Training, Risikofaktoren und Gesundheitskosten älterer Menschen: Senioren Fitness- und Präventionsstudie (SEFIP)
Exercise Effects on Risk Factors and Health Care Costs in the Elderly.
Final Results of the Senior Fitness and Prevention Study (SEFIP)
ZUSAMMENFASSUNG
Körperliches Training hat grundsätzlich positiven Einfluss auf gesundheitliche Risikofaktoren älterer Menschen. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, den Effekt eines 18-monatigen multimodalen Trainingsprogrammes auf Gesundheitskosten und wichtige Risikofaktoren selbständig lebender älterer Frauen zu evaluieren. Methoden: 246 in der Region Erlangen-Fürth-Nürnberg lebende Frauen über dem 65. Lebensjahr wurden randomisiert einem Trainingsprogramm (TG: n=123) oder einer Wellness-Kontrollgruppe (KG: n=123) zugelost. Die TG absolvierte ein intensitätsorientiertes Training mit den Schwerpunkten Kraft und Ausdauer. Der KG wurde einmal die Woche intermittierend (4x10 Wochen) ein niedrigintensives „Wellnessprogramm“ angeboten. Endpunkte der Untersuchung waren Fraktur-, Herz-Kreislauf- und Sarkopenie-Risikofaktoren sowie Gesundheitskosten. 115 Teilnehmer der TG und 112 Teilnehmer der KG wurden in die Analyse eingeschlossen. Signifikante Unterschiede zwischen Trainings- und Kontrollgruppe wurden für die Knochendichte an LWS (TG: 1,8±2.7% vs. 0,3±3,1%; p=0,001) und Schenkelhals (DXA: 1,0±3,3% vs. -1,1±3,3%; p=0,001) sowie für die Sturzrate (TG: 1,00 ± 1,32 vs. KG: 1,66±1,80; p=0,002) und die appendikuläre skeletale Muskelmasse (0,02±0,76 kg vs. -0,28±0,91 kg, p=0,007) erfasst. Nicht signifikante (p=0,074) Unterschiede (TG -12% vs. KG: ±0%) wurden für die Prävalenz des Metabolischen Syndroms nachgewiesen. Zwischengruppenunterschiede für die Gesundheitskosten (TG: 2255±2596 € vs. KG: 2780±3318 €/18 Monate) zeigten sich als nicht-signifikant (p=0,20). Das Trainingsprogramm zeigt positive Effekte auf zentrale Risikofaktoren höheren Lebensalters ohne die Gesundheitskosten zumindest im Untersuchungszeitraum signifikant beeinflussen zu können. Durch die geringen materiellen und personellen Voraussetzungen eignet sich das Programm uneingeschränkt zur Transferierung in ambulante Bewegungsgruppen.
Schlüsselwörter: Training, Gesundheitskosten, Risikofaktoren, Multimorbidität, höheres Lebensalter.
SUMMARY
Physical exercise positively affects many risk factors and diseases of the elderly and may thus reduce health costs. The aim of this study was to determine whether a single exercise program positively affects health care costs and important risk factors of community-living elderly females.246 females (69.1±4.0 yrs) living independently in the area of Erlangen-Nürnberg (Germany) were randomly assigned either to a multi-purpose exercise program with special emphasis on exercise intensity (EG, n=123) or to a low intensity, low frequency program that primarily focused on well-being (CG, n=123). Beside total health care costs (HCC), fracture, coronary-heart-disease (CHD) and sarcopenia risk-factors were assessed. Significant exercise effects were observed for BMD of the lumbar spine (EG: 1.8±2.7% vs. CG: 0.3±3.1%, p<0.001) femoral neck (EG: 1.0±3.3% vs. CG: -1.1±3.3%, p<0.001) and fall rate/18 months (EG: 1.00±1.3 vs. CG: 1.66±1.8, p = 0.002). Appendicular skeletal muscle mass also significantly differed between both groups (EG: 0.02±0.76 vs. CG: -0.28±0.91 kg, p<0.007). Despite different changes (EG: -12% vs. CG: ±0%) no significant differences (p=0.07) between both groups were observed for Metabolic Symbol prevalence. Cost benefit analysis did not show significant differences between the groups (EG: 2255±2596 € vs. CG: 2780±3318 €/18 months, p=.20). Our exercise program positively affects central risk factors of the elderly; however, improvements were not directly reflected in HCC. Future studies should address this issue with more adequate cohorts or/and higher statistical power.
