Sportmedizin
EDITORIAL

Gesunderhalter oder Leistungsoptimierer?

Health Keeper or Performance Optimizer?

Der Freitod von Robert Enke hat viele Diskussionen in unterschiedliche Richtungen ausgelöst. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, wie sich die Rolle des Arztes im Spitzensport definiert. Sind wir in erster Linie Leistungsoptimierer, um Athletinnen und Athleten zu helfen, zum richtigen Zeitpunkt fit zu sein? Zweifellos haben Sportler, die täglich mehrere Stunden trainieren, Anspruch auf eine regelmäßige sportmedizinische Betreuung, um im Wettkampf jene Leistung zu erreichen, zu der sie aufgrund ihres Trainings und ihres Talents befähigt sind. Das kann aber nur eine nachgeordnete sportmedizinische Aufgabe sein. Prioritär ist die Gesunderhaltung der Sportler. Als Ärztin und Arzt im Spitzensport hat man die Verpflichtung, bei allem, was man tut, zu allererst an die Gesundheit zu denken. Sehr viel ist heute machbar, aber nicht alles verantwortbar. Es schadet nicht, wenn wir diesbezüglich über den eigenen Tellerrand blicken. Ohne Geisteswissenschaften wären wir Barbaren, ohne Naturwissenschaften wären wir Neandertaler. Ich weiß nicht, wer diesen Ausspruch ursprünglich getan hat, aber er beschreibt treffend den täglichen Spagat.
Was soll der behandelnde Arzt dem Sportler raten, von dem er weiß, dass er an einer Depression leidet? Sich offenbaren, ja, aber geht das immer? Im Profifußball ist das besonders diffizil, zumal für einen Torhüter. Man stelle sich vor, ein vermeintlich haltbarer Ball entscheidet das Spiel und der Torhüter wird anschließend von einer Meute Unverbesserlicher mit unflätigen und auf seine Krankheit anspielenden Worten beschimpft. Die Folgen wären nicht absehbar. Es gibt kein generelles Rezept für ein Outing.
Antidepressiva können auch Sportlern helfen, mit ihrer Krankheit fertig zu werden und sie zu überwinden. Die Einnahme dieser Medikamente durch Sportler hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen mit einem auffälligen Anstieg in den Jahren 2007 und 2008. Nach einer Studie des Biochemischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln enthielten 73 von 11518 (0.63%) Urinproben im Jahr 2008 Antidepressiva, verteilt auf 22 Sportarten (3). Die nahe liegende Frage, ob Leistungssport Depressionen erzeugt, lässt sich damit nicht beantworten. Dazu wären unter vergleichbaren Bedingungen erhobene altersadjustierte Daten aus der Allgemeinbevölkerung notwendig. Aber eine zweite Frage drängt sich auf. War es immer eine medizinische Indikation oder sollte die sportliche Leistung im Sinne eines Neuroenhancement optimiert werden? Die weitere Entwicklung sollte beobachtet werden.
Ohne Schmerzmittel kein Sport? Immer häufiger hört man diese provokant klingende Frage, denn die Zahlen sind alarmierend. Vorzugsweise nichtsteroidale Antirheumatika, aber auch Acetylsalicylsäure, werden als Schmerzmittel konsumiert. Während der Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006 wendeten über die Hälfte aller Spieler mindestens einmal während des jeweiligen Turniers nichtsteroidale Antirheumatika, meist Diclofenac, an, knapp ein Drittel vor einem Spiel (4). In anderen Sportarten ist die Situation ähnlich. Erhebungen mittels Fragebogen, die bei Marathonläufen (Boston-Marathon) und Triathlonwettbewerben durchgeführt worden sind, ergaben, dass nahezu jeder Zweite vor bzw. während des Wettkampfes nichtsteroidale Antirheumatika eingenommen hatte (1, 2). Laufen, Spielen oder generell Sport treiben trotz Schmerzen scheint nicht die einzige Intention zu sein. Oft ist es auch eine in diesem Zusammenhang sicherlich falsch verstandene prophylaktische Einnahme, um belastungsinduzierte Schmerzen zu vermeiden. In vielen Fällen ist es eine Selbstmedikation, was darauf hinweist, dass die medizinische Indikation meist fragwürdig ist. Deshalb besteht dringender Aufklärungsbedarf, aber auch ärztliche Zurückhaltung bei der Verordnung derartiger Medikamente. Präventives Handeln kann manche kurative Tätigkeit ersparen.
Noch einmal, auch im Spitzensport sind wir zuvorderst Gesunderhalter und nicht der verlängerte Arm des Trainers. Der Arzt hat zu entscheiden, ob der Einsatz des Athleten gesundheitlich zu verantworten ist. Auch erlaubte, also nicht auf der Dopingliste aufgeführte Medikamente, dürfen nicht unkritisch verabreicht werden. Gefälligkeiten sind fehl am Platz und können sogar die Gesundheit gefährden, zumal Interaktionen mit belastungsinduzierten Veränderungen des Organismus möglich sind. Wir haben dem Sportler gegenüber gute Gesundheitsargumente, die wir nutzen sollten, um insbesondere eine Langzeiteinnahme zu vermeiden. Es wäre verhängnisvoll, würden wir bei aller Faszination der Spitzenleistung unsere ärztliche Verantwortung vergessen.

LITERATUR

  1. Almond CSD, Shin AY, Fortescue EB, Mannix RC, Wypij D, Binstadt BA, Duncan CN, Olson DP, Salerno AE, Newburger JW, Greenes DS Hyponatremia among runners in the Boston Marathon. N Engl J Med 352 (2005) 1550-1556.
  2. Gorski T, Cadore EL, Pinto SS, da Silva EM, Correa CS, Beltrami FG, Kruel LF Use of nonsteroidal anti-inflammatory drugs ( NSAIDs) in triathletes: prevalence, level of awareness, and reason for use. Br J Sports Med 2009 (Epub ahead of print).
  3. Machnik M, Sigmund G, Koch A, Thevis M, Schänzer W Prevalence of antidepressants and biosimilars in elite sports. Drug Test Analysis 1 (2009) 286-291.
  4. Tscholl P, Junge A, Dvorak J The use of medication and nutritional supplements during FIFA World Cups 2002 and 2006. Br J Sports Med 42 (2008) 725-730.