Sportmedizin
EDITORIAL

Peking 2008 - Einsatz biomechanischer Messmethoden im Leistungssport

Peking in 2008 – Application of Biomechanical Measuring Methods in Performance Sport

Mit 16 Goldmedaillen errang die Deutsche Olympiamannschaft in Peking zwei Siege mehr als bei den vorangegangenen beiden Olympischen Spielen und erreichte den fünften Platz der Medaillenwertung. Verglichen mit den großen Erwartungen ist dieses Abschneiden aber eher ernüchternd. Seit den Olympischen Spielen von Barcelona 1992 ist ein stetiger Rückgang der Medaillen und der Platzierung in der Länderwertung zu verzeichnen. Dagegen schnitt Großbritannien in Peking so gut wie seit 100 Jahre nicht mehr ab. London 2012 wirft seine Schatten voraus. Das britische Team erkämpfte 19 Goldmedaillen und davon 12 Siege in nur zwei Sportarten, im Bahn- und Straßenradspurt acht und im Segeln vier. Diese Sportarten sind aufgrund ihrer Wettkampfanforderungen und des Sportgeräts häufig Gegenstand biomechanischer Untersuchungen. Das Deutsche Team errang in zehn Disziplinen Goldmedaillen, herausragend mit je zwei Siegen waren Kanurennsport, Fechten, Reiten und Britta Steffen im Schwimmen. Eine Konzentration auf Sportarten ist nicht zu erkennen.
Die Sportbiomechanik ist aufgrund ihres Gegenstandsbereichs und ihrer ausdifferenzierten Mess- und Testmethoden für die Erforschung und wissenschaftliche Unterstützung des Nachwuchs- und Hochleistungssports prädestiniert. Traditionell liegen Schwerpunkte in der Analyse des biomechanischen Anforderungsprofils des Wettkampfes, in der Diagnostik und Ansteuerung des Kraft-Technikkomplexes, in der individuellen Optimierung des Sportgerätes auf Basis der anthropometrischen, koordinativ-technischen und konditionsmotorischen Leistungsvoraussetzungen, in der Analyse der biomechanischen Belastung des Bewegungsapparats und der daraus resultierenden Wirkungsrichtung von Trainingsübungen sowie in der Entwicklung neuer Methoden und Verfahren der „Komplexen Leistungsdiagnostik“. Beispiele für aktuelle Forschungs- und wissenschaftliche Betreuungsprojekte im Leistungssport werden regelmäßig im BISp-Jahrbuch veröffentlicht. Diese unterstreichen die große Bereitschaft und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Hochschuleinrichtungen biomechanische Fragestellung auch unter den besonderen Bedingungen des Leistungssports (Stichprobenproblem, Einordnung unter das Trainingskonzept, Wiederholbarkeit usw.) anzugehen und praxiswirksam zu beantworten.
Erfolgreiches biomechanisches Forschen und Betreuen im und für den Leistungssport vollzieht sich in einem besonderen Rahmen. Biomechanische Forschung im Leistungssport ist nicht primär auf wissenschaftliche (biomechanische) Erkenntnis gerichtet, sondern beantwortet Fragen der sportlichen Praxis bzw. erschließt wissenschaftliches Know-how zur Optimierung der Leistungsentwicklung. Im Leistungssport ist die biomechanische Diagnostik und Ansteuerung der sportlichen Leistung und Technik eine originäre fachwissenschaftliche Domäne. Leistungs- und Technikansteuerung stellen besondere Anforderungen an die externe Validität der eingesetzten Mess- und Testverfahren. Die Tests müssen nach Möglichkeiten mit dem individuellen Sportgerät, unter den charakteristischen Bedingungen des Wettkampfes, in den verschiedenen Belastungsbereichen des Trainings und ohne Beeinträchtigung der Bewegungsausführung durch das verwendete Messsystem durchgeführt werden. Dafür sind spezielle und vor allem mobile Mess- und Testsysteme Voraussetzung, die auch unmittelbar im (Trainings-)Wettkampf eingesetzt werden können. Des Weiteren ist es wichtig, nicht nur bei der Diagnostik und Ableitung von Trainingsempfehlungen stehen zu bleiben, sondern konsequenter Weise muss der Schritt zur direkten wissenschaftlichen Begleitung des Trainings, z.B. Messplatz- oder biomechanisch gestütztes Feedbacktraining vollzogen werden.
Ein wesentliches Kriterium für die Wirksamkeit ist die schnelle Überführung neuster wissenschaftlicher Ergebnisse in die leistungssportliche Praxis. Dafür liefert das Wissenschaftliche Verbundsystem Leistungssport einen viel versprechenden Rahmen. Die schnelle und verlustfreie Praxisüberführung wird am besten gewährleistet, wenn die Forschungseinrichtungen den Transfer selbst übernehmen und dadurch die Entfaltung des implementierten Wirkungszusammenhanges unter den Bedingungen des Leistungssports absichern. Dafür müssen stabile Kooperationen zwischen den Spitzenverbänden und den wissenschaftlichen Einrichtungen etabliert und gefördert werden. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit dies gelingt, um neuste biomechanische Erkenntnis für die Trainings- und Wettkampfpraxis zu erschließen und so mit zu helfen die „olympische Talfahrt“ zu stoppen. Für London 2012 bleibt die Hoffnung auf vergleichbare Resultate, wie die der britischen Olympiamannschaft in Peking.