Key Words: Exercise, health care costs, risk factors, multi-morbidity, elderly.
PROBLEM- UND ZIELSTELLUNG
Höheres Lebensalter ist mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Risikofaktoren und Erkrankungen verknüpft. Tatsächlich leiden ca. 25% der über 65-jährigen Menschen in Deutschland an fünf und mehr Erkrankungen, knapp die Hälfte weist 2- 4 Erkrankungen auf (1, 2). Liegen die Gesundheitskosten von Frauen zwischen dem 45. und dem 65. Lebensjahr bei ca. 3.000 € p.a., so verdoppeln sich diese Kosten in der Altersgruppe zwischen 65-85 (ca. 6.000 €), um wiederum in der Altersgruppe der über 85-jährigen auf über 14.000 € p.a. anzusteigen (3). „Körperliches Training“ scheint als einziges Therapeutikum geeignet, die Mehrzahl der Risikofaktoren höheren Lebensalters übergreifend positiv zu beeinflussen (4, 5) und somit Einfluss auf die korrespondierenden Gesundheitskosten zu nehmen (6). Zahlen der Österreichischen Bundessportorganisation gehen von einem Einsparpotential von 836 Millionen € Gesundheitskosten aus, „wenn man nur die Hälfte jener Österreicherinnen und Österreicher, die wenig bis gar nicht Sport betreiben, an die Schwelle zum Gesundheitssport heranführt“ (6). Studien, welche konkret die Gesamtheit der potentiellen Kosteneinsparung durch ein präventiven „Gesundheitssportprogramm“ abfragen, liegen derzeit nicht vor (7, 8), sind aber aus gesundheitsökonomischer Sicht dringend erforderlich. Nun ist „Gesundheitssport“ oder „körperliches Training“ als Intervention ungefähr so konkret wie „Medikamente“. Tatsächlich unterscheiden sich Untersuchungen mit Fokus auf metabolische oder kardiale Größen, gravierend von Studien welche bspw. Sturz-, Osteoporose- oder Sarkopenieparameter evaluieren. Bewegungsprogramme, die die Mehrzahl der zentralen Risikofaktoren höheren Alters beeinflussen sollen, liegen aus verschiedenen Gründen nicht vor. Validierte multimodale Bewegungsprogramme, die mehrere Risikofaktoren höheren Lebensalters mit vertretbarem Trainingsaufwand beeinflussen können, sind jedoch nötig, da die Bereitschaft des älteren Menschen, mehrere spezialisierte Programme aus rein präventiver Motivation heraus mehrmals wöchentlich parallel auszuführen, gering ist (9). Aus trainingswissenschaftlicher Sicht ist die Konzeption eines komplexen Mehrzweck-Trainingsprogrammes mit geringem Umfang ebenfalls nicht trivial. Erschwerend kommt hinzu, dass ein hoher materieller, räumlicher oder trainingsmethodischer Aufwand des Trainingsprogrammes der erwünschten flächendeckenenden Implementierung entgegen steht.
Das Ziel der Senioren Fitness und Präventions-Studie (SEFIP) war es ein Trainingsprogramm zu konzipieren, das (die) zentrale(n) Risikofaktoren, Erkrankungen und die Gesundheitskosten des älteren Menschen bei realistischem Aufwand und innerhalb der Rahmenbedingungen ambulanten Rehabilitationssports positiv beeinflussen kann. Das Anliegen des vorliegenden Beitrags ist es, dem deutschen Leser eine komprimierte Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse der Studie zu geben, wobei der Bereich „Gesundheitskosten“ ausführlicher diskutiert wird. Die Publikation fasst die Ergebnisse zweier englischsprachiger Veröffentlichungen (10, 11) mit einem etwas abweichenden Schwerpunkt (Gesundheitskosten) zusammen.
