ zur bisherigen, der Vernunft entsprechenden, Konstruktion solcher Fragebögen: Möglicherweise liefern weniger differenzierte (z.B. pauschale summarische) Selbstreporte der körperlichen Aktivität validere Messergebnisse, als stark (z.B. zwischen Lebensbereichen oder Aktivitätsarten) differenzierende Nachfragen.
Ein zweites Hauptergebnis ist aus dem Bland-Altman-Diagramm für den MVPA-Index abzulesen. Dieser Index stimmt mit den Akzelerometerdaten je nach Aktivitätsausmaß unterschiedlich gut überein. Eine zufriedenstellende Übereinstimmung zwischen Fragebogen- und Akzelerometerdaten ist eher bei den sehr aktiven und bei den wenig aktiven Jugendlichen gegeben. Insbesondere, wenn zum Beispiel in Survey-Studien aus forschungsökonomischen Gründen möglichst wenige Items zur Erfassung der körperlichen Aktivität herangezogen werden sollen, ist dies ein weiterer Grund vor allem auf diesen MVPA-Index zu vertrauen.
Unsere Ergebnisse sind mit denen, die die Autoren des MoMo-AFB aus einer selbst durchgeführten Validierungsstudie berichten (7) und die in der Einleitung kurz skizziert wurden, kaum vergleichbar. In dieser Studie der Fragebogenautoren wurde zwar eine etwas jüngere Untersuchungsstichprobe gewählt, zur Messung der körperlichen Aktivität wurden aber genauso wie bei uns Akzelerometerdaten (SenseWear Pro2; an einer Oberarmmanschette getragen) verwendet. Die Autoren berichten für die Zusammenhänge ihrer Akzelerometerdaten zum Vereinssport- und zum nicht-vereinsgebundenen MoMo-AFB-Freizeitsportindex, positive Korrelationen mittleren Betrags (r =0,56 bzw. r =.66). Diese beiden Bereiche können wir (weil wir darauf verzichten wollten, zusätzlich zu den MoMo-AFB-Abfragen noch einmal weitere Selbstangaben zur sportlichen Aktivität in Sportvereinen zu erheben) in unserem Datensatz nicht unterscheiden. Für den MVPA- und den Schulindex werden in der Validierungsstudie der Fragebogenautoren keine Kennwerte berichtet. Eine Stärke der vorliegenden Untersuchung ist ganz sicher darin zu sehen, dass sich die Akzelerometermessung und der retrospektive Aktivitätsselbstreport bei uns auf denselbenBeobachtungszeitraum beziehen. Dies war in der Validierungsstudie der Fragebogenautoren nicht der Fall.
Was die in der vorliegenden Untersuchung gewonnenen (eher ungünstigen) Daten für die Interpretation der Ergebnisse im Kinder- und Jugendsportbericht (7) bedeuten ist schwer zu beurteilen. Konsequent entlang unserem, wohlgemerkt nicht repräsentativen Ergebnisbild interpretiert, wäre anzunehmen, dass sich das Aktivitätsverhalten vieler Kinder- und Jugendlicher in Deutschland noch ungünstiger darstellt, als im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey dargestellt. Diesem zufolge erreichen von den 14- bis 17-Jährigen 8 Prozent der Jungen und 5 Prozent der Mädchen die Aktivitätsempfehlung, mindestens an fünf Tagen der Woche für mindestens 60 Minuten pro Tag moderat bis intensiv körperlich aktiv zu sein. Die Ergebnisse unserer akzelerometrischen Messungen mit den 15- bis 18-jährigen Jugendlichen deuten darauf hin, dass es noch einmal weniger sein könnten (konkret in unserer Untersuchung: rund 4% der Jugendlichen).
Zusammenfassend legen unsere Daten unzweifelhaft nahe, dass weitere Untersuchungen, einmal zu den Messeigenschaften des MoMo-AFB und einmal zum Aktivitätsausmaß von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, dringend notwendig sind.
Danksagung:
Die Untersuchung konnte Dank der Unterstützung des Gesundheitsamtes der Stadt Potsdam am Einstein-Gymnasium und der KätheKollwitz-Oberschule in Potsdam durchgeführt werden. Dafür bedanken wir uns bei allen beteiligten Personen und vor allem noch einmal bei den untersuchten Jugendlichen ganz herzlich.Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Keine.
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Daniela Kahlert
Universität Potsdam
Exzellenzbereich Kognitionswissenschaften
Professur für Sportpsychologie
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam
E-Mail: daniela.kahlert@uni-potsdam.de