MATERIAL UND METHODEN
Die SEFIP-Studie ist eine 18-monatige, randomisierte und einfach verblendete Untersuchung mit über 65-jährigen Frauen. Die Untersuchung wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz (Z5-22462/2-2005-026) und von der Ethikkommission der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (Ethik Antrag 3354) überprüft und genehmigt. Alle Teilnehmerinnen gaben vor Beginn der Untersuchung ihre schriftliche Einwilligung. Die Untersuchung wurde durch das Institut für Medizinische Physik der Friedrich-Alexander Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg durchgeführt. Die statistische Begleitung erfolgte durch das Institut für Biometrie und Medizinische Statistik der FAU. Die Studie ist unter www.clinicaltrials.org registriert.
Probandenkollektiv
Das genaue Prozedere der Rekrutierung wurde bereits ausführlich beschrieben (12, 13). Zusammenfassend wurden nach Anwendung der unten aufgeführten Ein- und Ausschlusskriterien insgesamt 246 Frauen, allesamt Mitglieder der Siemens-Betriebskrankenkasse aus der Region Erlangen-Nürnberg von Mai 2005 bis Februar 2006 rekrutiert und eingeschlossen:
Einschlusskriterien:
- weiblich, Alter über dem 65. Lebensjahr
- selbständig lebend
Ausschlusskriterien:
- Medikamente mit Einfluss auf den Muskel-/Knochenmetabolismus oder „Sturz“
- gleichzeitige Teilnahme an anderen longitudinalen Bewegungsstudien
- sekundäre Osteoporosen
- Herz-Kreislauf-Ereignisse (Infarkt, Schlaganfall)
- akute oder chronische Entzündungen
- Alkoholmissbrauch
- sehr geringe körperliche Leistungsfähigkeit (<50 Watt Fahrradergometrie)
Die Teilnehmer wurden im Anschluss unter Stratifizierung für das Lebensalter randomisiert in eine „Trainingsgruppe“ (TG: n=123) und eine Kontrollgruppe (KG: n=123) aufgeteilt (Tab. 1).
Intervention
Die Intervention der SEFIP-Studie wurde ebenfalls ausführlich vorgestellt (12, 13), sodass hier nur eine knappe Beschreibung erfolgt.
Die Intervention der Trainingsgruppe orientierte sich sehr eng an den Rahmenbedingungen ambulanten Rehabilitationssportangeboten gemäß § 44 SGB IX. Die Gruppe führte zweimal/Woche ein angeleitetes Trainingsprogramm im Gruppenrahmen sowie ein zweimaliges Heimprogramm/Woche inEigenverantwortung über die Dauer von 18 Monaten durch. Die Kontrollgruppe führte im Sinne einer Verblindung auf Teilnehmerebene ein intermittierendes „Trainings“-Programm („Wellness“) mit geringem Volumen, geringer Belastungsintensität und abweichender Zielstellung durch („Wohlbefinden“). Daten überdie Häufigkeit und Vollständigkeit der Teilnahme bzw. Durchführung wurden über Anwesenheitslisten und Trainingstagebücher erfasst.
Die Teilnehmer wurden angehalten, ihr alltägliches Aktivitätsniveau über den Studienzeitraum stabil zu halten. Alle Teilnehmerinnen erhielten maximal 1500 mg Kalzium und 500 IE Vit.-D pro Tag.
Trainingsgruppe
Die 60-minütige gemeinsame Trainingseinheit gliederte sich in vier Sequenzen:
- Warm-up und Ausdauersequenz: 20 min kleine Spiele, AerobicTraining bei 70-85% Hfmax. Im Verlauf der Untersuchungen wurde der Anteil und die Intensität von High Impact Elementen erhöht.
- Koordinations- und Balancesequenz: Übergreifendes Geschicklichkeitstraining, Training der statischen und dynamischen Gleichgewichtsfähigkeit.
- Funktionsgymnastik, isometrisches Krafttraining: 12-15 isometrische Übungen für Bauch-, Hüft- und Rückenmuskulatur mit 1-3 Sätzen und 6-10 sec Haltedauer unter maximaler isometrischer Anspannung. Zusätzlich dynamisches Krafttraining mit elastischen Bändern für Schulter, Brust, oberer Rücken und die oberen Extremitäten. 3 Übungen mit 2-3 Sätzen und 10-15 Wiederholungen mit moderater Bewegungsgeschwindigkeit. Belastungsvorgabe: Ausbelastung minus zwei Wiederholungen. Die Intensität wurde im Verlauf gesteigert.
- Dynamisches Beinkrafttraining: Training der unteren Extremitäten im Zirkelbetrieb. 3 Übungen für Beinstrecker, -beuger und Abduktoren mit 8 Wiederholungen und moderater Bewegungsgeschwindigkeit bei ca. 70% des Einwiederholungsmaximums. Die Belastung wurde auch in diesem Trainingsabschnitt progressiv (Erhöhung Last und/oder Bewegungsamplitude und/oder Bewegungsgeschwindigkeit) gesteigert.
- In den Satz- und Serienpausen des funktionsgymnastischen, isometrischen und dynamischen Krafttrainings erfolgte ein Beweglichkeitstraining nach dem Dauerdehnungsprinzip.
Heimprogramm
Innerhalb des 20- bis 25-minütigen Heimprogrammes erfolgten isometrische und dynamische Kraft- und Beweglichkeitsübungen, die im gemeinsamen Training erlernt wurden. Die Übungen wurden alle 12 Wochen durch intensivere Belastungsprotokolle ausgewechselt.
„Wellness“-Kontrollgruppe
Die Wellness-Kontrollgruppe absolvierte das Programm in 4 Blöckenà 10 Wochen mit intermittierenden 4-wöchigen Pausen über die 18 Monate Interventionsdauer. Das Trainingsvolumen war ebenso wie die Belastungshöhe mit einer Trainingseinheit/Woche à 60 min vergleichsweise niedrig gewählt, um physiologisch wirksame Reize möglichst zu vermeiden.
Messungen
Primäre Endpunkte:
- Knochendichte an LWS und proximalem Femur
- Sturzhäufigkeit
- Gesundheitskosten
Sekundäre Endpunkte:
- HK-Risiko
- Körperzusammensetzung
Um eine Verblindung auf Untersucherebene zu realisieren, war der Status des Teilnehmers für den Testleiter nicht ersichtlich. Die jeweiligen Messungen wurden vom gleichen Untersucher zur gleichen Tageszeit/Teilnehmer (±1 h) durchgeführt. Die unten aufgeführten Parameter (Ausnahme DXA) wurden alle 6 Monate erhoben, mit dem Teilnehmer besprochen und zur Vorlage beim behandelnden Arzt ausgedruckt.
Anthropometrische Grössen
Größe, Gewicht und Umfangswerte der Probanden wurden mit geeichten Geräten erfasst. Knochendichte an der LWS und am proximalen Femur sowie Körperfett und fettfreie Körpermasse wurden mittels DXA-Technik gemessen (Hologic QDR 4500a, Discoveryupgrade, Bedford, MI, USA). Die Segmentierung der Ganzkörperscans zur Erfassung der appendikulären skeletalen Muskelmasse (ASMM) als Basismessung der Sarkopenie wurde nach Heymsfield et al. (14) durchgeführt. Die abdominale Region wurde zwischen Beckenkamm und Unterkante LWK 1 festgelegt und analysiert.
Stürze
Stürze wurden prospektiv über täglich auszufüllende Protokolle erfasst. Stürze wurden gemäß der PROFANE-Gruppe (15) definiert. Die Teilnehmerinnen erhielten monatlich ein Sturz-Kalenderblatt auf dem sie die zutreffende Option ankreuzen sollten. Beim Fehlen eines Sturzprotokolls (monatliche Auswertung) oder bei Unklarheiten hinsichtlich des Sturzvorganges wurden die Teilnehmerinnen telefonisch kontaktiert.
Gesundheitskosten
Die Erfassung der Gesundheitskosten wurde in enger Zusammenarbeit mit der Siemens Betriebs-Krankenkasse sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern durchgeführt. Gesundheitskosten die von den Teilnehmern selbst zu tragen waren, wurden nicht erfasst. Die Gesundheitskosten wurden über 6 Monate unmittelbar vor der Studie, sowie über den Interventionszeitraum gesammelt. In die Analyse gingen bis auf die zahnärztlichen Kosten und die Calcium/Vit-D-Prophylaxe alle weiteren von der Kasse zu tragenden Kosten, d.h. auch die Kosten für die Bewegungsprogramme mit ein. Weitere Kosten im Zusammenhang mit krankheitsbedingtenArbeitsausfällen oder Frühverrentung mussten aufgrund des Lebensalters nicht berücksichtigt werden.
Herz-Kreislauf-Risikofaktoren:
Prävalenz des Metabolisches Syndrom gemäß IDF (18).
Der Einfluss unseres Interventionsprogrammes auf andere HKGrößen wie 10-Jahres CHD-Risiko nach Wilson (16) ist anderenPublikationen zu entnehmen (bspw. (17)).
Fragebogen
Über Fragebogen wurden Alltags- und sportliche Aktivität, Risikofaktoren, Erkrankungen, Medikation und Ernährungsverhaltens sowie Veränderungen dieser Variablen (Kontrollfragebogen) erfasst. Der standardisierte Fragebogen wurde bei Abgabe mit den Teilnehmerinnen jeweils durchgesprochen und von den Untersuchern auf Unzulänglichkeiten geprüft.
Statistische Verfahren
Eine ausführliche Beschreibung der statistischen Verfahren durch das Institut für Biometrie und Epidemiologie der FAU liegt bereits vor (10), sodass hier auf exzessive Beschreibungen der Verfahren verzichtet wird.
Die formale Fallzahlanalyse der Untersuchung erfolgte auf der Basis des primären Endpunktes „Sturzhäufigkeit“ (10). Es erfolgte eine Intention-to-Treat Analyse, die alle Teilnehmer mit 18-Monats Daten einschloss. Das verwendete statistische Modell schloss dabei die initialen Werte der fehlenden Personen mit ein. Zur Berechnung statistischer Kennzahlen wurde das Computerprogramm SAS 9.1 (SAS-Institute Inc., Cary, NC, USA) verwendet.
Bei Vorliegen von Normalverteilung, eventuell nach Log-Transformation, wurden Mittelwertsunterschiede innerhalb der Trainings- und der Kontrollgruppe zwischen den beiden Zeitpunkten (Deltawert der Veränderung) und Zwischengruppenunterschiede mittels eines gemischten linearen Modells mit Gruppenstatus und Zeit als festem Faktor und dem Teilnehmer als zufälligen Faktor berechnet. Bei fehlender Normalverteilung bzw. nicht möglicher log-Transformierung (bspw. Gesundheitskosten) wurde der Wilcoxon-Rangsummentest bzw. der Wilcoxon Vorzeichentest verwendet. Die Normalverteilungsannahme wurde sowohl grafisch (Q-Q-Plots) als auch mit statistischen Tests (Shapiro-Wilk-Test)überprüft. Zur Berechnung der Sturzhäufigkeit (Stürze/Person/Gruppe) wurde ein negatives Binomialregressionsmodell berechnet. Ein Signifikanzniveau von p < 0,05 wird als signifikant angesehen. Eine a-Fehleradjustierung wurde nicht vorgenommen (19). Zur Berechnung von Effektstärken (ES) wurde der Test von Cohen (20) verwendet. Effektstärken von d ≈ 0,2 werden als „gering“, von d ≈ 0,5 als „ moderat“ und von d ≈ 0,8 als „hoch“ eingeschätzt.
ERGEBNISSE
Compliance, Drop- out und Verletzungen
Insgesamt 8 Personen der Trainingsgruppe (6,5%) und 11 Teilnehmer der Kontrollgruppe (8,9%) konnten nach Studienende nicht in die Endauswertung eingeschlossen werden. Zwei dieser Teilnehmerinnen verzogen, eine Teilnehmerin verstarb und vier Teilnehmerinnen war es nicht möglich an der Abschlussmessung teilzunehmen (12, 13). Die Anwesenheitsrate der Trainings- und Wellness-Kontrollgruppebetrug 76±8% und 72±9%; die Durchführungsrate des Heimprogramms der TG lag bei 42±5. Während der Trainingseinheiten tratenkeine unerwünschten Ereignisse oder Verletzungen auf. Zusätzlich zeigte das Bewegungsprogramm keine negativen Effekte auf die erhobenen Schmerzparameter oder die Lebensqualität.
Primäre Endpunkte
Die Knochendichte an der LWS veränderte sich innerhalb der TGhochsignifikant positiv um 1,8±2,7%. während für KG keine wesentliche Veränderung erfasst wurde (+0,3±3,1%, n.s.). Der Zwischengruppenunterschied zeigte sich bei mittlerer Effektstärke (d`: 0,51) als hochsignifikant (p<0,001). Eine dazu weitgehendparallele Entwicklung zeigte sich für die Schenkelhalsregion (TG: 1,0±3,3%, p=0,001 vs. KG: -1,1±3,3%, p<0,001; Unterschied: p<0,001,ES: d`: 0,63).
Insgesamt ereigneten sich 115 Stürze in der TG und 186 Stürze in der KG. Bezogen auf die Sturzrate (Stürze/Person) zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen (TG: 1,0±1,37 vs. KG: 1,66±1,79; p=0,002; ES: d`=0,41). Vergleicht man das relative Risiko (RR) einer Teilnehmerin der TG zu stürzen mit dem einer Teilnehmerin der KG, so zeigt sich das deren RR nur 0,54-mal, also ungefähr halb so hoch ist (p=0,01). Auch das RR, einen Sturz mit einer Verletzung zu erleiden, liegt in der TG mit 0,33 signifikant niedriger. Obgleich nicht signifikant (p=0,09) zeigten sich zudem deutliche Unterschiede bezüglich sturzinduzierter Frakturen (TG: n=6 vs. KG: n=12) (Tab. 2).
Die Gesundheitskosten zeigten im 6-monatigen Beobachtungsbereich unmittelbar vor der Intervention keine wesentlichen Unterschiede (TG: 833±1397 € vs. KG: 869±1589 €; p=0,85). Am Ende des Interventionszeitraumes konnten tendenzielle Zwischengruppenunterschiede (TG: 2255±2596 €/18 Monate vs. KG: 2780±3318 €/18 Monate) erfasst werden (Abb. 1), die allerdings kein signifikantes Niveau erreichten (p=0,20, ES, d`: 0,18). Median sowie Minimum und Maximum der Kosten: TG: 1659 € (205–16447 €) vs. KG: 2086 € (175–17936 €). Die darin enthaltenen Kosten für die Bewegungsprogramme unterschieden sich weitgehend parallel zum höheren Trainingsvolumen der Rehabilitationssportgruppe hochsignifikant (TG: 570±58 vs. KG: 173±18 €, p=0,001; d` >2,0). Die Gruppen für die einzelnen Kostenstellen (Abb. 1) variieren weitgehend parallel zu den Gesamtkosten im Bereich zwischen 15-30% (n.s.) zugunsten der Trainingsgruppe.
Sekundäre Endpunkte
Die Prävalenz des Metabolischen Syndroms sank in der Trainingsgruppe von 35,0% auf 24,3%. Insgesamt 19 Personen der TG „verloren“ den Status des Metabolischen Syndroms, 4 Personen kamen neu hinzu. In der Kontrollgruppe veränderte sich die Prävalenz des Metabolischen Syndroms lediglich geringfügig (von 40,7% auf 41,4%). Der Zwischengruppenvergleich zeigte ein grenzwertig nicht signifikantes Ergebnis (p=0,074).
Die TG zeigte keine wesentliche Veränderung der ASMM (0,1±4,1%, p=0,775), während für die Kontrollgruppe ein signifikanter Rückgang erfasst wurde (-1,6±4,1%, p=0,001; Zwischengruppenunterschied: p=0,006; ES: d`:.39). Das abdominale Körperfett reduzierte sich in beiden Gruppen (TG: -9,1±8,2%, p=0,001 vs. KG: -3,2±7,0%, p=0,001; Zwischengruppenunterschied: p=0,001, d`=0,70) (Basale Werte der sekundären Endpunkte in Trainings- und Kontrollgruppe, Tab. 3).
DISKUSSION
Die vorliegende Studie ist derzeit die einzige Untersuchung, welche den Einfluss eines Trainingsprogrammes auf mehrere zentrale Risikofaktoren und Erkrankungen des älteren Menschen sowie die korrespondierenden Gesundheitskosten erfasst. Eine Besonderheit der Untersuchung ist die direkte, individualisierte Erfassung der Gesundheitskosten. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist eine konsequente Umsetzung der Rahmenbedingungen ambulanten Rehabilitationssports.
Zusammenfassend weist das Programm eine mittlere bis hohe Effektivität in allen untersuchten klinischen/funktionellen Bereichen auf, die durchaus im Rahmen der Ergebnisse spezialisierter Trainingsprogramme mit Fokus auf „Knochendichte“ (21-23), „Sturzhäufigkeit“ oder „sturzinduzierte Verletzung“, (24, 25), Muskelmasse (26, 27), „Herz-Kreislaufrisiko“ (28) einzuordnen sind.
Trotz dieser weitreichenden „klinischen“ Effektivität der SEFIP Studie zeigten sich während der 18monatigen Interventionsphase keine signifikanten Effekte für die Gesundheitskosten. Wir ziehen hauptsächlich drei Hauptgründe für dieses Ergebnis in Betracht, die weniger mit der Effektivität unserer Intervention als vielmehr mit methodischen Limitationen der Studie zusammen hängen: (1) Die sehr heterogenen Kosten unseres Studienkollektivs (Minimum: ca. 120 €/p.a. bis Maximum: ca. 12.000 €/p.a.) liegen im Mittel mit ca. 1.700 € p.a. deutlich unter dem Bundesdurchschnitt für die vergleichbare Bevölkerungsgruppe der 65- bis 80-jährigen Frauen von 6.100 € p.a. (3). Somit war die statistische Power mit der unsere Untersuchung angelegt war, für diese Fragestellung wahrscheinlich zu niedrig. Da die Kostenerfassung deutlich nachläufig war, lagen uns die Ergebnisse der Kostenanalyse des Zeitraumes 6 Monate vor Untersuchung zu Untersuchungsbeginn nicht vor. Das zugrunde liegende Problem, dass letztendlich nicht die Gruppe der besonders kostenintensiven Personen sondern überdurchschnittlich „gesunde“ Personen an Gesundheitssportprogrammen teilnehmen, zeigt die Notwendigkeit einer spezifischen Ansprache kostenintensiver Kollektive deutlich auf. (2) Veränderungen der klinischen Endpunkte erreichten den jeweils behandelnden Arzt erst nach den 6-monatigen Messintervallen, sodass eine mögliche Umstellung/Reduktion der Medikation erst spät oder im Extremfall gar nicht mehr im 18-monatigen Überwachungszeitraum erfolgte (3) Die Kontrollgruppe profitierte, was Parameter mit offensichtlich niedriger Reizschwelle betrifft (Blutdruck; „Low-Back-Pain“), ebenfalls von der („Wellness“-)Intervention, was möglicherweiseeine Kostenreduktion in dieser Gruppe verursacht hat.
Ein sinnvoller Vergleich unserer Daten mit der vorliegenden Literatur scheitert. Isolierte Effektivitätsnachweise auf einzelne Kostenstellen (bspw. costs/fall prevented; Übersicht in (7, 8) und/oder Ansätze mit Kollektiven die noch im Arbeitsleben stehen (Übersicht in (29) und (7)) sind mit den tatsächlich angefallenen Gesamtkosten (in €) der vorliegenden Untersuchung ebenso wenig vergleichbar, wie sogenannte cost-effectiveness- oder costutility-Analysen, die nicht in monetären Einheiten (sog. cost-benefit-Analysen) rechnen (Übersicht in Davies et al. (29)). Angesichts der erheblichen Einsparpotentiale (6) sollten die gesundheitspolitischen Steuerungsinstanzen die Evaluierungen der ökonomischer Effektivität des ambulanten Rehabilitationssport gemäß SGB IX, § 44 wie auch präventiver Gesundheitsangebote gemäß SGB V, § 20, als Basis tragfähiger gesundheitspolitischer Konzepte zeitnah veranlassen.
Neben der klinischen Effektivität zeichnet sich die vorliegende Untersuchung durch mehrere Stärken aus: (1) Der Evidenzgrad der Untersuchung ist als hoch einzustufen (Evidenzstufe 1a) (30). (2) Das Design der Studie orientierte sich konsequent an den Vorgaben des „Revised Consort-Statements“ (31). (3) Die Endpunkte konnten mit den gewählten, etablierten Messmethoden valide und reliabel erfasst werden. (4) Die Studie untersucht ein relativ homogenes Kollektiv unabhängig lebender über 65-jähriger Frauen. Covariate beeinflussen die Ergebnisse somit nur unwesentlich. (5) Weitere Covariate wie Medikation, Krankheiten, Änderungen imErnährungsverhalten, Lebensstil oder Bindungsparameter wurden über die gesamte Studie hinweg erfasst. (6) Die Trainingseinheiten wurden von ausgebildeten Übungsleitern abgehalten, und das Trainingsprogramm wurde progressiv gesteigert. (7) Das Bewegungsprogramm wurde von den Teilnehmerinnen als effektiv angesehen, was die sehr niedrige Aussteigerrate und die vergleichsweise hohe Teilnahmerate (23) belegt. (8) Das Bewegungsprogramm kann durch seine strikte Orientierung an den Rahmenrichtlinien des ambulanten Rehabilitationssports sowie seinem geringen materiellen Aufwand relativ einfach von Gesundheits- oder Rehabilitationssportanbietern übernommen werden.
Diesen Stärken stehen einige Limitationen entgegen:Obwohl bei Randomisierung eine Verblindung unbedingt nötig erscheint, ist die Gestaltung des Programmes der KG diskussionswürdig. Neben dem grundsätzlichen Problem der Auswahl eines alternativen Trainingszieles (Wohlbefinden), sind die Trainingsinhalte sowie die korrespondierenden Belastungsnormativa in diesem Zusammenhang problematisch. Obwohl wir der Kontrollgruppe ein niedrigintensives Programm mit geringer Trainingshäufigkeit anboten, besteht insbesondere bei basal wenig trainierten Personen die Möglichkeit, dass die Intervention trotzdem Anpassungserscheinungen unserer Endpunkte auslöste. Eine entsprechend leichte Verzerrung führt jedoch in diesem Zusammenhang zu niedrigeren Effekten und trägt somit zu einer vorsichtigeren Interpretation unserer Ergebnisse bei. Bezogen auf die Gesundheitskosten könnten weiterhin zwei methodische Kriterien zu einer gewissen Verzerrung der Gesundheitskosten (s.o.) geführt haben. (1) Aufgrund der Intervention mussten einige (möglicherweise kostenintensive) Erkrankungen ausgeschlossen wurden. (2) Alle Teilnehmerinnen waren Mitglieder der SBK und zeichnen sich somit möglicherweise durch einen höheren sozialen Status aus.
Aus statistischer Sicht ist es weiterhin aufgrund einer multiplen Testproblematik zumindest fragwürdig, mehrere primäre Endpunkte zu definieren. Diesem berechtigten Einwand steht aber das primäre Ziel unserer Untersuchung entgegen, gerade ein Bewegungsprogramm zu validieren, dass eine Vielzahl von Risikofaktoren und Erkrankungen höheren Lebensalters positiv beeinflusst.
Das vorliegende, wenig aufwändige, wenig materialintensive und leicht in den Trainingsalltag ambulanter Bewegungsgruppen zu implementierende Trainingsprogramm zeigt positive Auswirkungen auf zentrale Risikofaktoren und Erkrankungen des älteren Menschen. Inwieweit länger andauernde Untersuchungen mit homogenen, kostenintensiven Kollektiven den Nachweis einer Reduktion von Gesundheitskosten erbringen können, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.
Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Wir bedanken uns für die Förderung und kooperative Zusammenarbeit ganz herzlich bei der Siemens Betriebskrankenkasse Erlangen, dem Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern, der Elsbeth-Bonhoff-Stiftung sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. Für die Überlassung von Calcium und Vitamin-D durch die Opfermann Arzneimittel GmbH sowie die Bereitstellung von Geräten durch die Firma Thera-Band möchten wir uns ebenfalls ausdrücklich bedanken. Ferner möchten wir uns für die statistische Betreuung ganz herzlich bei Dr. Lothar Häberle vom Institut für Biometrie und Medizinische Statistik der FAU bedanken.
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Prof. Dr. Wolfgang Kemmler
Institut für Medizinische Physik
Friedrich-Alexander Universität Erlangen
Henkestrasse 91
91054 Erlangen
E-Mail: wolfgang.kemmler@imp.uni-erlangen.de